Death To All
Chuck-Schuldiner-Tribute-Tour 2013
Konzertbericht
Charles Michael Schuldiner. Am 13. Mai 1968, als er auf Long Island geboren wurde, war nicht mal ansatzweise an eine Musikrichtung zu denken, die mit seiner Spielart viele Jahre später vergleichbar wäre. Geschweige denn an seinen wesentlichen Einfluss auf den Death Metal und die progressiveren Spielwiesen des Genres. Zwischen 1987 und 1998 veröffentlichte er unter dem Bandbanner DEATH sieben Alben, die nicht nur eine beeindruckende musikalische Entwicklung aufzeigen, sondern für sich betrachtet allesamt Klassiker oder zumindest Meisterwerke im Metal sind. Am 13. Dezember 2001 beendet ein Krebsleiden sein Leben viel zu früh. Chuck Schuldiner.
Es ist schon etwas Besonderes, allein das Tourplakat anno 2013 mit dem unverkennbaren DEATH-Logo zu betrachten. Und sich kurz der Illusion hinzugeben, dass alles in Ordnung ist, dass es diesen Schicksalsschlag vor über zehn Jahren nicht gegeben hat. Oder sich in ein Jahr davor zu versetzen, vielleicht zum Ende der 80er oder zum Start der 90er-Jahre. Ruft man sich ins Jetzt zurück, bleibt nur noch ein Funke dieses besonderen Gefühls, doch genau dieser Funke wird im Laufe des Konzerts noch mal deutlich auflodern.
Nachdem die Truppe von DTA (DEATH TO ALL) ihre Tribute-Tour in Gedenken an „Evil Chuck“ erfolgreich durch die USA geführt hat, ist nun Europa an der Reihe. Die Location wurde noch kurzerhand getauscht: vom Bi Nuu in den etwas größeren C-Club. Da zeigt sich einmal mehr, dass man vorm Losgehen noch einen Location-Check einschieben sollte. Das hätten auch die Mädels beherzigen sollen, die vorm falschen Gebäude standen – oder sich dem Wink des Schicksals hingeben, lieber einer Death-Metal-Show beizuwohnen. Wie dem auch sei: Eine ganze Menge Metalheads sind an der richtigen Adresse und so ist der traditionsreiche Club in Tempelhof schon zu Beginn nicht übermäßig, aber doch einigermaßen gut gefüllt – trotz der signifikanten Schneise zwischen den Wenigen ganz vorne und dem Rest.
Die Schweizer DARKRISE gibts schon seit 15 Jahren und dementsprechend routiniert – im professionellen, nicht im langweiligen Sinne – wirkt der Auftritt. Die Musik kann getrost in die Schublade mit dem Etikett „Brutal Death Metal“ geschoben werden. Das Set zwirbelt einem mit vorwiegend schweren Riffs und tiefen Growls amtlich die Gedärme durcheinander und wird vereinzelt durch filigrane Feinheiten aufgefrischt. Schnelle Parts wechseln sich mit groovenden ab und im vorletzten Song überrascht sogar ein experimenteller Exkurs, der der allmählichen Abnutzung der insgesamt recht ähnlichen Nummern etwas entgegenwirkt. So liegen DARKRISE in einer Schnittmenge, die sowohl traditionellen Hau-drauf-Fans als auch den moderner Orientierten zusagen sollte (Vergleiche können zum Beispiel zu KATAKLYSM gezogen werden). Frontmann Grégory hält zwar nicht allzu viel von Ansagen, fällt aber dennoch durch seine mitunter verrückte Mimik und durch Bewegungen auf, die seine ganz eigene Interpretation von Death-Metal-Tanz zu sein scheinen. Natürlich wirkt das alles äußerst sympathisch (auch das DYING-FETUS-Basketball-Shirt des Bassisten), und obwohl die Doublebass eher wässrig aus den Boxen knallt, ist auch der Sound in seiner Gänze recht gut. So wird den Interessierten ein gelungener Anheizer präsentiert, der trotz todesmetallischer Übereinkunft aller Bands aufgrund der musikalischen Grundausrichtung noch am ehesten einen Kontrast darstellt.
Galerie mit 12 Bildern: Darkrise - Death To All Tour 2013OBSCURA sind schon die vorletzte Band. Doch der Headliner erscheint am heutigen Abend auch übermächtig und so fällt es kaum ins Gewicht, dass das Billing im Vergleich zu anderen Extrem-Metal-Konzerten nur drei Bands stark ist. Stark ist in jedem Fall auch die Gitarrenfraktion der Deutschen um Frontmann Steffen Kummerer, der Ansagen, gutturale Vocals und Axtarbeit tadellos verbindet. Musikalisch passen OBSCURA nahezu perfekt rein – nicht selten wird ihnen auch ganz direkt eine Ähnlichkeit zu DEATH attestiert. Gekonnte Fingerfertigkeiten schnippeln präzise Technical-Death-Metal-Riffs aus den Saiten, wobei die Songstrukturen immer wieder durch Tempowechsel verändert werden. Die Harmoniearbeit ist wesentlich ausgefeilter als bei den Billing-Vorgängern, an Härte fehlt es OBSCURA insgesamt aber nicht. Gute Mischung! Zwischendurch werden DEATH-Stücke angespielt und entsprechende Ansagen untermalen den Anheizerstatus. Natürlich liegt der Fokus aber auf eigenen Stücken und so rutscht auch ein neuer Track ins Set: „Imaginated Soul“ (o. Ä.). Wir wollen mal darauf verzichten, davon auf die neue Platte zu schließen, denn der Song beginnt eher harmlos, hat kein besonders starkes Hauptriff, ist zunächst deutlich im Midtempo verfangen, gewinnt aber sowohl durch einen Tempoanzug als auch durch einen progressiven Part, der wieder an DEATH erinnert, im Endeffekt nichts. Der zumindest solide Abschluss wird von Gefrickel dominiert, insgesamt ist das Teil aber doch enttäuschend. Egal. Die restlichen Songs fallen wie Bomben von der Bühne und zünden ordentlich.
