Gojira
Die Duplantier-Brüder von Gojira erzählen von "L'Enfant Sauvage"
Interview
Heuer erscheint das neue Werk der französischen Death Metaller GOJIRA „L’Enfant Sauvage“. Doch mit Stilbezeichnungen kommt man bei diesen Jungs nicht weit. Wer die Musik kennt, wird sicher zustimmen. Zwar steht die Band nicht für avantgardistische Klänge oder Crossover-Experimente, doch haben sie es im Laufe der Jahre geschafft, mit ihrer Musik etwas beeindruckend Eigenständiges und Ehrliches zu kreieren. Daher war es für mich etwas ganz Besonderes, die beiden Duplanier-Brüder in den Kölner Roadrunner-Räumen zu treffen und über ihre Musik auszuquetschen. Und selten zuvor ist dabei ein so spannendes Interview rausgekommen.
Metal.de: Hallo, ihr Beiden. Es ist wirklich schön mit euch zu sprechen. Ich bin schon lange ein Gojira Fan.
Joe: Das freut uns.
Metal.de: Mario – vor einiger Zeit hast du gesagt, dass du nicht so gerne Interviews gibst. Das hat sich scheinbar verändert?
Mario: Nein. [beide lachen] Ich liebe es über unsere Musik zu reden. Nur ist mein Englisch leider oft nicht gut genug, um mich richtig ausdrücken zu können. In letzter Zeit habe ich mich aber verbessert, so dass es immer besser klappt.
Metal.de: Nach der Veröffentlichung eures letzten Albums „The Way Of All Flesh“, habt ihr eine EP namens „The Seasheppherd“ angekündigt. Was genau hat es damit auf sich und wie ist der Stand der Dinge?
Joe: Wir arbeiten dran. Und hoffen, dass es bis zum Ende des Jahres noch veröffentlicht werden kann. Es ist sehr schwer die nötige Zeit zu finden. Wir waren mit den Aufnahmen zu unserem neuen Album beschäftigt. Außerdem wird es auf der EP einige Gastauftritte geben, was die Koordination ebenfalls erschwert. Es ist jedoch bereits abgemischt und wartet nur noch auf den letzten Schliff.
Metal.de: Auf jedem Song wird es einen Gastsänger geben?
Joe: Ja. Ich singe zwar auch überall mit, teile die Parts aber mit den Gästen. Alle Einnahmen, die wir dadurch bekommen, werden der Seasheppherd Organisation gespendet.
Metal.de: Die haben auch tatsächlich ein Schiff nach euch benannt?
Joe: Ja, das haben sie tatsächlich. Wir haben uns mal mit ihrem Chef Paul Watson getroffen, der damals auch Greenpeace mitgegründet hat. Er ist eine sehr beeindruckende Persönlichkeit und wirklich ein Pirat, beziehungsweise ein echter Kämpfer. Wir sind zu ihm gegangen, weil wir uns gerne engagieren wollten. Plötzlich ist daraus diese große Sache geworden. Dieses Gojira-Schiff ist verdammt beeindruckend. Es fährt durch japanisches Gewässer und versucht die Arbeit der Walfänger zu beobachten und zu unterbinden.
Metal.de: Reden wir jetzt mal über euer neues Album – „L’enfant Sauvage“, wenn ich es richtig ausspreche.
Mario: [lacht] Oh ja, das war ziemlich gut! Die Amerikaner haben damit sehr große Schwierigkeiten.
Metal.de: Als Übersetzung fand ich die Begriffe ‚Wildes Kind’ und ‚Wolfskind’.
Joe: Ja, beides stimmt und doch ist es nicht möglich das Ganze wörtlich zu übersetzen. Der Grundgedanke ist ein Kind, welches in der Wildnis aufwächst, ohne jeglichen Kontakt zu anderen Menschen.
Metal.de: Also eine Reflexion darüber, wie die menschliche Natur von der Gesellschaft dominiert wird?
Joe: Ich wollte eigentlich mit der kurzen Antwort davon kommen. [beide lachen] Hat nicht funktioniert. Weißt du – Babys und Kinder sind sehr reine Wesen. Sie haben noch keine Erziehung hinter sich, manchmal nicht einmal einen Namen. Wenn die Erziehung dann einsetzt, versuchen wir unser Weltbild an das unserer Eltern, Großeltern, der Kultur und der Institutionen in unserer Umgebung anzupassen. Daraus wird der Mensch geformt. Plötzlich sieht man sich mit Phänomenen wie Schuld oder Eifersucht konfrontiert. All diese komplexen Netzwerke von menschlichen Gefühlen. Wir selbst versuchen in unserem Leben wild, oder ‚sauvage’ zu bleiben. Nicht im Sinne von gefährlich, sondern rein. „L’enfant Sauvage“ ist etwas, das jeder von uns in sich trägt. Und je näher man diesem Kind ist, desto besser, denn eigentlich ist es genau das, was man in seinem Herzen ist. Das ist die Grundidee.
