In Extremo
Wir werden niemals knien - Die Geschichte einer unnormalen Band
Special
Als „Rock Hard“-Redakteur und im Hinblick auf die Qualität seiner journalistischen Tätigkeit ist Wolf-Rüdiger Mühlmann eine absolute Katastrophe. Entsprechend skeptisch bin ich, als ich feststelle, dass er als Co-Autor der neuen IN-EXTREMO-Bandbiographie „Wir werden niemals knien – Die Geschichte einer unnormalen Band“ fungiert. Denn an wem bei solchen Werken die eigentliche Schreibarbeit überwiegend hängen bleibt, dürfte allgemein bekannt sein. Kann man das Werk also trotz eventueller Vorbehalte gegenüber dem journalistischen Geburtshelfer allen Fans der erfolgreichsten deutschen Mittelalter-Rock-Combo ans Herz legen?
Dass Mühlmann mit IN EXTREMO schon seit vielen Jahren eng befreundet ist, ist wahrlich kein Geheimnis. Folgerichtig gelingt ihm ein ziemlich intimer Einblick in die Entstehungsgeschichte und den Werdegang der Band, während sich gleichzeitig erfreulich selten die Gelegenheit zu polemischen Ausfälligkeiten und Beleidigungen gegenüber den von Mühlmann gerne gehegten Feindbildern bietet. Es steht tatsächlich die Informationsvermittlung im Vordergrund. Und für wen die „sieben Vaganten, die ihr Glück in der Hölle fanden“ keine Unbekannten mehr sind, der weiß, dass IN EXTREMO bereits eine Menge erlebt und viele spannende Dinge zu erzählen haben.
Das spannendste Kapitel der Bandgeschichte stellen zweifellos die frühen Jahre dar, als die einzelnen Musiker in unterschiedlichen Konstellationen gemeinsam musizierten und sich kennenlernten. Zu Zeiten der DDR legte man sich vielfach mit der Obrigkeit an und in den Wirren von Mauerfall, Wiedervereinigung und dem allmählichen Zusammenwachsen von Ost und West finden nach und nach auch Michael Rhein, Kay Lutter, André Strugala, Marco Zorzytzky, Boris Pfeiffer, Thomas Mund und Reiner Morgenroth zusammen, um als „Das Letzte Einhorn“, „Die Lutter“, „Dr. Pymonte“, „Flex der Biegsame“, „Yellow Pfeiffer“, „Thomas der Münzer“ und „Der Morgenstern“ gemeinsam mittelalterliche Markt- und harte Rockmusik zusammenzubringen. Dass die Band es mit dieser ungewöhnlichen Mischung einmal bis auf Platz 1 der deutschen Musikcharts bringen würde, hätte zum damaligen Zeitpunkt vermutlich niemand zu hoffen gewagt.
Gerade was die Ursprünge der Band und den musikalischen Werdegang der einzelnen Mitglieder angeht, gelingt eine geordnete Darstellung der Ereignisse nicht immer. Da wird teilweise etwas konfus in Zeit und Raum hin und her gesprungen und es kostet den Leser einige Mühe, den roten Faden nicht zu verlieren. Sind die Bandmitglieder aber vereinigt und beginnen ihren Weg zur erfolgreichsten Mittelalter-Rock-Band Deutschlands (wenn nicht gar der ganzen Welt), wird auch die Erzählung stringenter und nachvollziehbar. Im Allgemeinen überzeugt der lockere und durchaus unterhaltsame Schreibstil, der dieses Buch zu einem angenehm kurzweiligen Vergnügen macht.
Gelegentlich stolpert man trotzdem über einige „Mühlmannismen“, die das Lesevergnügen etwas trüben. So muten manche Entscheidungen, welche Details einer näheren Erläuterung bedürfen und was als allgemein bekannt vorausgesetzt werden kann, reichlich merkwürdig an. Warum wird zum Beispiel im Zusammenhang mit der Entstehung von Dr. Pymontes Künstlernamen „Pi“ als „die mathematisch Kreiskonstante 3,1415“ (Mathematiker werden diese Erklärung übrigens völlig zurecht für zumindest arg ungenau halten) erklärt, dann aber mit keiner Silbe mehr darauf eingegangen, wie man von hier zu „Pymonte“ kommt und inwiefern die italienische Region Piemont dabei eine Rolle spielt?
Auch bei der Beurteilung einiger moralisch fragwürdiger Handlungen, die in dem Buch Erwähnung finden, scheinen für die Musiker andere Maßstäbe gelten, als für den Rest der Welt. So wird mit Festivalbesuchern, die Dixie-Klos anzünden, oder Plattenfirmen-Vertretern, die sich bei Preisverleihungen die Birne zukoksen, hart ins Gericht gegangen, während das Sprengen von Briefkästen, das Verwüsten von Hotelzimmern und Backstage-Räumen, sowie exzessiver Drogenmissbrauch seitens der Band als wichtiger Bestandteil eines Rock’n’Roll-Lifestyles abgefeiert wird. Obwohl solche wertenden Kommentare nur als Randnotiz auftauchen, wirkt dieses Messen mit zweierlei Maß doch etwas störend.
