Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
DARK TRANQUILLITY sind ein Phänomen. Gefühlte Ewigkeiten in der nahezu gleichen Besetzung, die erst in den letzten zehn Jahren mehrmals wechselte. Nahezu ausschließlich starke Alben in der Vita, eine loyal ergebene Fanbase und aufgrund der Bodenständigkeit und Authentizität der Band ein exzellenter Ruf bei Fans und Presse. Nicht zuletzt sind die Schweden im Live-Sektor eine verlässliche Macht, die noch nie wirklich ein schwaches Konzert gespielt hat. Doch während “The Gallery” und “The Mind’s I” unanfechtbare Klassiker des Melodic Death Metal sind und auch spätere Alben wie “Damage Done”, “Fiction” und nicht zuletzt das aktuelle “Endtime Signals” zu den gehobenen Standards im Subgenre gehören, wird ein Album am häufigsten übersehen: das Debüt “Skydancer” aus dem Jahre 1993. Die Gründe dafür sind offensichtlich – dennoch lohnt es, sich mit der Platte auseinanderzusetzen.
DARK TRANQUILLITY – Ein einzigartiger Start
Zunächst mal: Es gibt keine Platte, die wie “Skydancer” klingt und dennoch verbreitet das Album juvenilen Weltschmerz und melancholische Naturromantik in einer Weise, die für etliche schwedische Bands der frühen Neunziger typisch war. Stimmung und Atmosphäre von “Sykdancer” erinnern streckenweise an Alben wie das OPETH-Debüt “Orchid”, statt an schwedische Death-Metal-Vorreiter wie ENTOMBED oder GRAVE. In Puncto Songwriting lässt sich “Skydancer” hingegen beispielsweise mit “North From Here” von SENTENCED oder dem AT-THE-GATES-Debüt “The Red In The Sky Is Ours” vergleichen. Das bedeutet: In neun Songs wurden geschätzte 1624 Riffs verbraten, es gibt nahezu keinerlei Wiederholungen von Parts und wenn, dann nur mit Variation und Verzierung.
Traditionelles Verständnis von Rhythmus- und Lead-Gitarren wurde aufgelöst, stattdessen ergänzen sich Gitarren und Bass im Stil des barocken Kontrapunkt permanent gegenseitig. Außerdem Standard für ein Debütalbum dieser Zeit und Generation: ein suboptimaler Sound, teilweise zurückzuführen auf die Unmöglichkeit, sich qualitativ hochwertigeres und damit teureres Equipment zu leisten und stellenweise sogar verstimmte Gitarren.
Neun Songs, 1462 Riffs, ein “Skydancer”
Was “Skydancer” dennoch so beeindruckend macht, ist, wie diese Mängel durch zügellosen kreativen Rausch und Enthusiasmus für die eigene Musik kompensiert werden. Denn 70 Riffs pro Song zu verbraten, ziehen DARK TRANQUILLITY eisern durch und schaffen es, trotz der komplexen Arrangements auf der Platte frühe, kleine Hits zu streuen. Allein der Opener “Nightfall By The Shore Of Time” baut so viel Spannung auf, dass es kaum auszuhalten ist. Dazu setzen “Crimson Winds”, “Through Ebnoy Archways” und das wunderschöne “A Bolt Of Blazing Gold” mit größerer Betonung der Melodien und Melancholie Kontraste entgegen.
Übrige Kompositionen wie “Skywards” oder “In Tears Bereaved” folgen eher dem Muster des dynamischen Openers. Der “Hit” des Albums ist das über siebenminütige “Shadow Duet”, bei dem sich Anders Fridén und Gitarrist Mikael Stanne buchstäblich ein beeindruckendes Duett liefern. Schon auf diesem Song ist klar erkennbar, dass Stanne der bessere Sänger von beiden ist und so war es eine sinnvolle Entscheidung, ihn die Lead-Vocals übernehmen zu lassen, als Fridén im Anschluss zu IN FLAMES wechselte – wobei deren Debüt “Lunar Strain” bekanntermaßen wiederum von Stanne eingesungen wurde. Wobei man Stannes ergänzende Growls und seinen prominent verteilten Clean-Gesang über das ganze Album hindurch deutlich wahrnehmen kann. Ebenfalls erwähnenswert ist der epische Schlusstrack “Alone”, den es auch in einer ’94er-Version in anderer Besetzung gibt.
Prädikat: Einzigartig
“Skydancer” muss man wegen seiner komplexen und überambitionierten Strukturen definitiv lieben, um es zu mögen – doch wenn das einmal passiert ist, kann der Zauber nicht gebrochen werden. Zu einzigartig sind der jugendliche Übermut und die fantasievollen Songs. Doch selbst, wenn einem das alles etwas zu viel ist, zeigt das Album nicht nur, wo die heute erfolgreichen und gereiften DARK TRANQUILLITY herkommen, sondern auch, wo Melodic Death Metal einen seiner Ursprünge hat.
Nachdem ich den Metal fast schon abgeschrieben hatte, selbst Time II nicht recht zünden wollte, muss ich dem Rezensenten dieses Klassikers einfach meinen Dank aussprechen. Dass das Erstlingswerk von DT so gut sei, hätte ich nicht gedacht, mithin ist es all die Jahre und Jahrzehnte unbemerkt an mir vorbeigegangen. Ein wirklich fantastisches Album.