Metal.de: Sind die Songs dementsprechend miteinander verbunden?
Joe: Wenn du so etwas wie ein Konzept meinst, dann eher nein. Wir spielen einfach Musik. Für uns gibt es eine bestimmte Farbe darin, die wir transportieren wollen. Manchmal kommt dabei auch etwas sehr abstraktes heraus. Natürlich machen wir uns viele Gedanken, doch am Ende sind es einfach vier Menschen, die ihre Musik spielen.
Metal.de: Für eine Death Metal Band habt ihr eine sehr ungewohnte Herangehensweise. In euren Lyrics geht es nicht um Enthauptungen, Blut und Gedärme – auch optisch bedient ihr keine Klischees. War es hart in der Szene akzeptiert zu werden?
Mario: Nein, überhaupt nicht. Metalheads sind nicht dumm, weißt du? Sie merken, ob das was du auf der Bühne tust von Innen kommt, oder nicht. Wenn wir live spielen, kommt es von ganz tief drin, da können wir uns nicht verstellen. Und die Leute spüren das.
Metal.de: Ich muss sagen, dass es mir schwer fiel euch einzuordnen, als ich das erste Mal eure Musik gehört habe. Mir fehlten einfach die üblichen Vergleiche mit anderen Bands – es war wirklich irgendwie anders.
Mario: Cool, das höre ich sehr gerne.
Metal.de: Gab es bestimmte Literatur, die euch inspiriert hat?
Joe: Nein, kein bestimmtes Buch. Die Inspiration kam eher aus persönlichen Erfahrungen. Die vielen Schwierigkeiten des Lebens auf der einen Seite und der stete Wunsch danach frei und glücklich zu sein, auf der anderen. Es kann ganz schön kompliziert sein.
Metal.de: Was steht bei eurem Songwrighting am Anfang – die Musik, oder der Grundgedanke, was es für ein Stück werden soll?
Mario: Es kann beides sein. Meistens ist es jedoch die Musik. Manchmal kam Joe aber auch mit Ideen an, über die wir erst diskutiert haben und dann versuchten wir daraus Musik zu machen. Genauso unterschiedlich ist es mit den Instrumenten. Ich schreibe sehr gerne mit Joe. Da wir Brüder sind, gibt es da eine sehr starke Verbindung. Wenn ich einen Schlagzeugpart ausarbeite, weiß ich meist schon ungefähr, was er darauf spielen wird.
Joe: Manchmal ist es wie ein Unfall. Er spielt irgendwas vor sich hin und plötzlich denken wir alle „Wow, verdammt – das war total geil!“. Viele Dinge passieren einfach.
Metal.de: War dieses typische Gojira Geräusch, bei dem ihr mit dem Plektrum über alle Saiten gleitet auch so ein Unfall?
Joe: Ja. Naja, vielleicht nicht unbedingt ein Unfall. Ich wollte eine Bestimmte Stelle im Song ‚Embrace The World’ drin haben [summt vor]. Dort habe ich so ein ähnliches Gleiten gemacht, aber das Geräusch von dem du sprichst, entwickelte sich erst später während der Tour. Es hat auch etwas damit zu tun, wie ich die Gitarre körperlich gefühlt habe. Im nächsten Album wurde der Sound dann integriert. Nicht wirklich bewusst – ich war einfach daran gewohnt so zu spielen.
Mario: Wir experimentieren gerne mit unseren Instrumenten. Es gibt so viele Wege ein Becken anzuschlagen – mit ganz unterschiedlichem Ergebnis. Manchmal trommle ich live auch auf einem großen Metallblock, weil es diesen besonderen Klang hat.
Metal.de: Wenn man versucht eure Riffs nachzuspielen, merkt man, dass sie im Grunde oft ziemlich simpel sind. Doch ihr setzt sie perfekt zusammen und kreiert einen ganz eigenen Sound.
Joe: Es geht immer um das Gefühl. Ich schlage die Saiten sehr hart an, so dass ich das Riff immer fühlen kann, egal, ob die Gitarre gerade an den Verstärker angeschlossen ist, oder nicht. Ich sehe mich nicht als einen guten Gitarristen an. Mario ist ein unglaublicher Drummer. Ich aber nutze das Instrument nur als ein Mittel, um mich selbst auszudrücken. Musik ist das beste Mittel dafür.
Metal.de: Obwohl du ja auch zusammen mit Joe und euer Schwester malst und eure Artworks gestalltest.