Tatsächlich kommen IN EXTREMO in nicht wenigen der erzählten Anekdoten durchaus ein wenig assimäßig rüber. Wirklich übelnehmen kann man ihnen das aber nicht, denn zugleich bleiben sie stets so bodenständig und sympathisch, wie man es auch von ihren Live-Shows kennt. Die Fülle an aus erster Hand erzählten Anekdoten ist es auch, die den eigentlichen Reiz von „Wir werden niemals knien“ ausmacht. Da kann man es auch verschmerzen, dass gelegentlich die Pointe zu fehlen scheint. Über die Trennungen von Gitarrist Thomas Mund und Schlagzeuger Reiner Morgenroth, wird für meinen Geschmack etwas zu oberflächlich hinweggegangen und man wird den Eindruck nicht los, dass hier zu sehr darauf geachtet wurde, bloß ja keinem der Beteiligten in irgendeiner Form auf den Schlips zu treten.
Im Gegensatz dazu werden die Einstiege von Sebastian Lange und Florian Speckardt ausreichend gewürdigt und nachvollziehbar erläutert, sowie die Neumitglieder angenehm ausführlich vorgestellt. So bekommt man großartige Einblicke in das Innenleben der Band und die Persönlichkeiten der einzelnen Musiker. Für Fans besonders spannend dürfte auch die ewige Rivalität zu Konkurrenten wie SUBWAY TO SALLY sein, die immer wieder Erwähnung findet, sowie die etwas fragwürdige vertragliche Situation mit ihrem ersten Label. Aber warum sollte es IN EXTREMO hier auch anders ergangen sein als all den anderen Bands, die am Anfang ihrer Karriere ordentlich über den Tisch gezogen wurden?
Während zu Beginn noch schön straff und kurzweilig die wichtigsten Ereignisse aus der Bandgeschichte dargestellt werden, verlangsamt sich das Erzähltempo gegen Ende hin ein wenig und es finden vermehrt Belanglosigkeiten aus dem Bandalltag Erwähnung. Und auch die Frage, warum ich mit dem jüngsten IN-EXTREMO-Album „Sterneneisen“ immernoch nicht wirklich warm werde, kann mir die Lektüre von „Wir werden niemals knien“ nicht beantworten. Im Text finden sich immer wieder Original-Zitate der Musiker, die gerne noch etwas häufiger und ausführlicher hätten sein dürfen. Auffällig sind auch die immer wieder abgedruckten Liedtexte, die den Textfluss ein wenig auflockern und teilweise hervorragend in den umgebenden Text eingebaut sind, manchmal aber auch reichlich zusammenhanglos wirken und dadurch wesentlich willkürlicher erscheinen, als sie eigentlich ausgewählt wurden.
Fazit:
Alles in allem ist „Wir werden niemals knien“ eine kurzweilige Lektüre und dürfte für jeden Fann der Mittelalter-Rocker einen Pflichtkauf darstellen. Der Co-Autor entpuppt sich als eher unwesentliches Ärgernis, über dessen „Mühlmannismen“ man gelegentlich die Stirn runzeln oder den Kopf schütteln kann, ohne dass sie einem den Spaß an diesem Buch wirklich verleiden können. Im Wesentlichen handelt es sich eben um einen herrlich anekdotenreichen und sehr persönlichen Einblick in die wendungsreiche Geschichte einer großartigen Band, von ihren chaotischen Anfängen bis in die nur unwesentlich weniger chaotische Gegenwart. Darüber hinaus stimmt auch die Aufmachung als kompakter Hardcover-Band mit einem übersichtlichen Layout, guter Druck-Qualität und einem angenehm griffigen Papier.
Natürlich soll auch nicht verschwiegen werden, dass „Wir werden niemals knien“ nicht die erste Buchveröffentlichung der Mittelalter-Rocker darstellt. Bereits 2003 brachte Bassist Kay Lutter den wunderschönen Band „Spielmannsfluch“ heraus, der im Großformat mit vielen Fotos aufwarten konnte und noch persönlichere und intimere Einblicke in die frühen Bandjahre erlaubt. An dessen Qualität kommt „Wir werden niemals knien“ nicht ganz heran, da „Spielmannsfluch“ aber nur die Zeit bis zum Album „7“ abdeckt, hat auch die neue Biografie ihre Berechtigung.
In Extremo mit Wolf-Rüdiger Mühlmann
„Wir werden niemals knien – Die Geschichte einer unnormalen Band“
riva Verlag, 270 Seiten (Hardcover)
ISBN: 978-3-86883-211-2
Preis: 19,99 €
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Stile | Mittelalter-Rock |
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