Árstí∂ir lífsins
Interview mit Stéfan zu "Þættir úr sögu norðrs"

Interview

Árstí?ir lífsins

Das isländisch-deutsche Projekt ÁRSTÍÐIR LÍFSINS hat kürzlich eine neue EP namens „Þættir úr Sögu Norðrs“ veröffentlicht. Diese beinhaltet bei knapp 23 Minuten Spielzeit drei epische Stücke, welche wieder einmal in Altisländisch vorgetragen werden, in ihnen geht es thematisch um die Historie des Nordens, musikalisch zelebriert die Band ihre eigene Mischung aus atmosphärischem Black Metal und nordischer Folklore mit viel Tiefgang und Leidenschaft. Wir sprachen mit Fronter Stéfan.

Árstí?ir lífsins

Welche Bedeutung steckt hinter dem Titel eurer neuen EP „Þættir úr sögu norðrs“?

„Þættir úr sögu norðrs“ ist Altisländisch und bedeutet in etwa „(Kurz-)Erzählungen aus der Geschichte des Nordens“. Der Name der EP ist sehr allgemein gewählt, da neben einem stark mythologischen Gedicht aus dem westaltnordischen Hochmittelalter („Þórsdrápa“) eben auch ein selbstverfasster Text vorhanden ist („Hrafns þáttr réttláta“), welcher thematisch von einer (fiktiven) Blutfehde des isländischen 10.-11. Jahrhunderts erzählt und daher nur wenige Bezüge zur nordischen Mythologie aufweist.

Die ersten beiden Stücke „Þórsdrápa I“ und „Þórsdrápa II“ sollen zurückgehen ins mythische 10. Jahrhundert von Island. „Þórsdrápa“ ist eine Hommage an das Gedicht gleichen Namens, komponiert zu Ehren und Verehrung der heidnischen Gottheit Þórr. Was wird in diesem Gedicht erzählt? Und was kannst du uns über den Gott Þórr erzählen?

Der Inhalt der „Þórsdrápa“ („Preislied auf Þórr“) beschreibt, in aller Kürze, Þórs Fahrt zu Geirröðr und dem anschließenden Kampf mit dem Riesen. Die „Þórsdrápa“ ist gespickt mit einer außerordentlich großen Anzahl an Kenningar und anderen metaphorischen Umschreibungen aus Teilen der nordischen Mythologie. Deren Deutung ist in Teilen schwierig, da nicht alle kulturellen und mythologischen Hintergründe bekannt sind und daher einige Andeutungen unklar verbleiben. Dies ist insbesondere schade, da über Þórr, zumindest in den mittelalterlichen Quellen, vergleichsweise viel bekannt ist: zu nennen sei vor allem dessen zahlreich beschriebenen (und abgebildeten) Reisen nach Útgarðr und die anschließenden (Wett-)Kämpfe mit Riesen und/oder Loki, ebenso sein Schicksal im finalen Kampf des Ragnarök mit der Weltenschlange Jörmungandr auf dem Schlachtfeld von Iðavellir.

Es würde hier zu weit führen, sämtliche bedeutenden Charakteristiken und regionale wie literarische Besonderheiten Þórs zu erörtern, jedoch sollte erwähnt sein, dass er ohne Frage eine der zentralen Gottheiten der nordischen Mythologie darstellt. Er genoss wahrscheinlich in der landwirtschaftlichen Gesellschaft des mittelalterlichen Skandinaviens eine außerordentlich große Beliebtheit, wie die zahlreichen und vielfältigen Funde der Hammeranhänger und die vielen bekannten Ortsnamen (usw.) belegen. Jene kultische Verehrung Þórs schließt selbstverständlich auch einzelne aristokratische Herrschaftssitze mit ein, wie das Beispiel der „Þórsdrápa“ eindrucksvoll beweist.

Diese Stücke werden in Altisländisch gesungen und enthalten die originale Ausdrucksweise aus diesem 10. Jahrhundert des Skalden Eilífr Goðrúnarson. Wie habt ihr es geschafft, euch diese originale Ausdrucksweise anzueignen?

Es ist heute nur noch sehr fragmentarisch nachvollziehbar, wie Altisländisch genau gesprochen wurde. Von daher benutzen wir seit jeher die neuisländische Ausdrucksweise, wie sie auch von anderen isländischen Bands angewendet wird, etwa von Sólstafir, Fortíð oder Carpe Noctem. Unsere Version von Eilífs Preislied ist daher in einem gänzlich neumodischen Ausdruck gehalten, wenn auch der mythologische Inhalt und die teilweise ausufernde Benutzung der erwähnten Kenningar einen sehr archaischen Charakter besitzen.

Was hattet ihr als Quellen für die ersten beiden Stücke verwendet bzw. wie ist denn überhaupt die Quellenlage zu solch alten isländischen Erzählungen?

