Neal Morse
"Gott ist sehr generös"

Interview

NEAL MORSE hat es geschafft, dass sein Solowerk mittlerweile noch mehr rezipiert wird, als seine Arbeit bei SPOCK’S BEARD. Obwohl seine starke Hinwendung zum protestantischen Glauben für manche einen seltsamen Beigeschmack hatte, hat sein Output nicht ein mal darunter gelitten. Auch das aktuelle Studioalbum „No Hill For A Climber“ stellt einen formidabelen Koloss dar, der niemanden kalt lassen wird, dem die Laune nach erstklassigen Prog-Rock steht.

Im Video Call trafen wir einen überaus gut gelaunten Musiker, der vor seinem typisch amerikanischen Holzhaus saß, seinen Hund flauschte und sich mit uns wortwörtlich über Gott und die Welt unterhielt. 

Es ist klar, dass Morse ein Mann ist, der mit sich im Reinen ist und viel mitzuteilen hat. Man sollte Stimmen wie seine zu Wort kommen lassen, ohne ihr mit modernen Zynismus zu begegnen. Viel Spaß mit dem Interview!

 

Hey Neal! Kannst du mich hören?

Neal: Ich hör dich gut, du mich?

Ja. Das Set-up stimmt, lass uns also direkt anfangen! Das neue Album heißt „No Hill For A Climber“. Es basiert auf einem Buch, welches den Pulitzerpreis gewonnen hat. Was ist das für ein Buch und warum hat es dich inspiriert? Warum sollten wir es deiner Meinung nach lesen?

Neal: Oh nein, das Album basiert nicht auf dem Buch. Ich weiß nicht warum, aber viele haben diesen Eindruck. „No Hill For A Climber“ ist nur eine Line aus diesem Buch. („Copperhead von Barbara Kingsolver)  Dieser Satz ist also die Inspiration. Es ist also nicht so, dass das Buch die Grundlage für das Album ist. Ich habe es während eines Fluges gelesen und dachte mir „Das ist mal eine coole Phrase.“ Ich begann damit, sie mir vor mir herzusingen.

„Das habe ich bisher noch nicht gehört.“ Dann begann ich den Refrain in meinem inneren Ohr zu hören. Ich fing an es mir sehr minimalistisch und auf der anderen Seite sehr groß arrangiert gesungen vorzustellen. Die Idee, dass dies der Grundstein eines epischen Prog-Stücks darstellen könnte begann sich abzuzeichnen ….

Das Ding ist 28 Minuten lang, haha!

Neal: Nun, das ist nicht so lang für mich, weißt du …

8-Minüter sind Radiosongs für deine Verhältnisse …

Neal: Korrekt.

Es war im übrigen schon bekannt, dass du dieses Mal so einige jüngere Musiker dabei hast. Erzähl uns was darüber.

Neal: Nun, Mike (Portnoy, Drums) ist zurück bei DREAM THEATER… (lacht sich scheckig) Das war einer der Gründe, warum ich schon Ende 2023 gedacht habe, „Was willst du 2024 machen?“ Ich hatte natürlich einige Livekonzerte mit u. a. FLYING COLORS, aber keine Pläne was Aufnahmen angeht. „Late Bloomer“, mein Singer-Songwriter Album bildete sich zwar langsam heraus, aber ich hatte keinen Plan was Progressive-Rock angeht. Als ich mit meiner Frau darüber sprach, schlug sie vor, dass ich etwas mit lokalen Musikern machen sollte. Mit ein paar von den jüngeren Leuten. Ich wollte eigentlich schon immer eine Band aus meiner Region haben, weil man sich dann immer zusammensetzen kann, wenn man sich inspiriert fühlt. Dann muss man die anderen halt nicht einfliegen und hat dann keine Zeitlimits.

Oh, in dem Fall verbrennt man auch viel Geld.

