Trans-Siberian Orchestra
"Auf Tour darf ich jeden Tag Weihnachten feiern!"

Interview

Während der Name „TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA“ eine musikhistorische Fußnote in Europa geblieben ist, sprechen wir dennoch über einen der Big Player im Musikbusiness. Wenn man bedenkt, dass die Amis als kleines Nebenprojekt von SAVATAGE angefangen haben, ist dies noch beeindruckender als ohnehin schon. Denn um sich die Dimensionen von TSO tatsächlich vorstellen zu können, fehlt hierzulande einfach die Referenz. Man kann sich dieses Musikprojekt nicht wie eine Band, sondern eher wie eine amerikanische Weihnachtstradition vorstellen: Jung und Alt freuen sich jedes Jahr auf die immer größer und aufwendiger werdenden Shows, welche in der Adventszeit stattfinden. Mit weit über 500 Millionen Dollar Tourumsatz und wiederum Abermillionen verkaufter Alben waren TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA einfach zu lukrativ, um sich zu beschränken. Man entschied sich also prompt dazu, die Produktion in zwei Bands zu teilen, die mit jeweils 18 LKWs die Ost- und Westküste abgrasen. Nach dem viel zu frühen Tod von Gründer Paul O’Neill im Jahre 2017 trat der musikalische Direktor und Gitarrist von TSO, Al Pitrelli, noch stärker in den Vordergrund und ist daran, TSO in eine noch erfolgreichere Zukunft zu führen. Aus diesem Grunde hat er uns eine kleine Bescherung im Voraus bereitet.

Wir wünschen unseren Lesern viel Spaß mit diesem ganz besonderen Interview und frohe Weihnachten!

Hey Al!

Al: Guten Morgen! Wo bist du?

Im Süden von Deutschland. Bayern.

Al: (Auf Deutsch) Ah, ich liebe Deutschland!

Wie du sehen kannst, haben wir schon für Stimmung gesorgt. (Deutet auf Weihnachtsbeleuchtung im Hintergrund) Wie liefen die Vorbereitungen für die aktuelle Tour?

Al: Sehr gut, wir haben lange daran gefeilt. Wir begannen sogar schon im Januar.

Die neue Tour muss eben größer und dicker als die letzte sein, was?

Al: Ja, wir wollen uns auch weiterhin jedes Jahr steigern. Es war eine Heidenarbeit, eine neue Show auf die Beine zu stellen. Auch musikalisch haben wir sehr stark daran gefeilt. Unsere Crew hat wirklich alles gegeben, es noch größer als je zuvor zu machen. So weit, so gut.

Was TSO natürlich auch besonders macht, war die Entscheidung, euch in zwei Touring-Line-Ups zu teilen. Wann habt ihr gemerkt, dass es notwendig ist?

Al: Also, unsere erste Tour war im Jahre 1999. Es waren lediglich 9-10 Shows. Da dachte ich bereits, dass es fantastisch war. Im Jahre 2000 gab es Promoter in New York, Boston, Seattle, Denver und im ganzen Land. Sie alle wollten Shows von uns! Doch für eine Band war das alles nicht zu bewältigen. Fürs uns gibt es nur 4-5 Wochen, in denen wir touren können. Paul O’Neill entschied sich also dazu, eine Band im Nordosten zu behalten. Dann sagte er mir, dass ich eine zweite Band starten soll und den Rest von Amerika befahren sollte.  „Okay.“

Wir in Europa haben ja keine Ahnung, wie gigantisch ihr seid. Wann hast du gemerkt, dass du mit TSO auf Gold gestoßen bist? Wie hat sich der Erfolg am Anfang auf euch ausgewirkt?

Al: Da konnte ich nicht wirklich drauf achten, weil wir gleich multiple Goldadern auf einmal erwischt haben. In 1995 war „Christmas Eve/Sarajevo“ der Nr.1-Radiosong in ganz Amerika. Als wir dann das erste TSO-Album aufgenommen haben, hat es über Nacht drei Millionen Kopien verkauft. Im Jahre 1999 begannen wir zu touren und waren auf Anhieb ausverkauft. Jedes Jahr gab es so viele Meilensteine, dass ich ihnen keine Aufmerksamkeit geschenkt habe. Denn je mehr Erfolg wir hatten, desto mehr Verantwortung gab es für mich als musikalischen Direktor. „Nächstes Album, nächste Tour.“ Ich schaue nicht oft in die Vergangenheit. Doch hier bin ich 30 Jahre später und rede immer noch darüber. Ich denke, dass unsere Langlebigkeit mein größter Erfolg ist. TSO ist vielen Leuten und Familien immer noch so wichtig.

