Six Feet Under
Christmas In Hell Tour 2012
Konzertbericht
Die erste Band, die ich also anlässlich des Weihnachtsfestes in der Hölle sah, waren SHEOL AFTERLIFE. Diese versprachen gleich zu Beginn, dem Publikum gehörig in den Arsch treten zu wollen. Was sie auch taten. Allerdings stieß ihre Mischung aus relativ klassischem skandinavischem Deathmetal und unerwarteten Metalcore-Kreischeinlagen auf gemischte Reaktionen. Statt der von der Band offensichtlich erwarteten Begeisterungsstürme war die Stimmung gut, jedoch nicht überbordend. Die Norweger profitierten zusätzlich zu ihrem sehr sicheren Spielen von zwei sehr versierten Männern am Mischpult, die SHEOL AFTERLIFE einen allzeit sehr druckvollen, klaren Sound kreierten. Im Verlauf ihres Sets gelang es der hart arbeitenden Band und ihrem sympathischen Sänger jedoch, die Mehrheit der Anwesenden auf ihre Seite zu ziehen und ihren Aufforderungen zu den obligatorischen Circlepits wurde bereitwillig Folge geleistet. Irgendwie originell war, dass der Sänger der Norweger, zumindest bevor es ihm im Steinbruch zu warm wurde, ein T-Shirt mit dem Konterfei von BLONDIE-Sängerin Debbie Harry trug.
SHATTERED SOCIETY, ebenfalls aus Norwegen, waren die nächste Band im Programm. Große Posen der Akteure, eine Griffbrettkamera am Instrument des Leadgitarristen, Emokreischgesang- dass diese Jungs sich ins Billing eingekauft hatten, war wohl auch dem dümmsten Menschen im Publikum sofort klar. Und so waren SHATTERED SOCIETY bzw. deren Basist Mikal schnell das Ziel verschiedener Spötter, die u.a. lautstark die These vertraten, dass dieser ein entlaufener Kandidat der Unterschichts-TV-Castingshow „Bauer sucht Frau“ sei, was bis zum Ende des Abends jedoch nicht zweifelsfrei be- oder widerlegt werden konnte. Für mich persönlich bestand der Tiefpunkt am Auftritt dieser Band in einem knapp fünfminütigen Instrumental, das eine gewisse Ähnlichkeit mit METALLICAs „Orion“ aufwies und mehr aufgesetzte Melancholie als irgendwas sonst ( z.B. Charme) versprühte.
Dann war es endlich soweit: SIX FEET UNDER, die Könige des Florideath, bequemen sich nach einiger Zeit und ersten Unmutsäußerungen im Publikum hinaus auf die Bühne und legen sofort los wie die sprichwörtliche Feuerwehr. Die seit 2011 mehrfach um- und neubesetzte Band um das ehemalige CANNIBAL CORPSE-Urgestein Chris Barnes, seit knapp zwei Jahren vom Quartett zum Quintett mutiert, profitiert merklich vom frischen Wind der neuen Mitglieder und steigt mit „Formaldehyde“ vom aktuellen Album „Undead“ (2012) ein. Nach einer kurzen Begrüßung geht es mit dem CANNIBAL CORPSE-Klassiker „Stripped, Raped And Strangled“ weiter und man kann eigentlich nur staunen, wie unglaublich gut die drei Neuen bei SIX FEET UNDER (Gitarrist Ola Englund, Bassist Jeff Hughell und Schlagzeuger Kevin Talley) ihren Job machen- ganz gleich ob bei neuen oder steinalten Songs. Vor allem Tieftöner Hughell weiß am siebsaitigen (!) Bass zu beeindrucken. Zusammen mit Kevin Talley (u.a. ex-CHIMAIRA, ex-MISERY INDEX, ex-DECREPIT BIRTH, ex-DYING FETUS) bildet er wohl eine der schnellsten und zugleich präzisesten Rhythmusgruppen des Genres. Die so neu erstarkten Meister des groovebetonten Deathmetal drücken an diesem Abend beherzt aufs Gas- was daran liegen mag, dass sie als Headliner nur eine Stunde Spielzeit haben und in diesem viel zu kurzen Zeitfenster möglichst viele ihrer zahlreichen Hits zum besten geben wollen. So erfolgt ein wahrer Parforceritt durch den Hitkatalog von SIX FEET UNDER. Hymnen wie „Feasting On The Blood Of The Insane“ und „Victim Of The Paranoid“, „No Warning Shot“ vom Killeralbum „Maximum Violence“ (1999) und „Revenge Of The Zombie“ vom vorherigen Killeralbum „Warpath“ (1997) werden von Mr. Barnes kurz und knackig anmoderiert und dann kellertief hervorgegrunzt und mit gelegentlichem Schweinchengequieke angreichert. Dazu lässt der Meister wadenlangen Dreads kreisen und deklassiert dabei im Hand- bzw. Kopfumdrehen sämtliche Orks aus dem filmischen Werk Peter Jacksons zu Pappkameraden. Tja, und so ballern die fünf aus dem Sumpf der ausrastenden Menge Hit um Hit um die Ohren, bevor sie mit dem CANNIBAL CORPSE-Klassiker „Hammersmashed Face“ ihren letzten Trumpf zücken und sich daraufhin sang-, klang- und grußlos verdrücken. Zugaben gab es nicht und ein besserer Titel als ABBAs „Thank You For The Music“ kam wohl keinem der Verantwortlichen in den Sinn, um die teilweise echt angesäuerten Fans in die winterkalte Nacht zu entlassen. Trotz per se weitgehend sehr cooler Auftritte bleibt von diesem Abend ein fader Nachgeschmack.
Man kann über den Sinn von Touren mit vier Vorbands sicher trefflich streiten. Letztlich wird hierdurch lediglich garantiert, dass der Headliner, in diesem Falle SIX FEET UNDER, ohne finanzielle Einbußen nach Hause fahren. Die Sorge hierum ist nur menschlich und irgendwie auch verständlich. Aber könnte man dann nicht wenigstens ein paar Kapellen zusammentrommeln, deren musikalische Ausrichtung sich zumindest grob mit der der Hauptband deckt? Und mussten es tatsächlich gleich vier Vorbands sein? Hätten drei nicht auch genügt, zumal die Verbleibenden dann eine rein rechnerisch um 15 Minuten längere Spielzeit gehabt hätten? Auch SIX FEET UNDER selbst, wegen denen die Mehrheit der rund 300 Anwesenden sich in Eis und Schnee auf den Weg gemacht haben, hätten mit ebenfalls theoretisch denkbaren 1,5 Stunden Spielzeit einen regulären Gig, im Optimalfall mit Zugabe spielen können. Na ja, vielleicht beim nächsten Mal.
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