Saga
Interview mit Michael Sadler zu seiner Rückkehr und zum neuen Album "20/20"
Interview
Michael Sadler ist bei den kanadischen Progressive-Rock-Heroen SAGA wieder hinters Mikro zurückgekehrt – und nicht nur für Kollege Sickman ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen. Denn auch wenn Ersatzmann Rob Moratti seine Sache ordentlich gemacht hat, ersetzen konnte er Sadler wohl nie. Keine Frage, dass ein Interview mit Michael Sadler her musste. Dort spricht er nicht nur über seine Rückkehr, sondern auch über das neue Album „20/20“ und die etwas chaotisch verlaufene Tour durch Deutschland im vergangenen November.
Michael, ich würde gerne zunächst auf Deine Rückkehr zu SAGA zu sprechen kommen. Seitdem ist über ein Jahr vergangen, und Ihr wart im Herbst bereits wieder in Deutschland auf Tour. Trotzdem nochmal zurück: Du hast gesagt, dass wenn Ihr Euch wiedervereinigen solltet, die Zeit und die Umstände exakt stimmen müssten, und dass sie exakt stimmen. Heißt das, dass die Reunion von Dir ausgegangen ist?
Um es kurz zu machen: Ich habe meine Rückkehr über einen gewissen Zeitraum mit Jim (Crichton, Bass; Anm. Red.) diskutiert, aber auch mit meiner Familie, weil es sie selbstverständlich genauso betrifft.
Als ich SAGA verlassen hatte, hatten wir die Möglichkeit einer Rückkehr nicht ausgeschlossen, wenngleich wir nicht gesagt haben, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Wir haben meinen Ausstieg als endgültig angesehen. Aber die Hintertür war da, falls der passende Zeitpunkt und die passenden Umstände gegeben sein würden. Ich glaube, sogar Rob hat das gewusst, auch wenn das zu dieser Zeit niemand laut ausgesprochen hatte. Insofern war er generell darauf vorbereitet.
Rob Moratti ist dadurch natürlich nicht gerade zu beneiden…
Ja, ich denke, Robs Rolle in dieser ganzen Geschichte ist am wenigsten vorteilhaft. Es war so, dass ich bei meinen Diskussionen mit Jim klar gemacht habe, dass mit Rob über die ganze Sache gesprochen werden soll, bevor eine Entscheidung getroffen sein würde. Ich habe gesagt, dass ich nicht am Telefon sitzen möchte und ihm hinterher sagen muss, dass eine Entscheidung gegen ihn gefallen ist. Ich wollte, dass er in die Diskussion miteinbezogen wird, um ihm die Absicht klarzumachen. Ich wollte nicht, dass man ihm sagt: „Du bist draußen, Michael ist drinnen!“
Als ich später mit Rob darüber gesprochen habe, hat er nachvollziehen können, warum wir diesen Schritt gehen. Natürlich war er traurig, aber das wäre ich auch gewesen.
Jetzt bist Du wieder bei SAGA, und mit „20/20“ habt Ihr recht schnell Euer „Reunionalbum“ am Start. Eigentlich war das ja schon für letzten September angekündigt gewesen – warum hat es jetzt doch länger als geplant gedauert?
Die ersten Deadlines bezogen sich auf den Zeitplan, als ich noch nicht wieder in der Band war. Als ich in die Band zurückkehrte, war die Musik des neuen Albums im Grunde genommen schon fertig. Meine Aufgabe war es, die Melodien und die Texte beizutragen. Aber wir haben bald schon gemerkt, dass wir dieses Album richtig angehen sollten, anstatt auf eine Deadline hinzuarbeiten. Ich fand, dass dieses Album zu wichtig ist, als dass wir es zu einem bestimmten Zeitpunkt abliefern müssten.
Aber die Musik habt Ihr nicht nochmal komplett umgeschmissen?
