Accept
"Wenn wir mal ehrlich sind, sind Texte im Metal sekundär."

Interview

ACCEPT veröffentlichen seit ihrem Comebackalbum „Blood Of The Nations“ konstant hochqualitative Scheiben. Mit „Humanoid“  erscheint ihr 17. Studiowerk – Nummer 6 seit der Wiedervereinigung. Wir sprachen mit einem gut aufgelegten Wolf Hoffmann über die Kernthemen der Platte, den Labelwechsel und die Zukunft der Band.

Hi Wolf! Mit dem Aufstieg künstlicher Intelligenz seid ihr mit „Humanoid“ am Puls der Zeit. Habt ihr dieses Thema deswegen für die Platte ausgewählt?

Es ist ein bisschen Zufall dabei. Wir haben den Song gewählt, weil ich ihn für einen sehr guten Albumtitel halte. Er passt auch gut in die heutige Zeit, aber ich gestehe, dass das Thema nachdem der Titel feststand noch relevanter geworden ist. Wir haben das Album letzten Sommer aufgenommen und im August den Titel festgelegt. Seitdem wird das Thema immer spannender.

Zudem ist es eine Fortsetzung des Albums „Metal Heart“ von vor 40 Jahren, auf dem wir über ein ähnliches Thema gesprochen haben. Da war die Form noch gröber, mit mechanischen Herzen und Metallherzen. Deswegen haben wir dem Roboter auf dem Albumcover ein „Metal Heart“ verpasst – das schließt den Kreis. Wenn wir einen „Humanoid“ erschaffen, dann muss er auch ein „Metal Heart“ haben.

Ja, das ist schon krass, was KI mittlerweile kann.

Ich habe vor kurzem noch gesagt, dass KI ein Werkzeug wird, das wir alle benutzen und wir uns damit auseinandersetzen müssen. Jetzt habe ich von einer Website gehört, auf der man mithilfe von KI Songs entwerfen kann und das ist schon wahnsinnig gut. Da frage ich mich, wie weit die Technologie in ein, zwei Jahren sein wird? Mir ist da ein bisschen flau geworden. Als Künstler fragst du dich, wofür du den ganzen Kram machst, wenn du auch auf einen Knopf drücken kannst und es kommt etwas Brauchbares heraus. Das ist erschreckend, aber die Katze ist aus dem Sack und du kannst die Zeit nicht mehr zurückdrehen.

Ein großes Diskussionsthema sind auch KI-generierte Albumcover.

Natürlich, das passiert schon lange. Wir werden ein Video rausbringen, das mit KI gemacht wurde. Das ist Absicht, weil es zum Thema des Albums passt, aber es ist schon Wahnsinn, was dabei herauskommt.

Wie abhängig seid ihr denn von Technologie? Trefft ihr euch zum Songwriting old-school offline oder modern online?

An unserer Arbeitsweise hat sich nichts geändert, wir haben uns zum Songwriting immer persönlich getroffen. Als „Blood Of The Nations“ vor 14 Jahren rauskam, haben Peter [Baltes, ehemaliger Bassist, Anm. d. Red] und ich öfters geskypt oder uns Files geschickt. Aber ich habe damals schon festgestellt, dass das ein zäher Prozess ist und nirgends hinführt.

Wenn sich Musiker zusammensetzen, dann kann ich dir schwören, dass sie am Ende des Tages einen Song fertig haben. Wenn wir uns die Daten hin- und herschicken, dann geht wochenlang nichts voran. Da gibt es keine Spontanität und kein direktes Feedback – für uns ist das indiskutabel. Wir treffen uns immer mit Andy Sneap hier in Nashville und spielen die Instrumente ein. Es ist nicht immer die ganze Band dabei, aber der Produzent schon.

Klar, wir sind abhängig von Technologie, denn wir nehmen mit Pro Tools und Laptops auf, aber nicht mehr als zuvor. Durch KI hat sich bei uns gar nichts geändert. Wir sind in der Hinsicht relativ old-school, auch wenn wir als Band in alle Winde verstreut sind. Irgendjemand muss immer fliegen, wenn wir uns treffen. Das ist ganz normal für eine Band, die es so lange gibt wie uns. Die Zeiten, in denen fünf Jungs in einem Ort gewohnt und sich getroffen haben, sind vorbei.

Du bist nun das einzige ACCEPT-Mitglied, das schon vor der großen Reunion Teil der Band war. Wie fühlt sich das derzeitige Lineup für dich an?

