Dass sich derzeit offensichtlich kein großes Label findet, um ASYLUM PYRE einer größeren Hörerschaft nahezubringen, ist ein mittelgroßer Skandal. Gleichzeitig unterstreicht dies aber auch die Underdog-Rolle, welche die Band spätestens seit dem 2019er-Album „N° 4“ in ihren ambitionierten Textkonzepten auslebt und umso überzeugender verkörpert.
Aufrichtige Gesellschaftsdystopie mit grandiosem Soundtrack
Wirkten ASYLUM PYRE auf den beiden ersten Alben „Natural Instinct?“ und „Fifty Years Later“ noch wie am Zustand unserer Welt verzweifelnde Baumkuschler, haben sie inzwischen längst auf Angriff umgeschaltet und inszenieren sich unter ihren Pseudonymen OXY, JAE, WIK, HED und KAS als revolutionäre Kämpfer gegen eine immer tiefer im grauen Einheitsbrei der industrialisierten Ausbeutung von Mensch und Natur versinkende Welt. Das klingt hochtrabend und spielt natürlich ausgiebigst auf der Klaviatur der längst nicht mehr frischen Gesellschaftsdystopien. Die ganz großen Klischee-Fettnäpfe umtänzeln ASYLUM PYRE dennoch gekonnt und wringen dem Thema in ihrer Aufrichtigkeit einen ganzen Eimer frischen Lebenssaft ab.
Eine spannende, weil eigenwillige Band waren ASYLUM PYRE auch musikalisch schon immer. Im Laufe der Zeit haben sich die Franzosen einen zunehmend eigenständigen Sound erspielt, der von gefälligen Power- und Melodic-Metal-Basics ausgehend eine gehörige Prog-Attitüde, moderne Electro-Klänge und immer wieder auch naturalistische Folklore-Elemente in sich vereint. So finden sich auch auf „Call Me Inhuman“ von Chiptune-verdächtigen Synthies bis zu warmen Dudelsackklängen eine Vielzahl an klanglichen Spielereien, welche die Kompositionen aufpeppen. Dieser Abwechslungsreichtum ist es auch, der im Laufe mehrerer Hördurchgänge das Gesamtbild prägt und etwaigen Ermüdungserscheinungen effektiv entgegenwirkt.
ASYLUM PYRE treffen beinahe ausnahmslos ins Schwarze
Während es auf der instrumentellen Seite nichts zu kriteln gibt, dürften sich am Gesang von Frontfrau Ombeline „OXY“ Duprot die Geister scheiden. Technisch über jeden Zweifel erhaben, verfügt ihre Stimme stets über ein leicht schräges Timbre – die einen werden gerade dies als essenziellen Bestandteil des Gesamtsounds von ASYLUM PYRE lieben, andere werden hingegen die allgemeine Gefälligkeit einer Simone Simons (EPICA) oder Clémentine Delauney (VISIONS OF ATLANTIS) vermissen. In Sachen Bühnenpräsenz und Ausstrahlung braucht sich OXY hingegen keineswegs verstecken, davon konnte man sich bei ihren Auftritten im Vorprogramm von DEMONS & WIZARDS im Sommer 2019 (ja, das war noch vor der Pandemie) ebenso überzeugen wie in den Video-Clips, mit denen ASYLUM PYRE ihr aktuelles Album eifrig bewerben.
Insgesamt lässt „Call Me Inhuman“ kaum einen Wunsch offen. Die Produktion knallt fett und transparent aus den Boxen, die gesamte Aufmachung inklusive ausführlichen Texten und zusätzlichen Story-Bits im Booklet ist hochprofessionell und mit Stücken wie „Happy Deathday“, „There I Could Die“, „The Nowhere Dance“ oder dem fantastischen Opener „Virtual Guns“ haben ASYLUM PYRE einen ganzen Strauß an Pfeilen im Köcher, die beinahe ausnahmslos ins Schwarze treffen. Höchste Zeit also, dass endlich ein namhaftes Label auf das Quintett aus Frankreich aufmerksam wird und sie unter seine Fittiche nimmt.
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