Wolves In The Throne Room
Das meint die Redaktion zu "Celestial Lineage"
Special
WOLVES IN THE THRONE ROOM sind ein Phänomen, welches die Fangemeinde spaltet. Auf der einen Seite finden sich begeisterte Journalisten und sogar die Aufmerksamkeit des Mainstream-Feuilletons, auf der anderen das völlige Unverständnis für diesen Erfolg aus der Puristen-Ecke. Fest steht: Wer dermaßen für Kontroversen sorgt, darf nicht unbeachtet bleiben. So haben sich gleich drei Redakteure von metal.de das neue Werk der Wölfe zur Brust genommen. Wie die Meinungen über das Ende einer schwarzmetallischen Trilogie ausgefallen sind, lest ihr hier:
„Celestial Lineage“ ist nicht nur das Ende der Trilogie, die seinerzeit mit „Two Hunters“ begann und in deren Mitte „Black Cascade“ stand. Vielmehr markiert es auch einen Wendepunkt in der Geschichte von WOLVES IN THE THRONE ROOM, der möglicherweise bedeutendsten Black-Metal-Gruppe der letzten Jahre. Ihr kometenhafter Aufstieg seit dem Debütalbum „Diadem Of 12 Stars“ förderte nicht nur eine ungekannte Zahl vergleichbarer nordamerikanischer Projekte ans Tageslicht, sondern ist maßgeblich dafür verantwortlich, die Bande zwischen D.I.Y.-Szene und Metal-Untergrund auch in Europa fester geknüpft zu haben. Gerade angesichts der Ausnahmestellung der Weaver-Brüder Aaron und Nathan ist die Ankündigung, nicht – oder zumindest nicht mehr so – weiter zu machen bemerkenswert. Dieser besondere Platz in der Diskographie einer ungewöhnlichen Band verlangt einem Album also bereits im voraus einiges ab und es muss sich nicht nur an sich selbst, sondern auch in seinem Verhältnis zum Gesamtwerk bewerten lassen.
Innerhalb der Trilogie bildet „Celestial Lineage“ nicht nur den Schlusspunkt, sondern verkörpert auch die Synthese nicht nur seiner beiden Vorgängerwerke, sondern des kompletten Schaffens der Band. Jamie Myers ruft durch ihren ätherischen Gesang in „Thuja Magus Imperium“ und dem tollen Ambient-Stück „Woodland Cathedral“ unweigerlich Erinnerungen an Jessika Kenney wach und stellt somit die Verbindung zum homogenen „Two Hunters“ her, während das raue, ungezügelte „Subterranean Initiation“ stärker an „Diadem“ denken lässt als an die letzte Veröffentlichung der Wölfe aus Olympia. „Astral Blood“ lässt dann im letzten Albumdrittel den ursprünglichen und minimalistischen Black-Metal-Ansatz von „Black Cascade“ deutlicher durchscheinen denn je. Die Kombination aus all diesen Rückverweisen wirkt nicht nur mehr wie das Amalgam der Bandhistorie denn ihre eigentliche Essenz, sondern ergibt auch ein stark fragmentiertes Album, das eine längere Auseinandersetzung erfordert als alle vorherigen Veröffentlichungen. Wo früher sich konstant steigernde Verläufe die Handschrift der Stücke prägten, wirkt das neue Material hektischer, birgt es mehr überraschende Wechsel und plötzliche Effekte als wachsende Spannungsbögen. Daran muss man sich gewöhnen, qualitativ wirkt sich diese Tatsache jedoch nicht aus.
Überhaupt scheint das gesamte Album viel mehr von Spontaneität geprägt zu sein, wodurch die zahllosen WEAKLING-Vergleiche der Vergangenheit erstmals so etwas wie Berechtigung hätten. Das ist gerade deswegen erstaunlich, weil Aaron Weaver inzwischen mehrfach betont hat, dass „Celestial Lineage“ das durchdachteste der WOLVES IN THE THRONE ROOM-Alben sei. Aber vielleicht zeigt sich gerade in einem intensivierten Arbeitsprozess die menschliche, widersprüchliche Seite der verbleibenden zwei Musiker um so deutlicher und rückt entgegen dem Gedanken von innerer Geschlossenheit, den die naturverbundene Lebensweise und Ideologie der Brüder ausdrückt, in den Vordergrund.
Timm (8/10 Punkten)
WOLVES IN THE THRONE ROOM sind ohne Zweifel ein Phänomen. Immerhin hat es die Band weit über den Tellerrand des Black Metal gebracht, sogar viel weiter. Über die Amerikaner wird in Tageszeitungen berichtet und sogar jenseits des metallischen Bereichs diskutiert. Dennoch füllen WITTR keine Hallen, sondern kleine Konzertsäle, dafür immer bis zum letzten Platz. Sie sind eine Spartenband, ohne nur in einer Sparte zu existieren – faszinierend. Die Frage nach dem Warum stelle ich mir schon gar nicht mehr, und doch habe ich die Veröffentlichungen nach der „Two Hunters“ verschlafen oder deutlicher gesagt: schlichtweg gerade mal zur Kenntnis genommen.