Die „Þórsdrápa“ ist in insgesamt 21 Strophen und Halbstrophen überliefert, welche großzügig verteilt in der „Skáldskaparmá“ des Snorri Sturluson zu finden sind. Eilífs „Þórsdrápa“ wurde ursprünglich Ende des 10. Jahrhunderts am Hofe des Ladejarls Hákon Sigurðsson (935–995) in der norwegischen Trøndelag gedichtet und stellt ein höfisches Preisgedicht im altwestnordischen Stabreimschema des Dróttkvætt dar, welches typisch für die skaldische Dichtung ist. Neben den 21 Versen von Eilífr sind noch weitere drei Halbstrophen bekannt, die von dem ansonsten unbekannten Skalden Eysteinn Valdason gedichtet wurden und auch in Snorris „Skáldskaparmál“ erwähnt werden. Hinzu kommt eine weitere Strophe und zwei Halbstrophen, die Namen von Riesen und Riesininnen enthalten, welche durch Þórr das Zeitliche segnen. Sie sind ebenfalls in der „Skáldskaparmál“ zu finden und ursprünglich von dem weiteren Skalden Þorbjörn dísaskáld gedichtet.

Allgemein haben skaldische Dichtungen nicht nur genuin mythologischen Inhalt, sondern beschreiben inhaltsvoll die Taten nordischer Könige oder die Fahrt derer nach Valhöll. Ebenfalls kann skaldischer Dichtung außerordentlich persönlicher Natur sein, etwa in Egill Skallagrímssons drei Gedichten in seiner bekannten (Isländer-)Saga („Egils saga Skallagrímssonar“). Skaldische Dichtungen sind daher vergleichsweise vielfältig überliefert, da sich diese entweder als geschlossene Dichtungen erhalten haben, oder in den Königs-, Isländer- und eben Skaldensagas wiederfinden. Ebenfalls sind die Dichter überwiegend bekannt.

Zu unterscheiden ist die skaldische Dichtung von der Eddischen Dichtung. Diese beinhaltet genuin mythologisches Material, der im Vergleich zur skaldischen Dichtung sehr direkt gedichtet wurde, vor allem aber anderen Reimschemata folgt. Eddische Dichtung ist komplett anonym überliefert und trotz ihrer hohen kulturellen Bedeutung in nur wenigen Gedichten erhalten geblieben. Überwiegend ist sie aus der Eddukvæði (Lieder-Edda) und, in Teilen, einigen weiteren Manuskripten (etwa Abschriften der Snorra Edda oder der Hauksbók) bekannt. Die „Þórsdrápa“ zählt, wie erwähnt, trotz ihres stark mythologischen Inhalts nicht zur eddischen Dichtung, sondern ist eine skaldische. Das zeigt sich bereits an dem genannten Versmaß und der im Vergleich zur eddischen Dichtung sehr abstrakten Ausdrucksweise von Eilífr.

„Hrafns þáttr Réttláta“, übersetzt die Geschichte von Hrafn dem Gerechten, repräsentiert einen anderen, älteren Aspekt der mittelalterlichen isländischen Literatur. Sowohl das lyrische Konzept als auch die Aufnahmen selbst sollen zurückgehen auf das zweite ÁRSTÍÐIR LÍFSINS Album „Vápna Lækjar Eldr“, welches sich mit dem Thema Blutfehden zwischen Familien des 10. Jahrhunderts in Island beschäftigte. Auf „Hrafns þáttr Réttláta“ wird eine ähnlich inspirierte Geschichte präsentiert. Bitte erzähle sie uns!

„Hrafns þáttr réttláta“ erzählt die (fiktionale) Geschichte eines höfðingi, also einem rechtssprechenden Bauern im isländischen 10. Jahrhundert, der sog. Saga-Zeit Islands (930–1030/50). Nachdem Hrafn von einem Sklaven ermordet wurde, wird aus Sicht seiner Familie von seinen Taten und persönlichen Eigenschaften berichtet. Nachdem er jedoch beerdigt worden ist, bricht erneut dieselbe Blutfehde hervor, welche auch den Tod Hrafns forderte. Deren Ausgang bleibt im Ende des Songs offen. Sowohl die beschriebenen Eigenschaften von Hrafn als auch der schicksalshafte Verlauf der Geschichte wird in einem mythologischen Rahmen beschrieben und weist dadurch einen starken Bezug zur inhaltlichen Struktur vieler Isländersagas auf – ganz im Sinne von „Vápna lækjar eldr“, das stimmt.

Der Songtext für dieses Stück stammt von Georg, welcher euch verlassen hat. Was waren die Gründe hierfür?

