Wave Gotik Treffen
Der große Festivalbericht vom 22. WGT 2013 in Leipzig
Konzertbericht
OOMPH! zufolge ist Gott ein Popstar, aber zumindest beim Wettergott muss man sich fragen, ob der nicht ein waschechter Grufti ist. Denn über das Pfingstwochenende zeigte sich Petrus von seiner gnädigen Seite und bescherte dem 22. Wave-Gotik-Treffen in Leipzig bis auf kurze Aussetzer ein perfektes Festivalwetter, das man ansonsten im Mai vergeblich suchte. Das sollte sich als gutes Omen für das WGT als Ganzes erweisen. Enttäuschungen gab es hinsichtlich der Bands so gut wie keine, und der seit Jahren oft grottige Sound in der AGRA-Halle entsprach diesmal endlich dem Niveau der dort auftretenden Bands. Darüber hinaus wurde der Felsenkeller als am schlechtesten belüftete Location, in die ich je einen Fuß gesetzt habe, glücklicherweise aussortiert. Ein großes Lob geht außerdem an die Leipziger Verkehrsbetriebe, die seit Jahren den Ansturm von knapp über 20.000 Besuchern logistisch hervorragend bewältigen – inklusive spontanen Planänderungen, doch dazu später mehr.
Freitag
Bezug der Ferienwohnung, Bändchen holen, Begrüßungsbier und -rostbratwurst – alles bereits am Donnerstag erledigt, so dass das WGT pünktlich am frühen Freitagnachmittag starten konnte. Das erste Highlight offenbarte sich in kulinarischer Form in der Soup Bar Summarum, die erstmals Bestandteil des offiziellen Rahmenprogramms war. Die gemütliche kleine Kneipe versorgte ihre Gäste mit leckeren Suppen und gitarrenlastiger Hintergrundbeschallung. Durch die Kooperation mit der gegenüber befindlichen La Petite Absintherie, die über eine Auswahl an 200 verschiedenen Absinth-Sorten verfügt, konnte man auch der grünen Fee Hallo sagen. Eine perfekte Kombination, die uns auch an den folgenden Tagen dazu verleitete, zielsicher die Münzgasse anzusteuern.
Entsprechend gut gelaunt landeten wir an der Parkbühne, wo die TERMINAL GODS den Tag eröffneten. Deren Vorbilder THE SISTERS OF MERCY spiegelten sich nicht nur im Sound wider, sondern auch in dem Umstand, dass man auf einen Drum-Computer anstatt eines echten Schlagzeugers setzte. Das funktionierte gut und verlieh den punkigen Goth-Rock-Songs einen rotzigen Industrial-Rock-Anstrich. Zwar sahen Frontmann Robert Cowlin und seine Mitstreiter etwas übernächtigt aus, doch sie ließen sich den eventuell vorhandenen Kater nicht anmerken und rauschten mit durchgetretenem Gaspedal durch ihr 40-minütiges Set. Solider Auftakt.
Galerie mit 14 Bildern: Terminal Gods - Wave Gotik Treffen 2013Einen merkwürdig frühen Platz im Line-up der AGRA-Halle bekam die LETZTE INSTANZ zugewiesen. Das lag möglicherweise daran, dass man auf Veranstalterseite den Fähigkeiten der Band vertraute, das Publikum schnell auf Hochtouren zu bringen – für die Veteranen ein absoluter Selbstläufer. Die LETZTE INSTANZ gehört zu den Combos, denen das Adrenalin in die Nervenzellen schießt, sobald sie die Bühne betreten, und denen man die Freude am gemeinsamen Musikmachen zu jeder Sekunde anmerkt. Deshalb konnten sie es sich auch leisten, die Setlist relativ soft-balladesk zu halten und fast zur Hälfte mit Stücken des neuen Albums „Ewig“ zu füllen, ohne dass es ihnen jemand ernsthaft übel nahm.
Galerie mit 44 Bildern: Letzte Instanz - Wave Gotik Treffen 2013Der folgende Auftritt von DAS ICH wird zwar nicht als das spektakulärste, dafür aber als das emotionalste Konzert in die Bandgeschichte eingehen. Vor zwei Jahren erkrankte Sänger Stefan Ackermann kurz vor dem WGT schwer, so dass die Band den damaligen Auftritt mit Gastsängern und -sängerinnen bestreiten musste. Nach einer Hirnblutung sah es zwischenzeitlich sogar so aus, als würde Ackermann nicht überleben oder zumindest bleibende Schäden davontragen. Doch das Szene-Urgestein kämpfte sich zurück, und nach einer langwierigen Reha gelang nun sogar die kaum für möglich gehaltene Rückkehr auf die Bühne. Wer Ackermann schon einmal live als Springteufelchen auf Ecstasy erlebt hatte, war sicher gleichermaßen geschockt wie fasziniert. Regungslos stand der Frontmann das gesamte Set über hinterm Mikro und auch das Make-up konnte seinen nach wie vor verbesserungswürdigen Gesundheitszustand nicht überdecken. Stimmlich hingegen war Ackermann ganz der Alte und intonierte mit morbider Inbrunst die Klassiker der Bandgeschichte – von neueren Stücken wie „Schwanenschrei“ bis hin zum obligatorischen „Gottes Tod“.
