Long Distance Calling
Wir sitzen alle im selben Boot
Interview
LONG DISTANCE CALLING beeindrucken mit ihrem neuen Album „Eraser“, dem Nachfolger zur EP „Ghost„, welches melancholische und progressive Elemente optimal miteinander verbindet. Unsere Review findet ihr hier.
Grüßt euch! Herzlichen Dank für die Zusage zum Interview. Ich habe mich sehr auf euer neues Album „Eraser“ gefreut und bin wirklich nicht enttäuscht worden. So wird es sicherlich vielen Fans und Pressevertretern gehen, oder?
Hallo erstmal, danke für das Interview und dein Interesse! Ich glaube, wir hatten noch nie so viele Interviews zu einem Album, das Interesse ist wirklich großartig und die Reaktion seitens der Presse und der Fans wirklich überwältigend. Das freut uns sehr!
Natürlich ist das neuste Release, immer die wichtigste Veröffentlichung für einen Musiker. Das kann, denke ich persönlich, auch jeder Kunstschaffende nachvollziehen. Daher eher die Frage, wie ihr das Album in euer bisheriges Schaffen einordnet, was die Unterschiede zu den letzten Veröffentlichungen sind und, jetzt bitte anschnallen, drei wirklich stichhaltige Gründe, warum „Eraser“ wirklich das beste LONG DISTANCE CALLING-Album bisher ist?
Das ist als Band immer wahnsinnig schwierig selbst einzuschätzen. Was ich aber sagen kann ist, dass es auf jeden Fall spielerisch und kompositorisch die anspruchsvolle Platte bisher ist. Der größte Unterschied zu den letzten beiden Veröffentlichungen ist sicher, dass nahezu keine elektronischen Sounds oder Samples zu finden sind, das Album klingt zwar sehr fett und modern produziert, aber gleichzeitig wahnsinnig natürlich. Das war das Ziel mit „Eraser“ und ich denke, das ist uns sehr gut gelungen. So eine natürliche Produktion hört man heutzutage fast gar nicht mehr und dazu kommt natürlich das spannende, außergewöhnliche und beklemmende Überthema des Albums, mit dem sich jeder mal beschäftigen sollte, weil es uns alle angeht. Wir sitzen alle im selben Boot. Ich hoffe die Antwort ist befriedigend. (lacht)
In eurer Pressemitteilung zum Release habe ich folgenden Abschnitt gefunden, den ich sehr interessant finde: „Ich denke, es ist wichtig, ein Konzept zu haben“, fügt Jan hinzu: „Als wir mit der Band anfingen, haben wir einfach Musik gespielt und mussten dann, als sie fertig war, Songtitel finden. Aber das hat sich im Laufe der Jahre geändert und wir finden es jetzt interessanter, ein Konzept zu haben, das uns ein wenig leitet. Es ist mehr Fleisch am Knochen.“ Inwiefern beeinflusst diese Herangehensweise eure Arbeit im Songwriting, wenn bereits ein Bild im Kopf vorhanden ist? Ich musste sofort an Benny Greb denken, der in seiner DVD „The Art and Science of Groove“ explizit zur Nutzung von Bildern beim Trommeln rät, um das Spielgefühl und den Ausdruck als Drummer zu verbessern.
Es ist in der Tat sehr spannend so an ein Album heranzugehen. Speziell bei diesem Album war das spannend, weil wir als erstes eine Liste mit den Tieren erstellt haben und dann überlegt, wie diese Tiere klingen, aussehen, laufen etc. und natürlich auch aus welchem Lebensraum sie kommen, all das haben wir versucht in Töne zu verwandeln und den Tieren damit eine Stimme zu geben. Vielleicht ist es gerade unsere Stärke eine bestimmte Atmosphäre oder Stimmung zu erzeugen, und das ist bei so einer Vorlage dann dankbar.
Sehr interessiert habe ich zudem gelesen, dass auf eurem Album keinerlei Drumsamples genutzt wurden. Könnt ihr auf den Aufnahmeprozess etwas detaillierter eingehen und beschreiben, was genau diese Entscheidung für den Aufnahmeprozess und am Ende des Tages den Klang des Albums selbst bedeutet?
Naja, es war uns eben wichtig, dass das Album sich a) vom Vorgänger absetzt, der eben sehr stark elektronisch gefärbt war und b) dem Album Konzept gerecht wird, wo es ja um Natur geht. Deswegen war es uns sehr wichtig, dass das Album zwar sehr groß und gut produziert klingt, aber gleichzeitig eben auch sehr natürlich, deshalb haben wir auf Samples verzichtet und so „wie früher“ aufgenommen, nur eben State of the Art. Es sollte einfach echt klingen und sich vom Einheitsbrei abheben, ich denke das ist gut gelungen, der Sound ist wirklich fantastisch, auch Hut ab für Arne Neurand, der neben dem Engineering auch für den Mix verantwortlich ist, es hat einen fantastischen Job gemacht.