Was sollte auch auf ein Meisterwerk wie „Diadem Of 12 Stars“ folgen? Und spätestens, als WITTR auf „Two Hunters“ mit „I Will Lay Down My Bones Among The Rocks And Roots“ den Song schlechthin schrieb, hatte die Band alles gesagt, was gesagt werden musste – da konnte einfach nichts Besseres kommen. Dennoch, bei Gelegenheit werde ich die Wissenslücken nachholen, essentiell ist für das neue Werk vermutlich nur, dass „Two Hunters“, „Black Cascade“ und eben „Celestial Lineage“ eine Trilogie bilden.
Mir geht es hier also schlicht und ergreifend um das neue Werk, das in mächtig große Fußstapfen tritt, die noch von den selben Künstlern erschaffen wurden. Schwierig, sehr schwierig. Genau das ist der Eindruck, den „Celestial Lineage“ bei mir hinterlässt, und das, obwohl WITTR sich bewusst nicht selbst kopieren. Und doch sind es die Blicke in die Vergangenheit, die mich empfangen wie mein warmes Zuhause in diesen herbstlichen Tagen. Ja, es grüßt quasi ein sehr angenehmer alter Wegbegleiter. Der Beginn ist anders, ungehobelter, stürmischer und vor allem hektischer. Während sich beim Opener „Thuja Magus Imperium“ zumindest noch im Ansatz der hypnotische Effekt einstellt, der die Band für mich so außergewöhnlich macht, betreten sie mit „Subterranean Initiation“ ganz ungewohnte und von mir bis heute nicht gut aufgenommene Pfade. Der Song ist schnell, zumindest für WOLVES-Verhältnisse, hektisch, verspielt und mit Keys ausgestattet, die mich eher an frühen Melodic Black Metal denken lassen. Weder etwas, das ich erwartet habe, noch etwas, das mich nur im Ansatz begeistert. Nicht zu vergessen seien die beiden kurzen Intermezzi, die mich eher stören, als dass sie eine atmosphärische Verknüpfung darstellen.
Bislang also die reinste Enttäuschung. Doch dann beginnen die Mannen aus Olympia, mich mit „Woodland Cathedral“ wieder in Trance zu wiegen. Synthies, ein paar Zupfer an der Gitarre und dann dieser Frauengesang. Sanft, einlullend und vollkommen. So wenig ich sonst mit weiblichen Vocals anfangen kann, ähnlich wie in der Vergangenheit versetzt mich die Dame erneut in ein Wohlgefühl der Ruhe – wunderbar. Danach geht es wieder beherzter zur Sache, und „Astral Blood“ ist trotz erneut recht hohen Tempos atmosphärisch dicht, doch noch besser ist „Prayer Of Transformation“. Langsam, schleppend, unnachgiebig erzwingen WITTR in den letzten Zügen des Albums nochmal die volle Aufmerksamkeit. Eine dichte Wand aus Gitarren und Synthies türmt sich auf, das Schlagzeug sorgt im Hintergrund dafür, dass einem die Umwelt völlig abgeht. Es ist die Hingabe, die Leidenschaft, die das Duo auszeichnet, genauso wie die Gabe, den Hörer in ihre Welt zu ziehen und alles andere auszublenden.
Genau das ist es, was mich an WOLVES IN THE THRONE ROOM so begeistert hat. Zeit spielte dabei keine Rolle, es ist egal, ob der Song zwanzig oder nur zehn Minuten dauert, die Wirkung war dieselbe, und genau das lassen sie auf der ersten Hälfte von „Celestial Lineage“ beinahe komplett vermissen. Das enttäuscht mich, obwohl der Schritt sicher von manchen begrüßt wird, ich jedenfalls werde mir die zweite Hälfte des Albums geben oder doch gleich wieder zu den ersten beiden Werken greifen. Aber eins haben die Amerikaner bewiesen, sie sind selbst in schwächeren Momenten noch spannender als ein Großteil ihrer Trittbrettfahrer und bleiben tatsächlich noch unberechenbar.
Jan (7/10 Punkten)
Die erste Konfrontation mit WOLVES IN THE THRONE ROOM glich einer Offenbarung. Dies war sie also, die Quintessenz des Black Metal. All die guten Momente, die einen schon bei den alten EMPEROR, GORGOROTH oder JUDAS ISCARIOT begeistert hatten – die allgegenwärtige Schwermut, spärlich aufblitzende Melodien, die wie Sonnenstrahlen zwischen Gewitterwolken durchbrechen. Subtile Schönheit. Kein prächtiges Gemälde, sondern ein auf einer Hauswand abblätterndes Bildnis, welches seine Wirkung gerade durch die Zeichen der Vergänglichkeit entfaltet. Wut und Aggression, die einen nicht anspringen und nieder brüllen. Viel mehr geht das Gefühl in Mark und Bein über, durch das sich Wiederholende in eine atemlose Trance versetzend. Was für Bilder, Landschaften, Begebenheiten entstehen vor dem geistigen Auge! Kein Lovecraft oder Poe hätte diese Geschichten besser erzählen können. Keine Frage – diese Musik wirkt auf den willigen Hörer bewusstseinserweiternd. Schwarzes LSD, wenn man so will.