Georg hatte mit der Zeit mehr und mehr das Interesse an der Band verloren und erklärte kurz vor den Aufnahmen zu der EP und dem kommenden Album im August 2013, dass er lieber die Band gleich komplett verlassen möchte, als halbherzig noch für eine Weile dabei zu sein. Wir verstehen seine Entscheidung zwar vollends, finden es aber natürlich sehr schade, dass er uns verlassen hat. Immerhin ist seine Stimme eine außerordentlich eigenständige und sehr atmosphärische Komponente der bisherigen Veröffentlichungen gewesen. Ab davon bleibt er aber weiterhin ein enger Freund der Band. Georgs Weggang haben wir mittlerweile gut aufgewogen und nicht nur meiner eigenen Stimme, sondern auch den Chorarrangements wesentlich mehr Spielraum gegeben, als es noch auf den ersten beiden Alben der Fall gewesen ist.

In welchem Zeitraum entstanden die neuen Songs für „Þættir úr sögu norðrs“?

Die ersten zwei Songs („Þórsdrápa I & II“) wurden zusammen mit dem bald erscheinenden Album komponiert und aufgenommen. Das war grob zwischen Mai und September 2013. Der letzte Song („Hrafns þáttr réttláta“) wurde, wie erwähnt, bereits im Frühjahr und Sommer 2012 zusammen mit „Vápna lækjar eldr“ komponiert und aufgenommen. Den Song wollten wir ursprünglich schon früher veröffentlichen, jedoch hat sich nie die passende Möglichkeit ergeben. Im Rahmen von Georgs Weggang scheint es nun aber umso passender.

Wie siehst du die musikalische als auch lyrische Entwicklung von ÁRSTÍÐIR LÍFSINS?

Eine lyrische Entwicklung kann ich, ehrlich geschrieben, nicht feststellen. Die Geschichte, welche auf den Alben erzählt wird, ist bereits zu Beginn als eine solche geplant gewesen, welche fortlaufend von dem Schicksal(en) einer isländischen Familie des 10. und 11. Jahrhunderts erzählt. Dabei wird auf jedem Album ein besonderes Thema gewählt, was entweder literarisch oder eben kulturhistorisch von besonderer Bedeutung ist. Externe Veröffentlichungen wie die Split CD/LP mit HELRUNAR oder der kürzlich erschienenen EP weichen von der erzählten Geschichte ab und beinhalten zumeist mythologische Themen. Auch dies war bereits zur Gründung der Band 2008 geplant – und wird bis heute fortgeführt.

Musikalisch haben wir uns hingegen mit Sicherheit weiterentwickelt. Besonders mit den erwähnten Chorarrangements oder auch durch die verstärkte Einbindung klassischer Instrumente haben wir in den letzten Jahren einen großen, eigenständigen Schritt gemacht und ich freue mich schon sehr darauf zu erfahren, wo uns diese Entwicklung noch hinführen wird.

Kannst du uns schon einige Details vom kommenden Album verraten?

Das anstehende Album wird „Aldaföðr ok munka dróttinn“ heißen und wie die ersten beiden Alben neun Songs beinhalten. Das ganze wird im Spätsommer 2014 als Doppel-CD und Gatefold 2LP über Ván Records erscheinen (Gesamtspielzeit: ca. 82 min.). Wie gewohnt haben wir uns sehr bemüht, ein passendes und hochwertiges Artwork anzufertigen. Textlich wird auf dem Album die Geschichte und die Schicksale zweier Brüder erzählt, welche den geschilderten Mordbrand am Ende des zweiten Albums „Vápna lækjar eldr“ überleben. Beide wachsen in kulturell unterschiedlicher Umgebung auf und erleben auf ihre je eigene Weise eines der wichtigsten Ereignisse der isländischen Geschichte: die (größtenteils friedliche) Christianisierung um 999/1000. Um den historischen Charakter der Texte zu unterstreichen habe ich erneut ausgewählte skaldische Strophen aus etlichen Sagas, eddischen und skaldischen Gedichten übernommen, etwa der „Brennu-Njáls saga“, „Kristni saga“ und der „Hallfreðar saga vandræðaskálds“, dem „Hákonarmál“, „Hávamál“ und der „Völuspá“. In unseren Augen wird „Aldaföðr ok munka dróttinn“ unser bisher stärkstes Album werden, insbesondere aus musikalischer Sicht.

Was habt ihr sonst in nächster Zeit alles geplant?

Vorerst soll das kommende Album veröffentlicht, sowie zum selben Zeitpunkt die ausverkauften ersten beiden Alben in komplett überarbeiteten Designs als Digipack CDs neu aufgelegt werden. Ebenfalls sind Patches und Poster geplant, sowie ein neues Shirt zum kommenden Album. Live-Pläne sind leider nach wie vor nicht konkret umsetzbar.

Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehören dir!

Vielen Dank für die interessanten Fragen. Hört einmal in „Þættir úr sögu norðrs“ rein, es wird euch nicht enttäuschen.

04.05.2014

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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