Nein, das nicht. Ich habe aber ein bisschen länger gebraucht und bei der Hälfte der Songs meinen Part fünf oder sechs Mal umgeschrieben.
Wie war das für Dich, diesmal nicht von Anfang an in das Songwriting eingebunden gewesen zu sein?
Für mich fühlte sich das ein bisschen nach Karaoke an. Ich hatte diesmal den Luxus, zu fast fertigen und fertig gemischten Tracks zu singen. Das ist für einen Sänger so viel einfacher, wenn er die Kopfhörer aufsetzt und weiß, worum es geht.
„20/20“ (der Titel bezieht sich darauf, dass es das zwanzigste Studioalbum von SAGA ist, und ist die Bezeichnung für die perfekte Sehschärfe – eine nette Geste an Keyboarder Jim Gilmour) hört sich zu jeder Sekunde nach SAGA an und vereint alle Trademarks der Band: Da gibt es progressive Tracks, einen balladesken Song, und Keyboarder Jim Gilmour übernimmt auch wieder einmal den Leadgesang. Auch wenn Du nicht von Anfang an in das Songwriting eingebunden warst, aber gab es eine Idee davon, wie das Album klingen sollte?
Schwer zu sagen. Als ich das fertige Produkt hörte, habe ich versucht, das Album aus der Sichtweise eines Fans zu hören. Und es ist tatsächlich so, dass es sich wie ein Querschnitt aller SAGA-Perioden anhört. Aber das war keine Absicht. Die Einflüsse mögen sehr breit gefächert sein, aber sie hören sich doch so an, als wenn sie zusammengehören. Als ich es das erste Mal hörte, war ich sehr aufgeregt, weil sich alles so vertraut anhörte, ich aber nicht sagen konnte, warum. Aber es hört sich doch zu jeder Sekunde nach 2012 an.
Auf dem Album gibt es den Song „Ellery“…
Ja, das ist ein kleiner Wink. Es geht nicht direkt um Ellery Sneed aus „The Perfectionist“. Es gibt aber in einige Texten Bezüge auf frühere Werke. Definitiv. Das war Absicht.
Genauso wie das Coverartwork, das die Figur des Albert (Einstein) aus den Chapters aufgreift. Gibt es für Dich eine Situation vom Songwriting bis zu den Aufnahmen des Albums, die Dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?
(überlegt) Ich habe ja gerade gesagt, dass ich versucht habe, mir das fertige Album als Fan anzuhören. In Erinnerung geblieben ist mir, wie ich den Track „Another Day Out Of Sight“ zum ersten Mal gehört habe, wo Jim Gilmour den Leadgesang übernommen hat. Ich war bei den Aufnahmen nicht mit dabei. Ich erinnere mich also daran, dass ich den Track gehört habe und von seinem Gesang angenehm überrascht war. (lacht) Nicht falsch verstehen, weil sich das anhört, als ob ich seinen Gesang vorher nie gemocht hätte, was nicht der Fall ist. Aber es hört sich anders an als das, was man von ihm kennt. Er singt anders als in der Vergangenheit, und ich mochte es sofort. Ich sagte zu ihm: „Ich mag den Track wirklich sehr, er hört sich nicht nach Dir an.“ (lacht) Das hört sich jetzt gemein an, was ich aber gar nicht so meine. (lacht)
Ihr wohnt ja schon seit den Achtzigern nicht mehr alle in Kanada, wobei Du jetzt aktuell der letzte aus der Band bist, der noch in L.A. lebt. Wie gestaltet sich denn generell das Songwriting?
