Nucleus Torn
Interview mit FS zu "Neon Light Eternal": "Die bisherigen Alben waren ganz okay, schlussendlich aber nur Schritte auf dem Weg zum Ziel."

Interview

Nucleus Torn

Im November letzten Jahres haben die Schweizer Avantgardisten NUCLEUS TORN mit „Neon Light Eternal“ nicht nur ein beeindruckendes Album geschaffen, das konzeptionell an „Street Lights Fail“ anknüpft, sondern auch ihr Abschiedswerk vorgelegt. Bandkopf FS stellte sich unseren Fragen bezüglich der Konzeption beider Alben und der Auflösung der Band.

Hallo FS, wie geht es Euch?

FS: Nucleus Torn geht es blendend. Wir fühlen uns voll und ganz aufgelöst.

Zunächst einmal: Euer neues Album ist seit November erhältlich. Wie fiel denn das Feedback aus?

FS: Wir lesen überall etwas anderes. Die grundsätzliche Tendenz ist latent positiv, aber was heißt das schon bei NUCLEUS TORN. Einmal mehr wissen viele Rezensenten nicht, wie sie unsere Musik beschreiben sollen oder auch nur, ob sie sie richtig toll oder doof finden können/dürfen/sollen. Daran haben wir uns längstens gewöhnt.

Würdet Ihr sagen, dass das Album die Essenz bzw. die Konklusion Eures Schaffens darstellt? Oder würdet Ihr es eher als ein weiteres Kapitel bezeichnen?

FS: „Neon Light Eternal“ gehört bekanntlich eng zum Vorgänger „Street Lights Fail“. „Neon Light Eternal“ ergänzt, kontrastiert und komplettiert „Street Lights Fail“. Für mich persönlich sind diese beiden Alben zweifellos der Höhepunkt von NUCLEUS TORN. Sie ersetzen gewissermassen den Rest der Diskographie. Die bisherigen Alben waren ganz okay, schlussendlich aber nur Schritte auf dem Weg zum Ziel. Es sei angemerkt, dass gewisse Leute dies anders sehen.

Wie lange haben die Arbeiten am Album gedauert?

FS: Das kann man nicht so genau sagen. NUCLEUS TORN gingen nicht für drei Monate in den Proberaum, dann für einen Monat ins Studio. Das Songwriting für beide Alben (plus zwei weitere EPs) geschah primär von Sommer 2011-Sommer 2012 (es gab ein paar ältere Ideen, auf die wir zurückgegriffen haben), parallel dazu fanden ständig Aufnahmen statt. Zum Teil wurden neue Ideen sogleich aufgenommen, zumindest für die grundlegenden Tracks. Schritt für Schritt wurde ergänzt. Irgendwann in 2014 habe ich den Mix abgeschlossen, im folgenden Jahr folgten noch die letzten Korrekturen des Surround-Mixes (zu hören auf der Werkschau „Blowing up the Entire World“).

Liefen die Aufnahmen gut oder gab es Probleme?

FS: Es gab keine nennenswerten Schwierigkeiten. Egal was wir versucht haben, es hat geklappt. Entsprechend zufrieden sind wir mit dem Resultat.

Was hat Dich dazu inspiriert, Euer Album so klingen zu lassen?

FS: Zum einen höre ich persönlich eine sagenhaft produzierte, experimentelle Rockplatte mit einer großen stilistischen Bandbreite und einer eindringlichen Atmosphäre. Wenn ich „Street Lights Fail“/“Neon Light Eternal“ höre, stoppe ich die Wiedergabe nicht, das geschieht bei kaum einer Platte. „Street Lights Fail“/“Neon Light Eternal“ gehört m. E. zu den fünf besten progressiven Rockalben seit Mitte der 70er Jahre.

Zum anderen haben wir im Vergleich zu den früheren Alben (v. a. zu „Nihil“ bis „Andromeda Awaiting„) jegliche eskapistische Elemente über Bord geworfen. „Street Lights Fail“/“Neon Light Eternal“ konfrontiert die Realität in all den Facetten, die mir künstlerisch relevant erschienen. Gleichzeitig würdigt die Musik all jene Aspekte des Daseins, die Würdigung verdienen. Kunst ist gelebte Spiritualität. Wie sich das „so“ anhört, muss jede/jeder für sich herausfinden.

Konzeptionell hängt dieses Album mit dem letzten, „Street Lights Fail“, zusammen. Wie genau äußert sich das?

FS: Sowohl in textlicher, musikalischer und nicht zuletzt auch in gestalterischer Hinsicht. Es handelt sich um ein Doppelalbum. Unter anderen Umständen hätten wir „Street Lights Fail“/“Neon Light Eternal“ wohl zusammen veröffentlicht (auf DVD bspw. sind die beiden Platten vereinigt). Es gab aber 2014 genug Gründe, die Musik zu teilen, ergo haben wir dies getan. Weder NUCLEUS TORN noch Prophecy Productions können davon ausgehen, dass heute noch irgendjemand 40 Minuten quergeistige Musik entsprechend zu hören vermag. Völlig unrealistisch wäre das bei 80 Minuten gewesen. Apropos: Als ich „Street Lights Fail“ fertig gestellt habe, waren es insgesamt noch 82 Minuten. Das Set hätte nicht auf eine CD gepasst. Nach der später erfolgten Kürzung von „Neon Light Eternal“ wäre es wohl möglich gewesen.