Wir wissen natürlich, dass besonders Familien euch lieben. Nachdem Paul O’Neill gestorben ist, hast du gesagt, dass du es gerne haben würdest, dass TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA auch ohne dich weitergeht. Was braucht man, um in deine Fußstapfen zu treten und musikalischer Direktor bei TSO zu werden?

Al: Über die Jahre haben Paul und ich natürlich viel darüber gesprochen, da wir beide etwas älter wurden. Ich denke, dass es nicht wirklich möglich ist, in jemandes Fußstapfen zu treten. Man muss seine eigene Identität haben, besonders als musikalischer Direktor. 70% von dem, was ich tue, hat nichts mit dem Spielen der Gitarre zu tun. Man braucht nämlich auch ein tiefes musikalisches Verständnis. Ich habe zwar all diese Alben geschrieben und aufgenommen, doch du kannst mich nicht kopieren. Du brauchst ein eigenes Resümee. Dein Name muss im Raum stehen, bevor du überhaupt selbst im Raum stehst. Wer auch immer meinen Posten will, sollte also jetzt schon mal die Arbeit dafür machen. Es geht nämlich nicht nur um Musik. Es ist wichtig, dass du mit Menschen umgehen kannst. Ich habe 6 oder 7 Damen in der Organisation, mit denen ich nicht auf die gleiche Weise sprechen kann wie mit den Jungs in der Band. Die Psychologie ist ein wichtiger Teil des Ganzen. Genau so wie die Fähigkeit, schnelle Entscheidungen zu treffen, wenn die Dinge mal schieflaufen. Es gehört viel dazu!

Du hattest das Privileg, Paul O’Neill zu kennen. Was ist die größte Erkenntnis, die du von ihm gelernt hast?

Al: Viele … Doch die wichtigste war, dass er sich nicht um Geld oder Kommerz scherte. Als wir z. B. „Christmas Eve/Sarajevo“ aufgenommen haben, meinte er, dass ihn nichts außer die Erschaffung eines Kunstwerks interessiert. Wenn es gute Kunst ist, gibt es die Möglichkeit, dass es für immer lebt. Und wenn es kommerziellen Anklang findet, ist es eben ein guter Bonus. Damals war es das erste Mal, dass ich so etwas von jemanden gehört habe. Andere haben es bestimmt so gedacht, aber nicht so klar ausgesprochen. Ich sagte nur: „Da bin ich bei dir. Das ist so.“ Wir folgen dieser Route nun schon 30 Jahre.

Es hat Anklang gefunden. TSO ist schon mehr als eine Band. Es ist mehr wie eine Tradition oder eine Kultur … Da fehlt uns das richtige Wort, es zu beschreiben.

Al: Es ist beides. Es ist ein Event, eine Tradition. Familien feiern ihre Feiertage mit uns. Ich kann dir nicht sagen, wie oft mir die Leute sagen, dass für die Feiertage für sie erst anfangen, nachdem sie unsere Show gesehen haben. Oder, dass sie unsere Musik von Thanksgiving bis zum ersten Januar zu Hause laufen lassen. Das sind wunderbare Komplimente und ein gutes Feedback. Es ist eine Band, ein Orchester, ein Event und eine Feier. Es ist all diese Dinge. Ich vergleiche es immer mit meinen Kindern. Phase 1 ist das Babyalter. Du musst es pflegen und dich darum kümmern. Es wächst über die Jahre heran, bis es 30 Jahre alt und erwachsen ist. Ich bin sehr, sehr stolz darauf. Selbst wenn es Pauls Kind ist, bin ich halt sein komischer Onkel.

Also, es ist Paul O’Neills Kind und du bist der Taufpate.

Al: Ich liebe diese Formulierung. Die benutze ich ab jetzt, ha ha!

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14.12.2024

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