Obscura
Interview mit Steffen Kummerer

Interview

Obscura

Rechtzeitig zum Release des vierten OBSCURA-Albums „Akróasis“ hatten wir die Möglichkeit, ein ausführliches Interview mit Bandleader Steffen Kummerer zu führen. Behandelt wird darin die aktuelle Besetzung und die Streitigkeiten mit Tom Geldschläger, das lyrische Konzept hinter den Alben, musikalische Identität und was es heißt, von Musik leben zu wollen. Außerdem kamen wir darauf zu sprechen und ob sich Bands mit akademischen Hintergrund von anderen Gruppen unterscheiden und wie lange es OBSCURA noch geben wird.

Kurz zusammengefasst beschäftigen sich eure Texte mit astrophysischen und bisher mäßig erklärbaren Phänomenen, kommt das ungefähr hin?
Jein – ich muss da etwas weiter ausholen. Als wir damals die Band gestartet haben, war uns der ganze Death-Metal-Überbau etwas zu langweilig. Wir waren der hunderttausendsten Massenmörder-Geschichte oder wie in der zweiten Person irgendwer irgendwem die Gedärme aus dem Bauch reißt, überdrüssig. Das war uns einfach zu fad. Als ich die ersten Texte schrieb war ich etwa 18, 19 Jahre alt und dem Englischen nicht ganz so mächtig. Ich bin in die Texte mehr oder weniger „reingewachsen“. Verfestigt hat sich das, als wir unser zweites Album („Cosmogenesis“ (Anm. d. Red.)) aufnahmen. Das war auch das erste richtige Label-Release. Da haben wir allerdings gleich losgelegt und ein Vier-Alben-Konzept aufgestellt. Das heißt, „Akróasis“ ist Album Nummer drei aus diesem Zyklus.

Ein mehrschichtiger Zyklus bestehend aus dem astrophysischen Aspekt, Ansicht aus diversen Religionen, was auf „Akróasis“ nochmal deutlicher zum Tragen kommt und natürlich der eigenen Interpretation des philosophischen Überbaus, den ich mir aus verschiedenen Büchern unterschiedlicher Naturalisten gezogen habe. Das versuche ich zusammenzumengen und interessant zu halten, damit die Texte der Musik in nichts nachstehen, Sodass man sich, wie in die Musik, fallen lassen und auf verschiedene Ansichten aus fünftausend Jahren Zeitgeschichte blicken kann.
„Akróasis“ basiert auf einem Konzept, dass in sich verlinkt ist. Und alle vier Alben, angefangen bei der „Cosmogenesis“ bis zum nächsten sind auf visueller Basis, den Artworks, der behandelten Thematik, den Farben und Fotos sowie der Musik ineinander verwoben. Es ist ziemlich schräg und ich kenne wenig Bands, die sowas gemacht haben. Wir ziehen unsere Inspiration dafür nicht nur aus dem Tech Death. Wir haben beispielsweise auf der „Cosmogenesis“ versucht, für die einzelnen Mitglieder Symbole zu entwickeln, was letztendlich nicht so gut geklappt hat – was wir von LED ZEPPELIN haben.

Symbole im Sinne von grafischen Motiven?
Ja genau, aber das kam durch den Grafiker nicht so gut zum Tragen, weshalb wir die Idee wieder fallengelassen haben. Wir arbeiten immer mit demselben Team: mit Orion Landau, einem Künstler aus den USA, der sehr viel für Relapse-Bands arbeitet (u. a. DYING FETUS, NILE). Er blickt auch gern über den Tellerrand und hat unter anderem für Apple Installationen auf dem Times Square gemacht und steckt nicht nur in der Death-Metal-Szene drin. Ich finde es interessant, wenn man einerseits sieht, wo man herkommt, die Basis dabei belässt und als Metalband eine Metalband bleibt aber trotzdem andere Einflüsse zulässt. Bei IN FLAMES zum Beispiel war es mir persönlich etwas zu viel. Die haben den Blick für das Wesentliche verloren. Die letzten zwei, drei Platten finde ich in Ordnung, haben jedoch wenig mit der Band zu tun und mir ist wichtig, dass man auf verschiedenen Ebenen die Band noch raushört. Bei KREATOR, BELPHEGOR oder SODOM schmeißt du eine CD in den Player und du weißt nach zehn Sekunden, welche Band da spielt und diese eigene Identität wollten wir schaffen – musikalisch, lyrisch und visuell.