Joe: Ja, ich mache meistens unsere Cover. Auf diesem Album haben wir uns diese Arbeit geteilt. Mario lieferte viele Skizzen – er macht auch viele Motive für unser Merch und die Webseite. Es ist eine tolle Symbiose mit der Musik – wir mögen die Bilder einfach, ohne unnötig viele Details. Mario malt sehr organisch. Er wirft oft einfach Farben auf die Leinwand und dann entstehen Dinge. Ich denke, dass es viel über sein Bewusstsein aussagt. Ich stehe mehr auf Symbolik. Meine Motive male ich immer und immer wieder, bis am Ende das rauskommt, was ich haben möchte.
Metal.de: Kein Wunder, dass sich viele euer Fans die Motive tätowieren lassen.
Joe: Ja, das ist ziemlich unglaublich. Irgendwie ist unsere Musik und unsere Kunst nicht mehr unsere, sobald wir sie veröffentlichen. Sie gehört dann den Menschen.
Metal.de: Das erinnert mich an die Literaturtheorie von Roland Barthes. Er spricht dort vom „Tod des Autors“ und meint das gleiche, wie ihr. Was der Autor mit seinem Werk evt. ausdrücken wollte, ist demnach nicht wichtig – das Werk entwickelt durch die Rezeption eine eigene Bedeutung.
Joa: Ganz genau so ist es.
Metal.de: Wolltet ihr eigentlich schon immer Musiker werden?
Mario: Ich war schon seit ich 12 bin sehr von Musik und vor allem von Metal begeistert. Ich ein absoluter Metalhead, eine zeit lang sogar mit Corpsepaint unterwegs [lacht]. Ich wollte auf die Bühne gehen und wie meine großen Vorbilder Sepultura abrocken. Ich dachte da jeden Tag dran und nahm es sehr ernst.
Joe: Es war teilweise erschreckend. Partys und so ein Zeug waren ihm völlig egal. Die ganz normalen Teenager Erfahrungen hat er erst viel später gemacht. Weil er eben so sehr auf sein Schlagzeugspiel fokussiert war. Das war beeindruckend. Andererseits – wir sind auf dem Land groß geworden. Dort konnte man nicht einfach immer ausgehen und mit anderen abhängen. Unser Haus war ein altes Landshaus mitten im Wald. Es gab dort einen ganzen Raum, in dem wir Instrumente stehen hatten und tun durften, was wir wollten.
Metal.de: Sind eure Eltern auch Musiker?
Joe: Nein. Unser Vater ist Künstler – mit seinen Bildern verdient er seinen Lebensunterhalt. Unsere Mutter ist eine amerikanische Yoga Lehrerin. Bei uns zuhause herrschte immer eine ganz besondere Atmosphäre. Sie haben uns nie zu etwas gedrängt. Als Mario Drums spielen wollte, besorgten sie ihm innerhalb weniger Tage ein gebrauchtes Schlagzeug und er konnte los legen.
Metal.de: Braucht ihr irgend einen Ausgleich zur Musik?
Mario: Sicherlich. Wir haben ein normales Leben, wie alle anderen auch. Obwohl es manchmal schwer ist abzuschalten. In diesem Job steckt so viel Leidenschaft drin. Trotzdem hat jeder in der Band andere Hobbys. Ich filme gerne und mache Bodyboarding. Das ist ein wichtiger Ausgleich. Wenn ich im Wasser bin, denke ich oft an die Bühne. Diese Naturgewalt fasziniert mich.
Metal.de: Denkt ihr, dass ihr immer beim Metal bleiben werdet?
Joe: Naja, wir beschäftigen uns auch jetzt schon mit anderer Musik. Mario interessiert sich für Electro Kram und experimentiert mit seinem Keyboard. Ich nehme auch gerne kleine Songs auf, die nichts mit Metal zu tun haben. Aber wir lieben Metal so sehr, Mann. Klar brauchen wir Pausen, aber dann überkommt uns diese Lust nach Geballer. [beide lachen]
Mario: Wir können nicht einfach immer die gleichen Sachen machen. Es gibt so viele Emotionen, die man mit Musik transportieren kann.
Joe: Und wir lieben es die Leute mit unsere Musik zu überrollen. Dieses Gefühl von Sachen zerschmettern, wie ein verdammter Vulkan – das brauchen wir auch! Die Leute sollen von uns ins Gesicht geschlagen werden – im positiven Sinn. Doch durchgehende Aggression wird schnell langweilig. Wenn ich mir viele Death Metal Bands anhöre, die einfach durchballern – denk ich mir nach ein Paar Songs – „Was soll denn das?“.
Mario: Das gleiche Problem habe ich mit vielen Metalcore Bands. Es gibt da sehr, sehr Gute Sachen. Doch viele komponieren nach dem immer gleichen Schema. Um ehrlich zu sein, fragen wir uns oft, wieso uns die Leute überhaupt mögen. Das ist manchmal dermaßen introvertiert. Natürlich sind wir froh.
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Stile | Death Metal, Melodic Death Metal, Progressive Death Metal, Technical Death Metal |
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