After Forever
After Forever
Interview
"Hey cooles Diktiergerät, kann man damit auch Gesang aufzeichnen?" interessiert sich die 1,83 Meter große AFTER FOREVER-Frontlady Floor Jansen für mein Diktiergerät. Dabei gibt dieses nach nur 10 Minuten plötzlich den Geist auf. Dass die zu Beginn noch als "voll" angezeigten Batterien sich so schnell verabschiedet haben, bemerke ich allerdings erst, als das Interview bereits zu Ende ist. So bleibt mir nichts anderes übrig, als die zweite Hälfte des unterhaltsamen Gesprächs aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren…
Ihr veröffentlicht in Kürze ein neues Album, das nach euch selbst benannt ist. Das ist ein wichtiger Schritt für jede Band, den man nur einmal in seiner Karriere unternehmen kann.
Ja, aber wir glauben, dass es ein guter Zeitpunkt dafür ist, denn dieses Album bildet eine Art musikalischen Abschluss von allem, was wir in der bisher gemacht haben. All die unterschiedlichen Stile kamen zu uns zurück. So wurde es ein großer Schmelztiegel für alle Zutaten, die wir in der Vergangenheit benutzt haben. Es umfasst die melodischen und atmosphärischen Elemente der ersten beiden Alben, die progressiven Einflüsse von „Invisible Circles“, die Eingängigkeit von „Remagine“ und auch die ersten Flirts mit mehr Industrial-lastigen Dingen. Alles kam auf diesem Album zu uns zurück – zwar in einem neuen Gesamtzusammenhang, aber noch immer erkennbar. So hatten wir alle das Gefühl: Dafür stehen AFTER FOREVER. Deswegen ist das Album repräsentativ für unsere Vergangenheit, dafür, wo wir jetzt gerade stehen, und auch dafür, wie wir uns in der Zukunft weiterentwickeln werden. Darum haben wir es einfach nur AFTER FOREVER genannt.
Vor kurzem war als Albumtitel noch „Energized“ im Gespräch. Zu welchem Zeitpunkt habt ihr diese Umbennung vorgenommen?
„Energized“ war unser Arbeitstitel. Das war nie als ernsthafter Titel gemeint. Aber aus irgendwelchen Gründen, die wir noch immer nicht durchschauen können, hat es sich in der Presse niedergeschlagen. Den eigentlichen Titel haben wir uns erst überlegt, als das ganze Album fertig war. Wir mussten dann auch gar nicht lange überlegen, weil es für uns ziemlich naheliegend war.
Von was handeln deine Texte auf dem Album?
Ich schreibe immer über Dinge, die mich faszinieren und über die ich mir Gedanken mache. Dieses Mal habe ich viel über Energie nachgedacht, was meiner Meinung nach auch gut zu unserer Musik passt. Energie ist ja immer und überall um uns herum und es gibt die verschiedensten Arten davon. So beschreibt „Equally Destructive“ beispielsweise Naturgewalten, während sich „Withering Time“ mit der Energie beschäftigt, die in der Zeit steckt. „De-Energized“ handelt davon, wie es ist, wenn dir die Energie fehlt und „Dreamflight“ erzählt von der Macht der Träume.
Du hast es selbst bereits angesprochen: Auf eurem neuen Album habt ihr stärker Gebrauch von Industrial-Elementen gemacht. Hörst du auch privat Industrial-Sachen oder elektronische Musik?
Nicht wirklich. Ich mag zwar Rammstein, aber viel mehr interessiert mich aus dieser Richtung nicht. Wir alle experimentieren gerne mit neuen Elementen in unserem Sound. Unser Keyboarder hat einen starken Progressive-Background und kann alle möglichen freakigen Sachen mit seinen vielen verschiedenen Keyboards machen. Er kreiert seine eigenen Sounds und experimentiert dabei sehr viel herum. Das macht unseren Sound interessanter und hält ihn frisch, obwohl wir natürlich weiterhin viele bekannte Elemente verwenden, wie diesen „Beauty And The Beast“-Effekt mit einem Wechsel zwischen weiblichen und männlichen Gesangsparts oder die symphonischen Elemente. Dafür konnten wir zum ersten Mal auf ein richtiges Orchester zurückgreifen. Das Prager Symphonieorchester war ja auch schon auf Platten von Dimmu Borgir zu hören und verfügt somit über einige Erfahrung in diesem Bereich.
Bei „Who I Am“ habt ihr Doro Pesch als Gastsängerin mit an Bord. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Wir haben sie gefragt, weil sie schon lange bevor es diesen „female fronted“-Trend gab, als Sängerin von WARLOCK einen ähnlichen, wenn auch viel 80er-Jahre-lastigeren Stil verkörpert hat. Mit uns im Studio war sie allerdings nicht. Wir haben ihr die entsprechenden Soundfiles geschickt und sie hat dann den Song nach meinen Vorgaben eingesungen und uns zurückgeschickt.
Während der Produktion zu eurem letzten Album „Remagine“ hatte euer Drummer Andre Borgman mit einer Krebs-Erkrankung zu kämpfen und musste eine schwierige Operation über sich ergehen lassen. Wie geht es ihm heute? Ist der Krebs endültig besiegt?
Er hat die Operation gut überstanden und ist erstaunlich schnell wieder auf die Beine gekommen. So konnten wir uns bald darauf wieder ganz auf die umfassenden Tour-Aktivitäten konzentrieren. Und wie es scheint kommt der Krebs auch nicht zurück, so dass er seitdem wieder völlig genesen ist, also toi toi toi! (klopft dreimal auf den Tisch)
Wie sehen eure Tour-Aktivitäten in diesem Jahr aus?
