Marschland - Traurige Trinkerlieder

Review

Seuche, Ernie Fleetenkieker, Krachmucker… Der Mann aus Niedersachsen hat viele Gesichter und hat bis heute auf praktisch jeder Heavy-Metal-Hochzeit getanzt, die man sich vorstellen kann. So war er als Sänger bei der Depressive-Black-Metal-Band FÄULNIS tätig, hat über mehrere Jahre seinen YouTube-Kanal KRACHMUCKER TV betrieben und ist zuletzt mit „Ernie Fleetenkiekers Metal-Manifest“ unter die Autoren gegangen.

„Traurige Trinkerlieder“ und der Hauch von Autobiografie

Jetzt kehrt Ben F. mit der EP „Traurige Trinkerlieder“ zurück und verdingt sich auf den sehr schunkeligen Songs an der Akustikgitarre und ätzt voller Weltschmerz über die Lust oder auch den Frust am Alkohol. In seiner bekannten Offenheit beschreibt Ernie (kommen wir wieder auf sein Alter Ego zurück) im Promotext, wie er zwar nicht ständig, aber doch regelmäßig und dann unkontrolliert zur Flasche greift. Das würde bei fortlaufendem Konsum nicht gut ausgehen und vielleicht würden die schrägen Trinkerlieder dann aus einer klaffenden Wunde der Realität entstehen. So klingt die Musik in ihrer gewollt fragilen Abgedrehtheit manchmal allerdings recht künstlich, gleichzeitig aber genau so, wie sie eben klingen muss.

MARSCHLAND: Bittere DIY-Ästhetik

Denn eins hat Fleetenkieker spätestens mit seinem Metal-Manifest bewiesen: Dem Zufall übergibt er die Zügel seiner nihilistischen Kutschfahrt in den Untergang nicht. Viel zu detailverliebt, poetisch und durchdacht waren die einzelnen Kapitel in seinem ersten Buch. Das Liedgut hingegen werden Neider spöttisch als „schlecht“ und „schief“ bezeichnen. Und natürlich schwurbelt Fleetenkieker auf dem Opener „Der Saufende Nihilist“ so um den Takt und das Versende herum, dass die Gänsehaut im Genick vorprogrammiert ist. Dazu klampft er zaghaft auf der Gitarre, was genauso wenig virtuos ist, wie das Plattencover, auf dem Fleetenkieker das Bild eines degenerierten Welthassers zeichnet.

Rotz und Schnaps

Die vier Songs entbehren also nicht wirklich einer gekonnt schwachbrüstigen Lo-Fi-Produktion, die Ernie wohl unter der Plattentheke in seinem niedersächsischen Fachwerkhaus klammheimlich selbst übernommen hat. Immer wieder kommt eine mittelalterliche Piraten-Melancholie auf, was mit „Höllenritt (Kaperfahrt)“ freilich seinen Höhepunkt findet. Immerhin bedient sich, Fleetenkieker hier am Stimmungshit jedes Mittelaltermarktes „Männer Mit Bärten“ (DIE STREUNER) bzw. „Alle Die Mit Uns Auf Kaperfahrt Fahren“ (SANTIANO), wandelt den Text ab und wir können anstandslos mitsingen.

Und doch: Jede Note ist offensichtlich genau da, wo Ernie sie haben will. Die Gemeinheit an menschlicher Verzweiflung und dem Verfall ist ja, dass beides unheimlich wehtut. Diese Gefühle lassen sich mit einer glattpolierten Gibson-Hummingbird-Euphorie jedenfalls nicht glaubhaft transportieren.

Das alles ist zynisch, schlechtgelaunt und irgendwie auch gefühlvoll. Etwas anderes darf man von Ernie Fleetenkieker auch nicht erwarten. Setzen wir die rosa Brille der Sympathie allerdings zugunsten der Objektivität ab, bleibt die Frage, wieso Fleetenkieker nicht einfach wieder zynischen, schlechtgelaunten und irgendwie auch gefühlvollen Black Metal spielt.

Mission erfüllt?

Weil der Mann  in gewisser Weise stets „erfolgreich“ in dem, was er erschaffen hat war, stoßen sich allzu kritische Gatekeeper gleichzeitig an allem, was er liefert. Mit Erfolg sind hier die wirklich vorzüglichen Alben seiner Band FÄULNIS gemeint und die damit einhergehenden Live-Performances, die Fleetenkieker als Frontman für viele zu einer unerreichbaren Ikone werden ließen. KRACHMUCKER TV hat es zu einer echten Marke geschafft, die vielen Menschen, viel neue Musik beschert hat. Ganz zu schweigen vom Metal-Manifest, in dessen Texten Ernie humorvoll und tiefsinnig auf sein Leben als Metalhead blickt.

Nach dem letzten Ton auf „Traurige Trinkerlieder“ muss man sich nun entscheiden, ob man die Musik dilettantisch oder selbstbewusst findet. Eine Bewertung zur allgemein gültigen Qualität sprengt die gesellschaftlichen Konventionen in tausende scharfer Splitter, denn man darf dabei nicht die Passion und den Mut zur Unverträglichkeit außer Acht lassen, die auf ihre ganz unnahbare Art auf große Kunst schließen lassen.

01.11.2024

Left Hand Path

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2 Kommentare zu Marschland - Traurige Trinkerlieder

  1. Se Wissard sagt:

    Das Cover erinnert mich an einen Robert Johnson im Assi-Modus, musikalisch geht das ganze null an mich ran, ich erkenne aber den Sinn bzw. den künstlerischen Ausdruck dahinter an. Die Metal-Version von Charles Bukowski und Ernie bzw. Ben trifft damit eventuell ins Herz des ein oder anderen Metal-Trinkers (da gibt’s sicherlich mehr als genug, die sich zwischendurch und ihren Rausch hinterfragen (sollten)). Aber das ganze mag nah am Dilettantismus liegen, ist dafür komplett authentisch und wirkt glaubhaft.

    Immer das gleiche wäre ja auch langweilig.

  2. metal-maniac sagt:

    Zwei Anmerkungen zum Review: Ernie war nicht nur der Sänger von Fäulnis, sondern quasi die ganze Band und hat dort meines Wissens nach die Musik mehr oder weniger im Alleingang geschrieben. Zudem finde ich die Frage „warum Ernie nicht einfach wieder Black Metal“ macht hier schon etwas vermessen. Ernie hat an vielen Stellen glaubhaft erklärt warum er das zumindest zum jetzigen Stand nicht mehr machen möchte. Jeder der sich ein bisschen mit der Person bzw. Krachmucker beschäftigt hat, weiß dass das viel mit seiner mentalen Verfassung zu tun hat ums mal vorsichtig auszudrücken…

    Bei der Musik schließe ich mich mehr oder weniger Se Wissard an. In der richtigen Stimmung kann das schon was. Symphatisch finde ich es durch die DIY-Attitüde sowieso. Teilweise schrammt das Ganze aber wirklich schon sehr an der Grenze zum Dilettantismus. Gerade im letzten Song Kneipengeister wird der Gesang immer wieder so schief, dass es schwer ist, dabei zu bleiben.