Metal mit alpiner Klangkulisse – der Salzburger Multiinstrumentalist Christian Höll (u. a. dem Live-Lineup von PERCHTA zugehörig) hat sich eine durchaus interessante, musikalische Nische erarbeitet. Weiland watschte der Vorredner den Zweitling seines hier gegenständlichen Projektes VINSTA namens „Drei Deita“ meines unmaßgeblichen Erachtens nach noch etwas unrechtmäßig ab, doch unabhängig von der Einzelmeinung zu „Drei Deita“ kann man sagen, dass der Mix aus OPETH- bzw. WITHERSCAPEismen und alpinen Folk-Metal-Klängen, in denen der Dulcimer eine gewichtige Rolle spielte und in dem sogar mal gejodelt werden durfte, einen gewissen Charme hatte. Natürlich war das ganze hier und da noch etwas unausgereift, aber hier hat die Novität höchst selbst einiges an Fußarbeit geleistet, um den Sound für einen bleibenden Eindruck interessant genug zu gestalten und die Ohren spitz für Neues zu halten.
„VINSTA wiads“, die Dritte
Nun, „Freiweitn“ heißt das neue, dritte Vollzeitalbum, das Höll unter diesem Banner zusammen gezimmert hat, nicht aber ohne Beihilfe von Gastmusikern. Das wären u. a. Florian Musil (AGRYPNIE, THEOTOXIN) am Schlagzeug, Tobias Langthaler am Bass, Gerald Huber an der Zwölfsaitigen und Monika Hahn an der Geige sowie als sekundierende Singstimme. Sie doppelt meist die klaren Gesangslinien, übernimmt seltener auch die Leitstimme oder singt die Harmonien, fügt sich aber in jedem Falle mit einer erfrischenden Selbstverständlichkeit ins Klanggefüge ein. Wichtiger: Sie macht aus vielen der guten Hooks auf „Freiweitn“ großartige Gänsehautmomente. Die Growls vom Chef sind indes immer noch weniger massiv wie die des Herrn Åkerfeldt, aber dafür deutlich gespenstiger (v. a. „Vinstas Valonga“), was in diesen weniger fleischigen Sound aber nach wie vor wunderbar hineinpasst.
All das kann man im ersten richtigen Song der Platte, „Schwoaze Låckn“, in Aktion erleben. Ein zunächst mal richtig schönes Detail, was man im Metal leider zu selten erlebt, ist, dass der Song die eindringlichen Melodien und Gesangslinien des vorausgehenden Intros „Steanklong“ nicht einfach ignoriert, sondern diese vielmehr als Ausgangspunkt für die erste Songhälfte macht. Speziell die markante Gesangslinie bleibt sofort im Gedächtnis haften. Hahns Stimme ist der Schlüssel, der diese Hook so wunderbar eindringlich ins Mark fahren lässt. In der zweiten Hälfte setzt dann der extremere Teil des VINSTA-Sounds ein, bei dem es sperriger, aber nicht minder atmosphärisch wird. Hier lässt die Gitarrenarbeit aufhorchen mit vielen höhenlastigen Phrasen, bei denen man hin und wieder den Eindruck bekommt, dass es im Schwarzwurzelwald rascheln könnte.
„Freiweitn“ möchte in mehreren Hördurchgängen erkundet werden
Die Produktion ist zugegeben recht klar mit wenig Fokus auf Druck und macht es dadurch anfangs etwas schwer, durch „Freiweitn“ durchzusteigen. Dieser Umstand trägt sich erst nach und nach ab, vorausgesetzt man erlaubt dem Album ausreichend Gelegenheit, sich zu entfalten. Denn natürlich ist „Schwoaze Låckn“ rhythmisch etwas monoton, aber hier leisten vor allem die Gitarren und nicht zuletzt die Gesangsleistung die Arbeit und verleihen dem Song faszinierende Texturen, die Bilder von verschneiten Wäldern vor dem geistigen Auge hervorbeschwören. Auf Empfängerseite gehört aber Geduld dazu und der Wille, sich durch eingangs eher sperriges Liedgut zu kämpfen, ehe „Schwoaze Låckn“ im speziellen und letztlich „Freiweitn“ im Allgemeinen den Hörer schließlich doch vollständig packt.
Dieses Phänomen begegnet einem auf „Freiweitn“ immer wieder, speziell in den härteren Passagen. „Wundaberg“ klingt anfangs beispielsweise so, als hätte Höll den einleitenden Rhythmus von „The Baying Of The Hounds“ genommen, geloopt und daraus einen Song geformt. Wieder ist es die Gitarre, die den Raum mit Leben füllt. Zur Halbzeit steigt Hahn wieder gesanglich prominenter mit ein und liefert im weiteren Verlauf einige sensationelle, geradezu jubilierende Gesangsharmonien, die einen mit Gänsehaut versehen und in Glückseligkeit schwelgend im Schnee zurücklässt. „Entarische Gstoit“ steckt ebenfalls voller OPETHismen nebst weniger rasenden, mehr stimmungsvollen Blastbeats, belohnt dann aber im Mittelteil mit einer soliden Hook sowie einzelnen, Dur-lastigen Melodiebögen, die dann aber in etwas Bedrohliches verdreht werden. Das sind nur weitere Beispiele dafür, dass sich die Geduld auf Empfängerseite hier immer wieder auszahlt.
Möglicherweise sind VINSTA auf bestem Wege zum Magnum Opus
Es gibt natürlich auch weit zugänglichere Klasse innerhalb der Trackliste zu bewundern. „Untawegs im Schattn“ bündelt die atmosphärische Komponente, die malerische Winterlandschaften vor dem geistigen Auge des Hörers hervorruft, wunderbar in einem intensiven, bündigen Vierminüter, der dann auch noch geschmeidig wie Butter ins folgende „Vinstas Valonga“ überleitet. „Einkehr“ und „Hoamat“ setzen als zwei wiederum zusammengehörige Stücke zum Schluss der Platte mit geradezu warmer, heimatlicher Melancholie noch einen drauf. Deren Intensität erreicht in letztgenanntem Rausschmeißer eine regelrechte Klimax und spendiert dem Album ein mehr als würdiges Ende.
Wie viele den atmosphärischeren Reizen zugewandte Klangerzeugnisse öffnet sich auch „Freiweitn“ nicht auf den ersten Hör, sondern möchte in mehreren, aufmerksamen Hördurchgängen erkundet werden. Die anfangs statisch anmutende Rhythmik entpuppt sich als höchst absichtsvoll inszeniert, um die melodischen Texturen aufblühen zu lassen. Manchmal erreicht das zugegeben ein bisschen den Grat hin zur Monotonie, aber VINSTA reißen das Ruder jedes Mal kurz vor dem kritischen Punkt herum. Bei den ruhigeren, elegischeren Passagen bleibt die Faszination von „Freiweitn“ jedoch von Anfang an erhaben. Beides balanciert sich wunderbar aus, Hahns prominentere Rolle im Klangbild hat sich bestens ausgezahlt und die alpine, in Melancholie getauchte Klangkulisse paart sich wunderbar mit den abwechslungsreichen, in Salzburger Dialekt getauchten Gesangsdarbietungen zu einem charmanten Gesamtpaket, das heuer im übrigen frei von Gejodel ist. Wen das zuvor gestört haben sollte, hat somit nun keine Ausrede mehr, VINSTA nicht wenigstens eine Chance zu geben.
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