Klangexperimentalist Justin Broadrick, uns als Mastermind von GODFLESH wohlbekannt, veröffentlichte vor kurzem unter dem Banner JESU sein neuestes Opus „Ascension“, den ersten „echten“ Longplayer seit 2007. Den ersten seit 2007? Nun, das stimmt so nicht ganz, denn es gab ja die „unechte“ CD „Infinity“, welche 2009 erschien und uns einen einzigen komplexen Song in Überlänge präsentierte. Und dann wurden wir noch mit „Opiate Sun“ verwöhnt, einer EP, welche von der Länge und, was die vier darauf enthaltenen Monstersongs betraf, auch als vollwertige CD gewertet werden durfte.
Und das Konzept dieser EP wird nun mit „Ascension“ fortgesetzt. Über allen Tracks des Albums hängt dieser schwere Vorhang aus Melancholie, unendlicher Traurigkeit, wehmütiger Atmosphäre. Justin setzt auf Drone, Sludge, Shoegaze, Heavy-Riffing und angemessen Hall. Seine Stimme setzt er unaufdringlich, dennoch klar und fest ein, gebrochen dabei stringent, was den Songs Wärme verleiht und eine organische Wirkung schafft. Die zunächst vielleicht etwas monoton erscheinende, sich jedoch immer weiter auffächernde, sehr farbenreiche Musik kann den geneigten Hörer nicht unberührt lassen.
Denn Justin eröffnet neue Horizonte, indem er Indierock von allerfeinsten Melodien (soll heißen solchen, welche wir so noch nicht gehört haben, da sie sich nicht auf Althergebrachtes verlassen) mit Groove und auch vorsichtigen Metal-Akkorden verbindet. Was mir außerordentlich zusagt, ist die konsequente, sehr kreativ vorgetragene Schlagzeugarbeit, in welcher Ted Parsons eindringlich Kontrapunkte zum beinahe Doom-artigen Lava-Sound so mancher Songs setzt. Die unprätentiös-postrockigen Riffs nähern sich langsam, bauen sich monolithisch auf, doch immer lassen JESU einen Spalt offen, setzen auf Hoffnung, nicht Leid und Schwermut. Überhaupt, nie ist Justin stimmlich sentimental, eher eindringlich melancholisch. Und stets findet er aus dem Labyrinth hinaus. Denn das Licht, die rettende Laterne ist immer in der Nähe. Kitsch und Schmeichelei finden woanders statt.
Seltsamerweise erinnern mich manche Passagen an die SMASHING PUMPKINS, andere, was den Hallensound angeht, an PARADISE LOST zu Zeiten ihrer „Icon“-Phase. Die schrägen Akkorde mit ihrer basslastigen Schwere drücken den Hörer zurück in den Sessel, fordern ihn auf, der Thematik zu folgen, zuzuhören. Es ist diese Musik, die nicht konsumiert sondern erhört werden will. Und Justin verführt uns durchaus bisweilen mit Melodien, welche sanft einlullen, aber keine Verführung ohne vorheriges Spiel und Herausforderung, Provokation. Justin und Ted beherrschen diesen schmalen Grat zwischen Improvisation, Anspruch und nachvollziehbarem Popsong in grandioser Weise.
Es ist keine Musik für Brillenträger, sondern eine für Leute, welche abseits des Weges nach Edelsteinen suchen. So etwas dauert erfahrungsgemäß lange, kann jedoch weit mehr belohnen.
Einen einzigen Song aus diesem Fluss feinster filligraner Musik hervorzuheben fällt mir schwer. Das Album will in Gänze gehört werden. Ein Thema baut auf dem anderen auf, bildet Ergänzungen, neue Perspektiven. Wer den Opener „Fools“ hört und etwas für wirklich kreative, intelligent gemachte Musik übrig hat, wird diesem Album verfallen. Und auch die folgenden Songs, ob nun „Sedatives“, „Black Lies“ oder „King Of Kings“, sie alle warten mit grandiosen Einfällen auf, ziehen den Hörer in ihren warmflüssigen goldenen Strom. Die Magie dieser ungewöhnlichen Atmosphäre wirkt wie ein Rausch. Ein wenig erinnert das auch in der Wirkung an die wunderbaren Icelandic-Musiker, welche ja auch in der Lage sind, Kristall und Geysir zu verbinden. Und da werden es solche Creative Art Master wie u.a. Stephen Wilson oder Devin Townsend schwer haben, dieses Werk zu toppen…
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