Wir werden als nächstes die „Earthshaker Roadshock“-Tour mit FINNTROLL, DIE APOKALYPTISCHEN REITER, TAROT, MACHINE MEN und ALL ENDS bestreiten. Dann werden wir im Sommer auf einigen Festivals spielen und wollen danach noch eine Headliner-Tour in Angriff nehmen. Ihr werdet also viele Gelegenheiten haben, uns live auf der Bühne zu sehen.
Da freue ich mich schon drauf, denn euren Gig auf dem „Earthshaker Fest 2005“ habe ich leider wegen MANOWARs Extravaganzen verpasst, dafür erinnere ich mich noch bestens an die coole Show, eurer „Invisible Circles“-Tour im Aalener „Rock It“.
Erinnere mich bloß nicht daran! Die Show war ok, aber der Club heißt bei uns seitdem nur noch „Fuck It“, weil uns die Veranstalter dementsprechend mies behandelt haben. Wir wurden erst viel zu spät hineingelassen, mussten also ewig draußen im Bus warten, und bekamen nicht einmal etwas zu essen.
Eure Musik weist große Parallelen zu NIGHTWISH und WITHIN TEMPTATION auf. Haben diese Bands einen großen Einfluss auf euch?
Es wäre nicht sonderlich cool, wenn wir versuchen würden Bands aus demselben musikalischen Genre zu kopieren. Dafür ist unser Sound auch viel zu eigenständig. Aber natürlich bleibt alles, was du hörst – ob das nun irgendwelche Musik aus dem Radio oder eben NIGHTWISH ist – in deinem Kopf hängen und inspiriert dich. Coole Sachen, die funktionieren, tauchen so in deiner eigenen Musik wieder auf und natürlich klingt manches in unserer Musik nach NIGHTWISH, aber es ist nicht so, dass wir versuchen, sie zu kopieren. Es ist einfach wichtig, dass jede Band einen eigenständigen Sound hat, auch wenn sie sich im selben Genre bewegt wie andere Bands.
Von den Erfolgen, die NIGHTWISH und WITHIN TEMPTATION in den letzten Jahren hatten, konnten aber bestimmt auch AFTER FOREVER profitieren. Bestimmt habt ihr auch über diese Bands viele neue Fans gewinnen können.
Ja, natürlich. Das hat schon viele Türen geöffnet. Aber nicht nur die Fans, auch bei den Bookings für Clubshows und Festivals kann man das beobachten. Wenn die Veranstalter mit NIGHTWISH und WITHIN TEMPTATION Erfolg hatten, halten sie im nächsten Jahr nach Bands aus demselben Genre Ausschau. Da hat sich einfach eine Szene gebildet, an der ein Interesse besteht, und davon profitieren wir natürlich auch.
Hast du dir überlegt, wie es wäre, dich als neue NIGHTWISH-Sängerin zu bewerben und die Nachfolge von Tarja Turunen anzutreten?
Das kam für mich überhaupt nicht in Frage. Klar macht man sich da Gedanken, wie es wäre, mit einer so erfolgreichen großen Band zusammenzuarbeiten, aber ich bin seit meiner Schulzeit die Sängerin von AFTER FOREVER und wir sind zusammen groß geworden. Die Band ist für mich so etwas wie „mein Baby“, da ist die Bindung einfach zu eng, als dass ich ernsthaft darüber nachdenken würde, die Band zu verlassen, um in die Fußstapfen einer anderen Sängerin zu treten und anderer Leute Lieder zu singen.
Glaubst du, dass ihr bereit für den ganz großen Durchbruch seid und an die Erfolge der genannten Bands anzuknüpfen?
Ich hoffe es natürlich und ich weiß, dass wir dazu bereit sind. Wir haben hart für unseren Erfolg gearbeitet. Unsere ersten vier Alben haben wir ja über ein kleines, holländisches Independent-Label veröffentlicht (Transmission Records – Anm. d. A.), jetzt arbeiten wir mit der großen, gut geölten internationalen Metal-Maschinerie „Nuclear Blast“ zusammen. Das eröffnet uns natürlich ganz neue Möglichkeiten und wir veröffentlichen nun unser bislang stärkstes Album. Wir sind über die Jahre zu einer erfahrenen Band herangereift, die weiß, was sie will und jetzt in neue Dimensionen vorstoßen will. Ich fühle mich bestens vorbereitet, den nächsten Schritt zu unternehmen. Natürlich wäre es großartig, in die Größenordnung von Nightwish vorzudringen, aber im Moment ist uns jeder weitere Schritt nach vorne hochwillkommen.
Je größer eine Band wird, desto mehr nimmt aber auch der ganze Business-Kram zu, so dass man sich immer weniger auf die eigentliche Musik konzentrieren kann.
Das passiert uns aber jetzt schon. Diese Entwicklung ist einfach unvermeidlich. Und diesen ganzen Business-Kram sauber zu erledigen ist genauso wichtig wie gute Musik zu machen. Es macht mir zwar auch mehr Spaß, Musik zu machen, als mich um die geschäftlichen Belange zu kümmern, aber ich finde es wichtig, dass jeder in der Band darüber bescheid weiß, was hinter den Kulissen so abgeht. Wir sind alle ein Teil der Musikindustrie und auch wenn man darauf noch so wenig Lust hat, gehört das auch zu unserem Job als Musiker dazu – so lange es natürlich nicht überhand nimmt, aber das ist etwas, was man selbst kontrollieren kann.
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