Super! Wir haben seit einiger Zeit drei Gitarristen und das ist echt toll. In den 90er-Jahren war ich der einzige Gitarrist, seit unserer Reunion waren wir zu zweit und jetzt ist Phil [Philip Shouse, Anm. d. Red.] noch dabei. Bei der Studioarbeit hat sich nicht viel geändert, denn jedes Album hat mehr als drei Gitarrentracks, aber live macht das einen riesigen Unterschied. Bis auf weiteres wird das so bleiben.

Warum seid ihr nach so langer Zeit von Nuclear Blast zu Napalm Records gewechselt?

Das hat einen einfachen Grund: Nuclear Blast wurde an eine große Firma namens Believe verkauft und da hat sich mit einem Schlag alles geändert. Es gab den Familienbetrieb, bei dem wir damals unterschrieben haben, nicht mehr. Zu dem Zeitpunkt war unser Vertrag ausgelaufen und Napalm hat uns ein gutes Angebot gemacht. Wir merkten, dass Napalm eine Firma ist, wie sie Nuclear Blast damals war, vielleicht sogar noch motivierter und besser. Die Zusammenarbeit hat gerade erst begonnen, aber bisher sind wir total zufrieden.

Neben KI und Technologie habt ihr auf „Humanoid“ noch andere Themen, wie zum Beispiel Fannähe oder mit „Straight Up Jack“ sogar ein Trinklied. Wie wichtig sind die Lyrics im Gesamtkonstrukt von ACCEPT?

Für mich als Gitarrist geht es hauptsächlich um die Musik, denn ich bin kein Dichter. Aber natürlich muss jedes Stück von etwas handeln und ich habe schon immer gesagt, dass es eine vertane Chance ist, wenn man über Lappalien singt. Wir haben uns bei ACCEPT schon immer dafür entschieden, nur über Dinge zu schreiben, die uns selbst bewegen. Darum jetzt „Humanoid“, dessen Thema gerade voll im Trend ist. Manchmal gibt es auch leichtere Texte wie „Straight Up Jack“, den Mark geschrieben hat. Ich habe die Musik dazu nachträglich gemacht. Ich finde es super, wenn ein Text eine richtige Story hat und greifbar ist.

Wenn wir mal ehrlich sind, sind Texte im Metal sekundär. Es wird nie so viel darüber geredet wie in Interviews, weil man gerne über etwas spricht und den Inhalt der Songs abarbeitet. Ich würde nicht sagen, dass den Fans das nicht wichtig ist, aber meines Erachtens geht es mehr um die Musik.

Wir machen auch nie Konzeptalben, wir schreiben die Lieder, wie sie uns in den Kopf kommen. Wenn wir die besten Stücke zusammen haben, ist das Album fertig. Daher kannst du nicht vorhersehen, wie das Album ausfällt. Es wird ein bunt gemischter Haufen an Stücken, die thematisch nichts miteinander zu tun haben.

Ich las in einem Interview, dass du dich beim Musizieren noch wie der Sechzehnjährige von damals fühlst, der im Proberaum jammt, aber die Zeit für keinen stehenbleibt. Was glaubst du, wie lange ihr diese ausgedehnten Touren mit ACCEPT noch durchziehen könnt?

Das habe ich ja in „Ravages Of Time“ verewigt. Ich wollte damit ausdrücken, dass ich mit 16 bei ACCEPT eingestiegen bin und jetzt immer noch dabei bin. Ich fühle mich mental noch wie damals, ich bin nicht gereift oder schlauer geworden – vielleicht habe ich etwas mehr Lebenserfahrung. Ich bin jetzt 64 und manchmal denkt man sich schon, wie viele Jahre einem noch bleiben und wie lange man das noch machen kann. Für mich steht fest, dass ich das machen möchte, bis es nicht mehr geht. Im günstigsten Fall ist das so lange, bis sie einen von der Bühne tragen oder man dort direkt einen Herzinfarkt kriegt.

Als Künstler ist sich zur Ruhe zu setzen keine verlockende Alternative. Bands wie die ROLLING STONES touren auch so lange es irgendwie geht. Die haben genug Geld, das kann kein Ansporn sein – die machen das, weil es Spaß macht. Das ist das Leben! Warum ist man auf dieser Welt? Weil man irgendwas besonders gut kann und deswegen gerne macht. Man setzt sich ja nur von Jobs, die man nicht gerne macht, zur Ruhe.

Quelle: Gespräch mit Wolf Hoffmann
03.05.2024

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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