„Sloth“, ehrlicherweise mein absoluter Lieblingssong des Albums, enthält einen phänomenalen Gastauftritt von Jørgen Munkeby (SHINING NOR) am Saxophon. Könnt ihr uns zu diesem Stück und zur besonderen Zusammenarbeit etwas berichten?
Es ist verrückt, wie viele Leute diesen Song nennen, wahrscheinlich aber auch, weil er einfach heraussticht. Es ist auch einer meiner Lieblingssongs auf dem Album. Er ist sehr atmosphärisch, dunkel und etwas, was wir so in der Form noch nie hatten. Wir lieben es zu experimentieren, und bei diesem Song war uns von Anfang an klar, dass wir ein Saxophon dabei haben wollten und da fiel die Wahl schnell auf Jørgen. Wir haben ihm eine Demo-Version der Songs geschickt und ihm weitestgehend freie Hand gelassen. Sein Spiel ist phänomenal, man kann ihn sogar stellenweise atmen hören.
Insgesamt klingt „Eraser“ für mich sehr aufgeräumt, strukturiert und auch ein stückweit melancholisch. Das ist paradox, weil das Album zugleich etwas härter und progressiver erscheint. Stimmt ihr da erstmal zu oder interpretiert ihr die Platte anders? Zudem: Reflektiert die Musik an dieser Stelle den inhaltlichen Ansatz und drückt Traurigkeit über den Umgang des Menschen mit der Natur und Tierwelt aus?
Ich glaube du triffst den Nagel da auf den Kopf, ich stimme dir komplett zu. Gerade die Mischung aus Härte und Melancholie macht dieses Album aus, in diesem Spannungsfeld passiert auch sehr viel auf der Platte, ich würde sagen, es ist unser abwechslungsreiches Album bisher und weist auf die größte Dynamik auf, das war uns sehr wichtig, weil die Tiere sehr unterschiedlich sind. Die Härte ist natürlich der Ernsthaftigkeit des Themas geschuldet, gleichzeitig ist es natürlich ein sehr trauriges Thema, deshalb passen beide Aspekte in dem Kontext perfekt zusammen.
Thema Tierwelt: Wie steht ihr zu Themen der Ernährung, explizit gefragt zu Vegetarismus und Veganismus?
Wenn man über das Thema nachdenkt, gibt es eigentlich keine Alternative. Massentierhaltung ist eins der größten Übel überhaupt und führt zu vielen Problemen. Allerdings sind wir nicht in der Position mit dem Zeigefinger auf andere Menschen zu zeigen, da wir als Band ja selbst auch Teil des Problems sind, oft genug scheitert man im Alltag an seinen eigenen Ansprüchen. Uns geht es aber darum, Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen und dafür unsere Reichweite zu nutzen. Zuerst muss jeder bei sich selbst anfangen Dinge zu ändern, sein Alltag zu durchleuchten und zu schauen an welchen Schrauben man drehen kann, das ist dann schon mal ein Anfang.
Gibt es denn noch Hoffnung auf eine andere Entwicklung der Menschheit oder haben wir tatsächlich die kritische Grenze der Entwicklung erreicht, sodass es eigentlich nur noch einen finalen Schnitt in Richtung eigener Auslöschung gibt oder denkt ihr, dass ein verändertes, reformiertes Leben im Einklang mit Natur und Tierwelt möglich ist?
Ich denke wir haben diese Grenze längst erreicht, allerdings fällt es mir schwer daran zu glauben, dass die Menschen freiwillig einen Schritt zurück machen, der eigentlich dringend nötig ist. Fortschritt ist nicht immer nur positiv und der Schaden bereits groß. Wir müssen jetzt einfach alles dafür tun, dass es nicht noch schlimmer wird und die Natur, unsere aller Heimat, wieder mehr zu respektieren und sie vor allem zu schützen, das sind wir ihr schuldig.
Düstere Themen, so möchte ich natürlich nicht abschließen. Gebt uns doch einen kurzen Einblick, wohin die Reise mit LONG DISTANCE CALLING in den kommenden Monaten weitergehen wird.
Das neue Album wird uns natürlich jetzt erst mal eine Weile beschäftigen, es gibt immer genug zu tun und wir freuen uns ja auch sehr über das ganze Feedback und die Arbeit, die damit zusammenhängt. Wir arbeiten gerade an der Tour zum Album, die wir demnächst bekannt geben, wir wollen mit dem Album so viel spielen wie möglich, soweit es die aktuelle Situation zulässt. Wir wünschen uns, dass sich vielen Menschen mit dem Thema und dem Album beschäftigen.
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Stile | Post-Metal, Post-Rock |
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