Das Interesse war nach “Black Cascade“ schnell geweckt. Und die Recherche nach Hintergründen verlief mehr als befriedigend. USA statt Skandinavien. Natur statt Satan. Kommune statt Einzelgänger. Es gab so viel mehr zu entdecken, als das banale Donnern gegen Jesus und jegliche Form von Autorität, die man von diesem Musikgenre gewohnt war. Und das war man, da es wohl kaum größere Puristen in der Metalszene gegeben hat, als die Schwarzmetaller. WOLVES IN THE THRONE ROOM und die zeitnah mit ihnen etablierten Namen wie AGALLOCH oder ALTAR OF PLAGUES wiesen einen alternativen Weg in die Zukunft. Von den Konservativen wie erwartet abgelehnt, boten diese Bands einer neuen Fangemeinde eine Plattform, die dem Spirituellen in der Musik nicht abgeneigt war, ohne dabei religiös sein zu müssen.
Wie endet also die Reise der Wölfe durch ihre akustische Trilogie, deren letztes Wort mit „Celestial Lineage“ gesprochen sein soll? Ernüchternd. All die typischen Stilmittel und der eigene Klang sind nach wie vor da. Und doch dürfte dieses Album das am wenigsten dynamischste in der Bandgeschichte sein. Die verzaubernden Harmonien á la „Ahrimanic Trance“ findet man nur noch selten. Das Treibende, Rastlose, Faszinierende fehlt auf weiten Strecken. Dafür finden sich verstärkt sphärische Klänge und Soundcollagen. „Thuja Magus Imperium“ beginnt mit lieblichen Frauengesang und wird dann erwartungsgemäß von Schlagzeug und Gitarren zerfetzt. Doch fehlt hier der sonst gewohnte Druck. Dem Gekeife des Frontmans fehlt die Ausdrucksstärke und die hier und da eingestreuten Gitarrensoli mögen zwar als Innovationsversuch zu begrüßen sein, fühlen sich aber noch als Fremdkörper im Gesamtgefüge an. „Subterranean Initation“ bewegt sich mit seinem genretypischen Hauptriff zunächst gefährlich nahe am Rande von Vorhersehbarkeit. Zwischenzeitlich gibt es zwar großartige Momente, doch unter dem Strich passiert zu wenig.
Das finale Ritual der Band hat viele Längen. Meistens sind sie schön, da lieblich und verzaubernd. Auf lange Sicht jedoch auch ermüdend. Betrachtet man „Celestial Lineage“ als das Ende einer drei Alben umfassenden Saga, fällt das Hören leichter. Die Reise nimmt ein Ende. Dies geschieht nicht in Hollywood-Manier, mit einem großen Knall. Die Musik läuft aus, haucht ihre letzten Atemzüge hervor und – ist zuende. Sieht man das Werk jedoch als ein eigenständiges – und zum Teil sollte man das auch tun, denn die drei Alben wurden nicht umsonst mit großen Zeitabständen voneinander veröffentlicht – so stellt es wohl das schwächste Glied der Kette dar. Schlecht ist hier nichts, doch weiß auch nicht vieles zu begeistern. Aber vielleicht wurden wir ja in der Vergangenheit einfach zu sehr verwöhnt.
Eugen Lyubavskyy (6/10 Punkten)
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Stile | Black Metal, Progressive Black Metal |
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Gratulation, Eugen Lyubavskyy, zu diesem phantastisch geschriebenen Beitrag! Wie du im ersten Absatz das Wesen und den Reiz des Black Metal beschreibst und später die Rolle der Band darin, verdient meine höchste Anerkennung. Danke!
Nichts für ungut, Review ist okay, aber es wirkt für mich immer ein bisschen befremdlich, wenn Leute, die augenscheinlich die Szene nicht ganz so gut kennen, der Meinung sind, sie können „das Wesen [..] des Black Metals“ und Tendenzen der Musikrichtung reflektieren und darlegen. Das passiert im Rahmen neuer Wittr-Veröffentlichungen leider viel zu oft. Mich hätte eher interessiert, was die gestandenen BM-Redakteure der Seite hier vom Album denken.
Ich sehe das genau andersherum: Es ist erfrischend, mal eben nicht „die üblichen Verdächtigen“ zu diesem Thema zu hören/lesen, sondern einen Eindruck übermittelt zu bekommen, der sich einzig und allein auf die transportierte Atmosphäre bezieht und der gleichzeitig nicht auf den Rest der Szene schielt.
Sich in einer bestimmten Szene auszukennen bedeutet nicht automatisch, entsprechende Musik auch „besser“ beschreiben, bzw. in unserem Falle als Redakteure, besser bewerten zu können.