Na ja, provokant gesagt ist Anders Fridén eher die identitätsstiftende Konstante bei IN FLAMES als die Melodic-Death-Wurzeln.
Ich hab‘ mir gerade den Backkatalog von IN FLAMES gekauft und man sieht auf jeden Fall zwei verschiedene Abschnitte.

Absolut. Das finde ich allerdings auch gut. Zwar konnte ich mit „Siren Charms“ nicht mehr viel anfangen, der Wandel allerdings ist sehr spannend und Musiker mögen es doch als allerletztes, wenn sie sich permanent wiederholen.
Klar, das stimmt. Es bleibt die Frage, inwiefern man sich, wie man so schön sagt, weiterentwickeln kann ohne die Wurzeln zu verlieren. Ich meine, dass ist eine schmale Gratwanderung. Es gibt eigentlich kaum eine Band, die immer nach der gleichen Formel Alben schreibt. Das wird ja auch langweilig. Nicht nur den Fans, sondern auch den Musikern.

Hilfreich ist es da, wenn man von vornherein ein breites Spektrum auffährt, was bestimmte Tendenzen ermöglicht, nach denen man sich entwickeln kann – dass eine mehr ausbauen auf Kosten eines anderen. So wie beispielsweise DIABLO SWING ORCHESTRA, wo man weiß, dass das nächste Album oder nächste Song auf jeden Fall anders klingen wird.
Von denen kenne ich nur zwei Alben. Das klang alles ziemlich schräg. Ob man alles in einem in einem Song verbraten muss, weiß ich nicht. In diesem Sinne ist mehr hier einfach mehr. Wie gesagt, jede Band schreibt was sie für richtig hält und es ist generell schwer, von Musik zu überleben und das macht die Musiker oft kreativer und etwas unabhängiger. Da man damit rechnen muss, regulär zu arbeiten oder andere Tätigkeitsfelder aufzutun, um seine Rechnungen zu bezahlen, sind, glaube ich, in letzter Zeit Konventionen weiter unter den Tisch gefallen – und das finde ich gut! Da kann man sich freier ausleben. Es gibt diese alten Geschichten aus den Achtziger-, Neunziger-Jahren mit irgendwelchen Knebelverträgen von den großen Major-Plattenfirmen, die zusätzlich in die Musik reingequatscht haben, und das hab‘ ich seit bestimmt zehn Jahren nicht mehr gehört.

Mittlerweile könnt ihr doch bestimmt von der Musik leben, oder?

Die Frage ist, wie man leben möchte. Wir haben uns die Frage in den vergangenen drei, vier Jahren oft gestellt, denn wir wären auf dem Niveau, von OBSCURA leben zu können aber wir müssten da einige Kompromisse eingehen, die wir nicht eingehen möchten. Wir müssten beispielsweise mehr touren. Wir haben jetzt pro Album etwa 160 Konzerte gespielt – da müsste man am Rad drehen. Das Merchandise müsste teurer verkauft werden, wir müssten mit anderen Plattenfirmen, anderen Booking-Agenturen arbeiten, um mehr Leute zu erreichen, Konzerte spielen, die man nicht spielen möchte, mit Bands, hinter denen man nicht steht oder die man für fragwürdig hält. Wollten wir von der Band leben, müssten wir alle etwa auf Studenten-Niveau runter – jeder würde in einer Einzimmerwohnung irgendwo am Stadtrand leben und machte nur Musik. Wir sind alle 30 und älter. Ich habe Familie, habe studiert und möchte das mit der Musik vereinen. Ich habe lieber die Freiheit, tun und lassen zu können was ich möchte, Alben rauszubringen wann ich möchte und nicht alle zwei Jahre ein neues Produkt auf den Markt zu schmeißen, nur um einen Grund zu haben wieder auf Tour gehen zu können und 30, 40 Euro für ein T-Shirt zu verlangen. Das würde ich selber als Fan nicht bezahlen wollen. Da sind wir uns selber gegenüber lieber treu.