Es ist so, dass jeder erst einmal für sich an Songs schreibt und für zwei bis drei Monate Ideen sammelt. Danach trifft man sich und geht die Sachen zusammen durch und jammt. Danach probt man, bis die Basics und die ungefähren Arrangements stehen. In diesem Stadium weiß man schon, in welche Richtung der Track geht, und das reicht für den Schlagzeuger, um seinen Part zu den Basic Tracks zu spielen. Wenn man diese Tracks hat, kann man seinen Part einspielen, ohne dass man als Band zusammen an einem Ort ist. Ian beispielsweise kann seine Gitarrenspuren bequem in seinem Tonstudio einspielen. Und warum nicht? Das ist dann der Ort, wo jeder sich am wohlsten fühlt und sein Equipment auf seine Bedürfnisse eingestellt hat. Aber natürlich proben wir auch zusammen als Band, weil wir dann ja auch live spielen. Das fühlt sich dann genauso an, wie es sich in einer Band anfühlen muss. Im Gegensatz zu einem „Projekt“, deren Produkte man heute zu neunzig Prozent im Radio hört. Du hörst den Unterschied.
Ihr habt mit Mike Thorne einen neuen Drummer, der Brian Doerner ersetzt. Warum seid Ihr und Brian getrennte Wege gegangen?
Das haben wir direkt nach der Tour entschieden, aber es ist keine Sache, die ich groß und breit erläutern möchte. Wir haben uns nur entschieden, die Zusammenarbeit zu beenden, was für alle Beteiligten besser ist, auch für Brian.
Okay. Mike Thorne habt Ihr ja via YouTube rekrutiert, wo man sich über seine Fähigkeiten selbst ein Urteil bilden kann. Wie ist er als Person?
Ich habe ihn noch nicht getroffen, da ich gerade aus Los Angeles gekommen bin, wo ich zehn Tage war. Ich habe aber mit ihm telefoniert und E-Mails geschrieben, und die anderen sagten mir, dass sie das Gefühl hätten, dass er gut in die Band passen würde. Aber natürlich ist das eine gute Frage, über die man sich Gedanken machen muss: Man steht ja nicht nur zusammen auf der Bühne und spielt, sondern verbringt darüber hinaus eine Menge Zeit zusammen. Aber was ich von den anderen gehört habe, ist, dass er einen guten Sinn für Humor hat – und jede Menge Energie!
Dann bin ich mal gespannt, ihn live zu erleben. Lass uns mal zurück zu Eurer Tour letzten November kommen. Mitten während der Tour musste sich Keyboarder Jim Gilmour einer dringenden Augenoperation unterziehen. Wie geht es ihm aktuell?
Gut. Er wurde ja in Köln operiert, dort wurde ihm die Netzhaut wieder befestigt. Es ist ein langer Heilungsprozess, aber es geht ihm immer besser. Gestern habe ich noch mit ihm gesprochen, und er hat nach wie vor ein paar Sehstörungen, aber es ist wesentlich besser als noch vor der Operation. Und er hat mir versichert, dass es sein Spielen nicht beeinträchtigt.
Ihr habt statt Jim mit zwei Keyboardern der deutschen SAGA-Tributeband THE CHAPTERS gespielt, was für die Zuschauer eine etwas merkwürdige Situation war. Später musste dann ja auch noch Schlagzeuger Brian Doerner ersetzt werden. Wie hast Du diese Situation erlebt?
Es war zunächst große Panik. Jim ist in Köln geblieben, während wir in der Nacht noch nach Berlin gereist waren. Er war zwischenzeitlich beim Arzt, und als wir im Hotel eingecheckt hatten, hatte er eine Nachricht für uns hinterlassen. Unser Tourmanager hatte ihn in der Zwischenzeit angerufen, und meine erste Reaktion war: „Oh, welch ein Spielverderber, wie schade.“ Aber der Tourmanager meinte nur: „Er muss sofort operiert werden.“ – Und ich: „Sofort?“ – „Sofort!“ Du kannst Dir die Panik vorstellen. Unsere erste Reaktion war: Wir müssen die Show canceln. Aber dann sind wir auf die Idee mit der Tributeband gekommen. Wir haben also den ganzen Tag in der Umkleide in Berlin geprobt, und direkt danach wurde das Equipment wieder auf der Bühne aufgebaut, und wir sind rausgegangen und haben gespielt. (lacht) Show must go on!