Ihr blickt nunmehr auf 18 Jahre Bandgeschichte zurück. Hat bei Euch bereits so etwas wie Wehmut eingesetzt ob der anstehenden Auflösung?

FS: Im Gegenteil. Ich bin froh, dass es vorbei ist – und zwar auf dem Höhepunkt. Mit „Street Lights Fail“/“Neon Light Eternal“ habe ich meine Ziele in diesem musikalischen Bereich erfüllt, meinen Beitrag zur „Rockmusik“ im weiteren Sinne geliefert und konzentriere mich vorerst auf andere Aspekte des Lebens, auch musikalisch. Es gibt noch viel zu entdecken und zu kultivieren.

Auf der Labelseite heißt es, der Gedanke, die Band aufzulösen, sei Dir beim Schreiben dieser Zwei-Alben-Konzeption gekommen. Wie hat sich dieser Gedankengang denn entwickelt?

FS: Eigentlich war NUCLEUS TORN schon vor dem Songwriting für „Street Lights Fail“/“Neon Light Eternal“ am Ende angelangt. Es hat mich im Sommer 2011 völlig überrascht, dass ich derartig viele und v. a. gute Ideen hatte. Ich „wollte“ gewiss keine Platte mehr schreiben und aufnehmen. Ich war aber offen dafür, einen „Auftrag“ anzunehmen und ihn nach bestem Wissen und Gewissen auszuführen. Gesagt, getan. Nun weiss ich, wie sich echte Inspiration anfühlt. Heute fehlt mir diese völlig. Klar, ich könnte Fabrikarbeit leisten und ein sehr gutes Werk abliefern. Dazu fehlt mir aber eine klare künstlerische Perspektive. Ebensowenig möchte ich mir einbilden, dass das Resultat irgend eine Relevanz haben könnte. So gut wie „Street Lights Fail“/“Neon Light Eternal“ wäre es wohl kaum.

Weiterhin heißt es, Du würdest zehn Jahre Abstand vom Songwriting nehmen. Schließt das diverse andere, musikalische Tätigkeiten mit ein?

FS: Keinesfalls. Ich arbeite als Klavier- und Orgellehrer, als Kirchenmusiker und Session Musiker in verschiedenen Feldern von klassischer Musik (am liebsten Barock), Folk bis Metal. Diese Frage irritiert mich immer wieder, weil sie mir viel öfter gestellt wird als ich erwartet hätte (Du hast sie immerhin präzise formuliert). Songwriting ist ein kleiner, aber problematischer Teilbereich meines musikalischen Schaffens. Wie gesagt, einerseits ist es eine Frage der fehlenden künstlerischen Perspektive. Andererseits weiche ich einer allgemeinen Problematik nicht aus: Rockmusik ist alt. Ich verstehe mich als Totengräber (es gibt mehrere) der Rockmusik. Rockmusik muss vollendet und abgeschlossen werden. Dringend. Der Gedanke, einen Song oder ein Album zu schreiben, aufzunehmen und zu veröffentlichen, erscheint mir je länger je mehr absurd. Beide Formate sind überholt. Musik auf Tonträger ist sowieso obsolet, wenn man mal davon absieht, dass es nach wie vor ein paar Leuten ermöglicht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das ist legitim. Aber ob Menschen anfangs des 21. Jahrhunderts überhaupt noch NEUE Musik (nicht professionell fabrizierte Retortensch****e inkl. sämtlichem Retroquatsch), von Menschen gemacht und gespielt, konzentriert hören und bezahlen wollen – i. e. als eine Form von kulturellem Grundnahrungsmittel brauchen und vergüten – muss zuerst noch herausgefunden werden. Evtl. genügt es schlicht, wenn das Vermächtnis der Vergangenheit überall, jederzeit und kostenlos verfübar ist. Ich nehme mich lieber aus der Gleichung heraus, bevor es so richtig peinlich wird. Als Künstler interessiert mich nämlich nur noch NEUE Musik. Klang mit Perspektive. Gebrauchsmusik ist ja gut und recht, dann höre ich aber weit lieber die Bands aus der Zeit, als die entsprechenden Ideen eben noch NEU waren, bspw. die Beatles, Genesis oder King Crimson. Es ist an der Zeit, das Erbe der vergangenen Jahre zu geniessen statt die Welt mit noch mehr Lärm zu verschmutzen. Jede Pseudo-AC/DC-Band macht Rock ein bisschen kaputt. Jede Retro-Progband arbeitet an der Erosion von Prog. Oder man schaue sich Black Metal an: ein Kommentar erübrigt sich. In allen drei Beispielen handelt es sich um einen konsequenten Verdünnungsprozess. Ich habe mit NT dagegen versucht, einen Beitrag zur Essenz zu liefern, nicht zum Lösungsmittel. Sollte ich das nicht wieder können, bleibe ich im Hintergrund.

Vielen Dank

08.02.2016

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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