The Hirsch Effekt
Live In Reutlingen 2011
Konzertbericht
Montag Abend 19:30. Raus aus der ungeliebten, dennoch notwendigen Arbeitswelt, rein ins Auto und ab geht es in das benachbarte Reutlingen, wo die Meister des Post-Alles (wahlweise Core, Metal, Rock, Jazz, Indie, Punk, Pop, Grind, Elektro) von THE HIRSCH EFFEKT auf ihrer knapp einen Monat dauernden Tour durch Deutschland an diesem Abend im Franz K. Halt machen. Dort angekommen bietet sich ein Bild wie es für eine Show an einem Montag zu erwarten war. In kleinen Trauben stehen einige Leute vor dem Laden rum, unterhalten sich, frönen der Nikotinsucht oder benetzen ihre Kehlen mit ein wenig Bier. Auch im Franz K selbst bietet sich bis auf die Glimmstängel das gleiche Bild. Nur wenige Zuschauer haben es zu diesem Zeitpunkt geschafft anwesend zu sein. Die Entscheidung, die Show im kleinen Raum, das heißt quasi im Vorraum zum eigentlichen Konzertsaal, abzuhalten, war absolut richtig, denn auch wenn später deutlich mehr Leute da sind, würde sich das Ganze im großen Saal zu sehr verlaufen und es würde keine Stimmung aufkommen lassen.
Die Support-Band des Abends lässt noch auf sich warten, was ein wenig Zeit gibt sich einmal umzuschauen. Dabei fällt eins sofort auf: Das Publikum ist äußerst gemischt. Jung (vornehmlich in THE-Shirts gehüllt), alt (na alt eben…), kurzhaarig, langhaarig, Indie-Typ, Hardcore-Typen, Alternative-Typen, Normalo-Typen, Hornbrillen-Gitarrensoundtüftler-Nerd, Frauen, Männer und alles dazwischen. Einmal mehr ist der Beweis erbracht, dass THE HIRSCH EFFEKT in keine Schublade passen. Lustige Idee des Veranstalters am Rande: extra für diesen Abend wurde ein (Hirsch-Humphrey-) Shot entwickelt. Bestehend aus Vodka, Grenadine und Tabasco. In dieser Form mir in Karlsruhe als „wilder Hund“ untergejubelt worden. Oder war es „heißer Hund“? Keine Ahnung. Das Zeug hat, wie man sieht, seine Wirkung auf jeden Fall nicht verfehlt. Aber ich schweife ab! Zurück zum Wesentlichen.
Humphrey Cobra
Denn so langsam klettert auch der Support, HUMPHREY COBRA, auf die Bühne. Beherzt steigen sie in ihr Set ein. Geboten wird Alternative-Indie-Sound. Die Tübinger machen ihre Sache sicherlich nicht schlecht, nur der Sänger könnte seine Stimmlage ein wenig mehr variieren, sonst aber alles in allem ordentlich. Nur eben mal gar nicht mein Fachgebiet und sicherlich nichts, was ich zuhause mal auf den Plattenteller legen würde. Deshalb lieber Kippenpause und dann Fast-Forward zu den Hirschies…
The Hirsch Effekt
Die wie gewohnt bodenständig, sympathisch und ohne großes Brimborium auf die Bretter steigen. „Zoetropt“ leitet das Spektakel ein und der fast siebenminütige Brocken bündelt gleich alle Facetten von THE HIRSCH EFFEKT in einem Song. Ruhige, sphärische Moment und absolutes Chaos greifen fließend in einander und vereinen sich zu einem großen Kunstwerk. Eine Ohren- sowie Augenweide. Denn schon alleine den Drei beim Bedienen ihrer Instrumente zuzusehen macht unheimlich viel Spaß, spielen doch alle drei in der absoluten Oberliga ihres jeweiligen Metiers. Technisch äußerst anspruchsvoll und trotzdem sauber auf den Punkt gespielt. Wie Sänger Nils da nebenher noch wild auf seinem zwei Meter langen, doppelstöckigen Effektbrett rumstepen und oben drauf noch singen kann, wird mir für immer ein Geheimnis bleiben. Was aber keineswegs heißt, dass hier alles mit Effekten nur zum Selbstzweck vollgekleistert wird. Nein, alles wird songdienlich eingesetzt und ordnet sich immer brav dem großen Ganzen unter. Der Musik. Und die schlägt Hacken, nimmt unerwartet Wendungen und fordert. Kein Wunder also, dass kaum jemand weiß, wie man sich am besten dazu bewegen soll. Im weiten Rund wird damit vorlieb genommen, zusehen, zuhören und die Kinnlade von Song zu Song ein wenig mehr dem Boden anzunähren. Von vorne bis hinten einfach eine Demonstration in Sachen Virtuosität. Mehr als beeindruckend.
Galerie mit 17 Bildern: The Hirsch Effekt - Reutlingen
Der Großteil der Songs kommt von der immer noch aktuellen Platte „Holon : Hiberno“. Dass es von der Split mit CALEYA nichts zu hören gibt, war zu erwarten. Wäre dazu doch wohl ein größere Aufwand nötig. Doch auch ein zwei neue Songs haben es in das Set der Hannoveraner geschafft. Sie fügen sich nahtlos in den Fluss der Show ein und schüren die Freude auf ein neues Album. Normalerweise würde jetzt so eine Phrase wie „nach einer guten Stunde war Schluss“ oder ähnliches kommen. Kommt aber nicht, weil ich komplett das Zeitgefühl verloren habe während der Show. Was ein sehr gutes Zeichen ist. Trotzdem ist natürlich irgendwann Schluss. Doch die Hirsche werden lautstark auf die Bühne zurück gefordert. Nils kehrt alleine auf die Bühne zurück. Parodiert mehr als gekonnt Herbert Grönemeyer und Udo Lindenberg, sorgt noch mal für Schmerzen in den Lachmuskeln bevor „Lentevelt“ und „Epistel/ Calmo“ sowie der deutlich härtere zweite Teil des Songs „Epistel/ Vigoroso“ das Set endgültig mit eher ruhigen und nachdenklichen Tönen beendet.
Die für nach der Show angekündigte Lesung, die wohl auf der ganzen Tour immer im Anschluss abgehalten wurde, muss ich leider streichen. Das Bett ruft. Aber auch ohne dieses letzte I-Tüpfelchen ein großartiger Abend mit einer herausragenden, einzigartigen Band.
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