Galerie mit 12 Bildern: Das Ich - Wave Gotik Treffen 2013Sowohl DAS ICH als auch die LETZTE INSTANZ hatten die Messlatte hoch angelegt – für THE 69 EYES ein wenig zu hoch. Das lag aber auch daran, dass es immer ein wenig schwer fällt, die Finnen hundertprozentig ernst zu nehmen. Wie eh und je zelebrierten sie Gepose mit hohem Fremdschäm-Faktor, so dass man gut beraten war, wenn schon das ein oder andere Bier durch die Blutbahn zirkulierte. Musikalisch hingegen gab es nichts zu meckern, aber auch nichts über den schwarzen Klee zu loben. THE 69 EYES ratterten ihr Set professionell herunter, ohne bei der Songauswahl große Wünsche offen zu lassen.
Galerie mit 18 Bildern: The 69 Eyes - Wave Gotik Treffen 2013Den stärksten Eindruck des Tages hinterließen IN STRICT CONFIDENCE, die vollkommen zu Recht zum Headliner im Kohlrabizirkus, der zweitgrößten WGT-Location, auserkoren wurden. Die Band um Frontmann Dennis Ostermann hat mit ihren letzten beiden Alben „La Parade Monstrueuse“ und „Utopia“ bewiesen, dass die Entwicklung von vertracktem Sound hin zu mainstreamtauglicherer Eingängigkeit keineswegs mit einem Gesichts- oder Identitätsverlust einher gehen muss. Mit dem Über-Ohrwurm „My Despair“ eröffneten sie ein mitreißendes Konzert, das vor allem von der vereinnahmenden Präsenz des Gesangsduos Ostermann/de Lianin lebte. Optisch untermalt durch Videoprojektionen und Tanzeinlagen von Nina de Lianin kamen die Songs noch besser zur Geltung als auf den Alben. Da standen selbst die neuen Stücke „Morpheus“ und „Tiefer“ fast gleichberechtigt neben Klassikern wie „Seven Lives“, „Promised Land“ und „Zauberschloss“.
Galerie mit 22 Bildern: In Strict Confidence - Wave Gotik Treffen 2013Kultstatus genießt seit dem Freitagabend der Busfahrer der Linie 89, der uns vom Kohlrabizirkus zum Connewitzer Kreuz bringen sollte, wo wir im strömenden Regen auf die sicher bereits zum Bersten gefüllte Straßenbahn Richtung AGRA-Gelände warten wollten. An der Endhaltestelle angekommen ließ er mit der Durchsage „Planänderung – wir fahren durch bis zur AGRA!“ die schwarze Meute in Jubelstürme und Ein-Hoch-auf-unsern-Busfahrer-Gesänge ausbrechen. Am Display blinkte statt der Haltestellenanzeige fortan ein VIP-Schriftzug, wofür es abermals Applaus gab.
Solch Spontanität und Esprit hätte man sich anschließend auch beim Mitternachtsspecial AND ONE gewünscht. Doch Steve Naghavi erwischte nicht gerade seinen besten Tag. Was wiederum ins Bild passt, das AND ONE seit zwei Jahren abgeben. Erst der Shitstorm wegen des Supports von UNHEILIG auf deren Tour 2011 und der Ausstieg von Chris Ruiz und Gio van Oli kurz vorm ersten Konzert, dann der Abbruch der Tour nach wenigen Konzerten. Hinzu kommen Spekulationen über Naghavis Gesundheitszustand sowie die Tatsache, dass das für vergangenen Januar angekündigte Album „Magnet“ nach wie vor auf sich warten lässt. AND ONE-Auftritte sind eine One-Man-Show, die mit der Tagesform des schillernden Frontmanns stehen und fallen. Wenn wie an diesem Abend die schlagfertige und schelmische Interaktion mit dem Publikum kaum stattfindet und Naghavi den ein oder anderen Text ablesen muss, trübt das die Stimmung gewaltig. Als selbst bei „Metalhammer“ der Fuß nur widerwillig im Takt mitzucken wollte, hatten wir genug gesehen und machten uns auf den Heimweg.
Galerie mit 17 Bildern: And One - Wave Gotik Treffen 2013Interessante Alben finden
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