Sympathisch ist die Combo eh, noch sympathischer wird der Auftritt allerdings, als Steffen einen Titel falsch ansagt und sich korrigieren muss – darf passieren. Als Extra-Schmankerl wird ein Drumsolo eingebaut, man geht mal eben von der Bühne, um den Moment wirken zu lassen, und die Kommunikation mit dem Publikum steht zwischen den Songs im Mittelpunkt. OBSCURA zelebrieren den Support einwandfrei, verweisen durch ihre starken Kompositionen aber auch gekonnt auf die eigene Diskografie.
Die aktuelle DEATH-(TO ALL)-Mannschaft besteht aus dem „Human“-Line-up Sean Reinert, Paul Masvidal und Steve di Giorgio. Max Phelps, der in erster Linie bei EXIST und auch schon bei CYNIC, der Hauptband von Reinert und Masvidal (das erklärt auch das CYNIC-Merchandise, nun ja), aktiv ist, übernimmt den Gesang und spielt Gitarre – so wie Chuck damals.
Zu Beginn werden ein paar alte Fotos per Beamer an die Wand projiziert. Das unterstreicht sogleich den außergewöhnlichen Charme des Konzerts und macht etwas traurig sowie Laune aufs Kommende. Vehemente Chuck-Rufe begleiten die Band auf die Bühne und das simple Backdrop zeigt ohne verschnörkelte Umwege, dass eine Zeitreise zu einer der legendärsten Extrem-Metal-Bands ansteht. Bevor „Flattening Of Emotions“ den Todesreigen eröffnet, erinnert Bassist Steve di Giorgio in einer Ansprache an Chuck und stellt die Bandmitglieder einzeln vor. Dann fegt das erste Riff durch den Club und als die Stimme einsetzt, wird wohl jedem klar, dass Phelps eine verdammt gute Wahl ist. Auch wenn er sichtlich nervös agiert, angesichts der Fußstapfen auch nicht verwunderlich, passt die Stimme außerordentlich gut und selbst äußerlich funktioniert das Gesamtbild einigermaßen – bis hin zu Details wie Gitarrenhaltung, Haarbeschaffenheit und Outfit. Bei einem Schrei klingt er sogar nahezu exakt wie die DEATH-Koryphäe.
Galerie mit 15 Bildern: Death - Death To All Tour 2013Im Anschluss gibts einen „Leprosy“-Doppelhammer in Form des Titeltracks und „Left To Die“, dann kehrt man erneut zu „Human“ zurück, um schließlich einen Sprung ins Jahr 1993 zu „Individual Thought Patterns“ zu machen. Und genau so gehts munter weiter: Dem Publikum wird ein beeindruckender Trip in die DEATH-Vergangenheit mit musikalischen Stops bei allen veröffentlichten Alben geboten. In Anbetracht der eindrucksvollen Diskografie fallen da natürlich Songs durchs Raster, die der eine oder andere gerne gehört hätte („Scream Bloody Gore“, „Zero Tolerance“ und „Misanthrope“ zum Beispiel), doch Klassiker wie „Zombie Ritual“ vom Debütalbum, „Crystal Mountain“ vom Jahrhundertwerk „Symbolic“ und das obligatorische „Spirit Crusher“ von „The Sound Of Perseverance“ sind natürlich vertreten.
Man merkt deutlich, dass die Jungs Lust auf den Gig haben und das springt bestens auf die Menge über. Haare fliegen vor und auf der Bühne, Dio-Gedächtnis-Pommelsgabeln werden aufgerichtet, Paul Masvidal spielt kniend auf einer riesigen Box und di Giorgio zockt ein experimentelles Basssolo, das sich gut ins restliche Set einfügt. Als dann auch noch OBSCURA-Fronter Steffen zu „Spirit Crusher“ auf die Bühne eilt, um dem Geschehen seine Stimme und Gitarrenkünste zu leihen, weiß wohl jeder, dass das kein normales Konzert ist. Etwa zur Mitte, nach „Cosmic Sea“, geht die Band geschlossen von der Bühne, um Raum und Atmosphäre für Erinnerungen zu schaffen. Der zu Beginn erwähnte Funke wird zur Flamme, als wieder Bilder an die Wand geworfen werden, diesmal durch Videosequenzen ergänzt. Da man hierfür eine der seitlichen Innenwände benutzt, verrenkt sich das Publikum mal auf andere Weise die Nackenwirbel und wendet den Blick von der Bühne ab. Die visuelle Ehrung von Chuck rundet das Konzert wunderbar ab und verdeutlicht erneut, wem wir die sensationellen Songs zu verdanken haben.
Danke Chuck!
Setlist:
1. Flattening Of Emotions
2. Leprosy / Left To Die
3. Suicide Machine
4. In Human Form
5. Spiritual Healing / Within The Mind
6. Cosmic Sea
Chuck-Schuldiner-Tribute-Video
7. Zombie Ritual / Baptized In Blood
8. Crystal Mountain
9. Spirit Crusher
10. Together As One
11. Lack Of Comprehension
12. Pull The Plug
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Meine Vorfreude auf das Turock morgen hat sich gerade mindestens verdoppelt 🙂