Neal: …Und es gibt einen gewissen Druck. Du kannst keinen Tag off nehmen. Wenn du deine Mitmusiker einfliegst, ist alles immer „Los los los!“ Das kann allerdings auch gut sein. Auf diese Weise haben wir all die TRANSATLANTIC und THE NEAL MORSE BAND Alben gemacht. Trotzdem habe ich gedacht, dass es cool wäre es mal anders zu haben. Ich habe gebetet und darüber nachgedacht, also traf ich diese jüngeren Leute für die Writing Sessions. Chris Riley, Philip Martin und Andre Mardatian. Nur ein kleines Set-up in einem Raum und ein bisschen Ideenaustausch. Es dauerte nicht lang, bis ich wusste, dass es cool würde und wir weitermachen würden. Das war im Januar. Im Februar war ich auf dem besagten Flug und hatte das Erlebnis mit „No Hill For A Climber“. Ende Februar stellte ich den Jungs die Idee vor und wir arbeiteten weiter. Im Mai lieferten wir dann die Platte für den Mix ab.

Die erste Single „All The Rage“ klingt sehr hell und optimistisch. Ist das die Energie, die die Jungs mitgebracht haben?

Neal: Ich denke, dass es Teil davon ist. Obwohl ich den Song geschrieben habe, hat mich die Gruppe dazu inspiriert. Wann immer ich für eine Band schreibe, sei es für FLYING COLORS oder sonst etwas, verändert dies die Art wie ich schreibe. Ich dachte, dass es gut wäre etwas kürzeres zu haben. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nämlich noch nicht, wie die Struktur des Albums ausschauen würde. Es musste etwas rockiges sein, was ein bisschen progressiv klingt. Ich bin sehr zufrieden damit, was aus „All The Rage geworden ist. Den Löwenanteil haben wir sogar im zuvor erwähnten Raum eingespielt.

Etwa live?

Neal: Teilweise. Wir haben vieles sogar ohne Clicktrack aufgenommen, was es leichter macht das Ganze zu editieren. Manchmal schränkt einen der Click ein und das Ganze fühlt sich beim spielen etwas leblos an … Dann haben wir uns einfach gesagt „Lass uns einfach rocken.“

Fühlte sich manchmal steril an, was?

Neal: Yeah. Deswegen hat „All The Rage“ dieses Feeling. Wir haben es so gespielt, als würden wir live auftreten.

Der Opener „Eternity In Your Eyes ist ebenfalls ein richtiger Standout. Wie ist er entstanden?

Neal: Der Anfang stammt aus einem Orchesterstück, welches Andre Mardatian (Gitarre) geschrieben hat. In meiner Produzentenrolle mache ich es so wie Mike Portnoy bei TRANSANTLANTIC. Er hörte sich die Demos an und überlegte, wie die besten Teile am Schluss zusammengebaut würden. Genau so bin ich auch bei „Eternity In Your Eyes“ vorgegangen. Als ich den Refrain hatte, dachte ich „Ich platziere das Orchester-Ding am Anfang.“ Dann habe ich den Northern Lights-Part von Chris Riley (Bass) eingefügt. Dann kam noch ein kleiner Jam obendrauf, welcher in einem weiteren Chris-Reily-Part namens „Hammer and Nail“ übergeht. Ich denke, es hat eine gute Balance. Was faszinierend ist, weil manches davon direkt aus den Demos von Chris entnommen wurde. Wir haben seine Multitrack-Aufnahmen direkt in unsere Session übertragen und dazu gespielt.

Also direkt aus Logic Pro?

Neal: Ja, vieles davon hat er schon vor 4 Jahren aufgenommen. Das merkt man aber nicht, weil der Flow so gut ist. Natürlich habe ich hinterher ein echtes großes Piano gespielt und auch der Bass wurde durch einen echten ersetzt. Ich finde den Gesang von Chris auch klasse – ich denke, dass es immer noch die Aufnahmen der Demos sind. Aber wenn es nicht kaputt ist, muss man es auch nicht fixen.

Natürlich nicht. Eine sehr andere Frage: Du warst immer sehr offen, wenn es um deinen Glauben ging. Mit „Sola Scriptura“ hast du sogar ein Album veröffentlicht, welches sich um Martin Luther dreht. Warum hast du den protestantischen Glauben gewählt und nicht den katholischen oder orthodoxen?

