Avantasia
The Mystery World Tour - live in Ludwigsburg 2013
Konzertbericht
Der Metal-Oper-Wanderzirkus ist wieder in der Stadt. Nachdem EDGUY-Mastermind Tobi Sammet sein Solo-Projekt in diesem Jahr entgegen aller Ankündigungen mit „The Mystery Of Time“ in die nächste Runde schickte, gehen AVANTASIA auch wieder auf große Tour. Drei Stunden Spielzeit sind angekündigt und werden selbst dann eingehalten, wenn man die Ansagen großzügig herausrechnet. Da braucht es dann auch keinen Anheizer mehr, angefeuert von einem gutgelaunten Künstlerensemble erreicht die Stimmung sowieso rasch ihren Siedepunkt.
Am Anfang übernimmt Tobi Sammet bei „Spectres“ noch ganz alleine den Gesang, abgesehen von „Lost In Space“ kommt sonst bei allen Stücken mindestens ein weiterer Lead-Sänger zum Zuge. Bei einer Handvoll Stücken überlässt der Bandleader seinen Mitstreitern sogar komplett das Feld und übt sich in ungewohnter Zurückhaltung, was dem übergreifenden Spannungsbogen der Show durchaus zugute kommt. Auch an Albernheiten in den Ansagen wird heute eher gespart, der Fokus liegt auf einer ausnehmend starken Songauswahl.
Auf den Opener folgen mit „Invoke The Machine“ und „Black Orchid“ zwei weitere Kracher des aktuellen Albums, die beide von Ronnie Atkins‘ brillianter Gesangsperformance profitieren. Daneben post der PRETTY-MAIDS-Frontmann mit Sammet um die Wette und sticht diesen in Sachen Coolness sogar deutlich aus. Da wirkt Michael Kiske im folgenden Oldschool-Doppelpack („Reach Out“ und „Breaking Away“) geradezu zurückhaltend.
Mindestens soviel Aufmerksamkeit wie der illustre Sängerreigen verdient aber auch die Instrumentalfraktion. EDGUY-Trommler Felix Bohnke und Bassist André Neygenfind legen ein solides Rhythmus-Fundament, auf dem sich die Gitarristen Sascha Peth und Oliver Hartmann mit fetten Twin-Leads und Solo-Duellen ordentlich austoben können. Gerade der gerne unterschätzte Hartmann zeigt sich der Doppelbelastung als Gitarrist, Background- und später sogar Lead-Sänger locker gewachsen und quittiert dabei selbst Tobi Sammets neckische Kleptomanen-Unterstellungen mit einem breiten Grinsen.
Die Stimmung innerhalb der Band ist also hervorragend und überträgt sich verlustfrei aufs gesamte Publikum. Flotte Power-Metal-Hymnen werden genauso begeistert mitgesungen wie epische Musical-Anleihen, neues Material genauso gefeiert wie ganz alte Kamellen. Und wenn mit MAGNUM-Legende Bob Catley der wohl beste Märchenonkel der gesamten Hartwurst-Szene seine starke Performance mit weit ausladenden Handbewegungen unterstreicht, winken mehr als 3000 Zuschauer eifrig zurück und klatschen begeistert den Takt dazu.
Galerie mit 51 Bildern: Avantasia - The Mystery World Tour 2013
Dass der ehemalige HEAVEN’S-GATE-Sänger Thomas Rettke sich auf dieser Tour die Ehre geben würde, hat sich längst herumgesprochen und während er bereits die ganze Show über Backing-Vocals beisteuert, darf er für „Scales Of Justice“ selbst das Lead-Mikrofon übernehmen. Und wenngleich er Tim „Ripper“ Owens, dem das „The Wicked Symphony“-Stück auf den Leib geschrieben wurde, nicht das Wasser reichen kann, schlägt er sich doch recht beachtlich. Über die vereinzelt etwas schräg anmutenden Zwischentöne hört man da gerne hinweg.
Alles andere als schräg tönt hingegen die samtweiche Stimme von Eric Martin (MR. BIG), der zu „What’s Left Of Me“ und „Promised Land“ erstmals zum Mikro greift und dazwischen einen längeren Dialog mit dem Publikum führt. Wo Herr Sammet seine große Klappe heute weitestgehend im Zaum hält, lässt Herr Martin der seinen freien Lauf. Das ist zwar unterhaltsam, wirkt aber etwas zu aufgesetzt und von sich selbst überzeugt, so dass man ganz froh ist, als es wieder mit der Musik weitergeht. Und die fährt mit „Sleepwalking“ das wohl umstrittenste Geschütz des neuen Albums auf. Bei aller Poppigkeit funktioniert das Stück auch und gerade live hervorragend und bietet Background-Sängerin Amanda Somerville eine schöne Gelegenheit, ihre Leadsänger-Qualitäten zu demonstrieren.
Drei Stunden mit nur einer winzigen Pause vor dem Zugabenblock – das zehrt an den Kräften von Musikern und Zuschauern. Da verwundert es kaum, dass heute so ziemlich alle ruhigeren Stücke der AVANTASIA-Diskografie zum Zuge kommen. Ob schunkeliger Walzer („Farewell“) oder besinnliche Klavier-Ballade („In Quest For“), Gänsehaut-Momente finden sich zuhauf und bieten einen schönen Kontrast zu flotteren Stücken („Stargazers“, „Twisted Mind“) oder epischem Breitbild-Bombast („The Wicked Symphony“, „The Scarecrow“).
Im Zugabenblock gibt es dann nur noch Klassiker von den beiden „Metal Opera“-Alben zu hören. Vor dem obligatorischen Signature-Track „Avantasia“ steht dabei der Longtrack „The Seven Angels“, dessen Strophen deutlich schneller dargeboten werden als bei der ursprünglichen Album-Version. Und dann ist es auch schon vorbei und „Sign Of The Cross“ schließt eine phänomenale Show ab, die zu keiner Sekunde langweilig war und dabei Band, Sänger und Publikum bis an die Erschöpfungsgrenze brachte. Vorher darf Tobi Sammet aber noch die Bandvorstellung in epischer Breite zelebrieren, damit die Presse wieder etwas zum Meckern hat (gern geschehen, Tobi! ;)) und verkünden, dass dies sicher nicht die letzte AVANTASIA-Tour gewesen sein wird. Bleibt zu hoffen, dass der sympathische Kerl Wort hält, wir sind auf alle Fälle gerne wieder mit dabei!
Setlist AVANTASIA:
- Spectres
- Invoke The Machine
- Black Orchid
- Reach Out
- Breaking Away
- The Story Ain’t Over
- The Great Mystery
- Scales Of Justice
- What’s Left Of Me
- Promised Land
- Sleepwalking
- The Scarecrow
- Stargazers
- Farewell
- Shelter From The Rain
- In Quest For
- The Wicked Symphony
- Lost In Space
- Savior In The Clockwork
- Twisted Mind
- Dying For An Angel
- The Seven Angels
- Avantasia
- Sign Of The Cross
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