Es gibt viele Bands die gut davon leben können und das auch gut machen. Im Death-Metal-Bereich gibt’s aber nicht sehr viele. CANNIBAL CORPSE oder BLACK DAHLIA MURDER spielen zwischen zwei- und dreihundert Konzerte im Jahr, wir suchen uns lieber die Sachen raus, die wir tun möchten: Südamerika und Asien zum Beispiel. Irgendwann übersättigt man auch den Markt. Ich erinnere mich, vor acht, neun Jahren, da waren auf den Festivals immer dieselben Bands und CANNIBAL CORPSE haben an jeder Steckdose gespielt. Seit den vergangenen vier Jahren kannst du die Festival-Headliner an nicht mal zwei Händen abzählen. Ich möchte die Leute nicht übersättigen. Wenn wir eine Headliner-Tour spielen, dann suchen wir die Bands selber aus und stellen ein schönes Paket zusammen und wollen das etwa alle zwei Jahre machen, damit es für die Leute auch etwas Besondere ist, zu den Konzerten zu gehen. Der ganze Markt ist sowieso völlig übersättigt. In München kannst du in den harten Monaten, von Oktober bis März zu bestimmt siebenundzwanzig bis dreißig Konzerten im Monat gehen, mit irgendeinem Metalbezug. Das ist schon krass.

Übersättigung ist meiner Meinung nach ein Thema, was insbesondere im Tech Death musikalisch stattfindet, da auf enorm hohem Tempo musiziert wird. In erster Linie ist es einfach viel, was der Hörer „verdauen“ muss. Wie, würdest du sagen, kann man dem entgegnen, dass man nicht von der schieren Masse an Tönen erschlagen wird?
Ich finde, man kann einfach mal vom Gaspedal runtergehen und nicht nur „ins Gesicht produzieren“, die Dynamik des Mixens ausreizen. Viele Tech-Death-Bands arbeiten nach dem Prinzip „höher, schneller, weiter“, aber man muss den Leuten nicht beweisen, dass man spielen kann. Daher finde ich es viel interessanter, beispielsweise Akustikgitarren miteinzubringen. Dazu haben wir uns bewusst ab dem zweiten Album entschieden, um musikalisch weitere Farbe ins Spiel zu bringen. Wenn man sich im Tech Death auf zwei Gitarren, Bass, einen eintönig dahinplärrenden Sänger und Blast-Beats limitiert, wird es schnell langweilig. Dann ermüdet auch der Hörer nach dem zweiten oder dritten Song. Ich versuche, das Ganze durch ruhige Teile oder andere Instrumente aufzufrischen. Auf der vorangegangenen Platte hatten wir ein Monochord oder eine Oud. Aber die meisten Tech-Death-Bands haben einfach kein Budget, um in ein ordentliches Studio zu gehen. Das endet dann schnell in den gleichen Drum-Trigger-Pads, denselben Samples und klingt dementsprechend schnell eintönig. Was wir gemacht haben, um den Sound natürlich zu halten, ist, dass wir nur analoges Equipment verwendet haben. Wir haben nur unser Live-Equipment verwendet und keine tot klingenden Digital-Amps, die eine ganz andere dynamische Ansprache haben. Wir haben es möglichst natürlich angehen lassen und uns an den großen Rockproduktionen von Ende der Neunziger, wie beispielsweise SOUNDGARDEN, orientiert, um eine größere Tiefe zu erzeugen. Bei den meisten Underground-Produktionen werden die Spuren im Panorama nur nach links und rechts gelegt. Wir haben mit Delay-Lines gearbeitet, also zum Beispiel die Drums „nach hinten“ verlagert. Hört man sich die Platte mit herkömmlichen Kopfhörern an, kann man jeden Musiker rauspicken und sozusagen draufzeigen wo jemand steht. Deshalb ergeben sich auch im Mix noch Möglichkeiten für die Arrangements eines Albums.

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25.01.2016

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