Neal: Nun, wie soll ich es sagen… Ich persönlich habe den Herren bzw. den Heiligen Geist zuerst in einer protestantischen Pfingstlerkirche erfahren. Vielleicht neige ich deswegen eher dazu. Dort habe ich die tiefste Beziehung zu Gott gefunden.

Oh, okay. So weit ich weiß ist dein Kumpel Mike Portnoy jüdischen Glaubens. Diskutiert ihr viel? Oder ist das kein Thema bei euch?

Neal: Das ist eigentlich kein Thema bei uns. Er hat keine so großen Gefühle, wenn es um solche Themen geht. Ich persönlich diskutiere eigentlich nicht wirklich über das Thema Religion. Ich denke nicht, dass es der beste Weg ist, sich dem Thema anzunähern, wenn man darüber zankt. Doch das ist halt meine Meinung.

Nur noch eine Frage darüber. Als Kind saß ich im katholischen Religionsunterricht. Ich mochte die Lehrerin wirklich nicht, doch die Geshichte von Joseph ( aus dem alten Testament, nicht den Ziehvater Jesu) ist immer in meinem Gedächtnis hängen geblieben. Was hat dich an der Geschichte so berührt? Du hast das Ding in eine zweiteilige Rockoper verwandelt.

Neal: Richtig! Frontiers Records hat mir ständig Mail geschickt. „Wann kommt noch mal eine biblische Rockoper?“ Ihnen hat „Jesus Christ The Exorcist“ sehr gut gefallen. Ich fragte meine Frau und dachte darüber nach, welche Bibelgeschichten zum Progressive Rock Genre passen. Wir sprachen über David, Moses und Abraham. Doch als wir bei Joseph waren, klickte es. Die Träume, das surreale… Es hatte eine gewisse…

Dreaminess?

Neal: Ja! Die ganze Geschichte hatte eben diesen Traumfaktor. Und natürlich das Drama, das er zu Unrecht beschuldigt wird, von seinen Brüdern in die Sklaverei verkauft wurde, in den Knast kam und dann zur rechten Hand des Pharaos aufstieg… Dazu noch die Bitterkeit die er gegenüber seinen Brüdern empfand und die ganze Versöhnung. Es gibt da einfach so viel Zeug, worüber man schreiben kann. Da war ich so inspiriert, dass es direkt zwei Alben wurden.

Ich habe mich natürlich im Vorfeld deiner Diskografie gewidmet. Es ist wirklich eine ganze Menge! Was würdest du einem Musiker raten, der auch einen ähnlich großen Output wie du haben möchte?

Neal: Mein Vorschlag ist, dass man seine Blockaden abstellen muss. Wenn die Musik rauswill, kann man schreiben. Du kannst innerhalb von drei Tagen ein tolles Album machen. Händel hat „Der Messias“ glaube ich innerhalb von drei Wochen hinbekommen. Gott hat keine Limitationen. Wir müssen es nur anzapfen.

Also wir ziehen es quasi heraus und er beschenkt uns damit.

Neal: Jawohl. Und wenn du das machst, gibt es kein Limit wie viel wir erschaffen können. Nur wir sind diejenigen, die entscheiden, dass wir es nicht mehr schaffen und kreativ sein können.

Also, es ist unendlich da und wir sind diejenigen, die es blockieren und daran hindern herauszukommen.

Neal: Das kann durchaus vorkommen. Ich versuche immer offenzubleiben. Ich liebe es zu schreiben. Ich kann nur sagen, dass Gott sehr generös ist.

Wir wären ja nicht hier, wenn es nicht so wäre.

Neal: Richtig.

Hörst du eigentlich Spotify oder Vinyl?

Neal: Ich höre schon CD und Vinyl. Dazu viel Internet Radio. Ich habe kein Spotify oder Apple-Streaming.

Neal, das war es schon. Short and Sweet. Die letzten Worte gehören dir.

Neal: Gott schütze dich! Pass auf dich auf.

Oh, dich auch. Bye!

08.11.2024

Werbetexter und Metalhead aus NRW.

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