Aber die Jungs von THE CHAPTERS haben ihre Sache richtig gut gemacht.
Ja, absolut! Ich habe das den Zuschauern erklärt: „Wir hätten die Shows canceln können, aber wir dachten uns, dass Ihr uns lieber sehen möchtet.“ Vor allem, weil das ja für uns alle ein Comeback war. Eigentlich wollte ich Daryl (Spitzname von Jim Gilmour; Anm. Red.) deswegen immer necken, so nach dem Motto: „Hey, schade, dass Du nicht dabei sein konntest, aber es ist wirklich gut gelaufen, das Publikum hat uns auch so gemocht!“ (lacht)
Was haben die Fans gesagt?
Eigentlich haben das alle begrüßt, dass wir weitergetourt sind. Die Zuschauer hatten trotzdem ihren Spaß und haben es richtig aufgefasst. Es klang richtig gut, und die Songs haben so geklungen, wie die Songs klingen sollen.
Ihr legt ja ein enormes Tempo bei Euren Veröffentlichungen vor, jetzt seid Ihr bei Eurem zwanzigsten Studioalbum seit 1978 angelangt – werdet Ihr in Zukunft alles genauso intensiv angehen?
So lange es Spaß macht, so lange es dem Publikum, den anderen Jungs in der Band und mir ein Lächeln ins Gesicht zaubert, so lange wir mit Leidenschaft dabei sind und so lange uns das Publikum sehen möchte, so lange werden wir mit diesem Tempo weitermachen. Vorausgesetzt, die Gesundheit macht mit, aber Musik hält ja auch jung.
Und jetzt aktuell bin ich sehr gespannt, wie die Fans das neue Album aufnehmen werden. Dieses Gefühl der Unsicherheit hatte ich schon lange nicht mehr so stark bei einem neuen Album. Ich hoffe, die Fans mögen es! (lacht)
Ich denke, das sollte nicht so schwer sein. Danke für das Interview!
Schon gewusst?
- Ihren ersten Gig spielten SAGA vor gut 35 Jahren am 13.06.1977 in der Tudors Tavern in Cambridge, Ontario. Anwesend waren rund 40 Zuschauer.
- Michael Sadler übernahm bei OZZYs Album „No Rest For The Wicked“ den kompletten Backgroundgesang. Wie es dazu kam, erzählt Michael Sadler selbst: „Die Sache mit Ozzy ist ein wohlgehütetes Geheimnis, das steht nicht mal in den Credits des Albums. Wir saßen gerade vor Jims (Crichton; Anm. Red.) Studio, als Keith Olsen (Produzent von „No Rest For The Wicked“ und von SAGAs 1987er-Album „Wildest Dreams“; Anm. Red.) vorbeikam und sagte: „Michael, Du musst mich retten!“ Ich fragte ihn, was denn los sei, und er meinte, dass er alle Backgroundvocals und Chöre nochmal neu aufnehmen müsse. Den Job hatten Mark Volman und Howard Kaylan von den TURTLES gemacht – großartige Sänger, aber sie klangen viel zu nett und passten zu diesem Eighties-Metalsound nicht. Also habe ich in anderthalb Tagen nochmal alle Backgroundvocals neu aufgenommen, was teilweise sechzehn Spuren pro Song waren, um diese großen Chöre hinzubekommen. Natürlich ist das schade, dass ich in den Credits nicht auftauche, aber alle Leute, die es wissen müssen, wissen es mittlerweile (lacht)“
- Mit ihrem ersten Keyboarder Peter Rochon ist die Band nach wie vor befreundet. Er lebt mittlerweile in Montreal und spielt immer noch Keyboards, wenngleich nicht auf einem professionellen Level. Dazu Michael Sadler: „Bei unserem letzten Konzert in Montreal kam er zur Show, und beim nächsten Konzert sollte das wieder der Fall sein. Ich denke, er wird auch auf die Bühne kommen.“
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