„Namenloser Schrecken in der Gegenwart“ ist ein weiterer Band für CTHULHU, der zwei Szenarien aus der 2015 erschienenen Anthologie „Nameless Horrors“ auf Deutsch beinhaltet. „Das Mondkind“ und „Der Bereich dazwischen“ spielen nicht, wie sonst in dem Horror-Rollenspiel üblich, in den 1920er und 1930er Jahren, sondern bringen den cthuloiden Schrecken in die Gegenwart.
Alte Freundschaften, neue Konflikte
In das „Das Mondkind“ geht es um okkulte Jugendsünden und verstrickte Beziehungsgeflechte. Als sich einige ehemalige College-Freund*innen nach langer Zeit wieder treffen, treten nicht nur alte und aktuelle Geheimnisse zu Tage, sondern auch ein schwer zu fassender kosmischer Schrecken, der nach und nach in die Gedanken der Spielfiguren und Nebencharaktere eindringt.
Auf relativ wenigen Seiten fasst das Szenario die Beziehungen zwischen den beteiligten Personen ansprechend zusammen, stellt die Spielleitung aber trotzdem vor die Herausforderung, den Überblick darüber zu behalten, wen was mit wem verbindet und welche Auswirkungen die Ereignisse des Szenarios darauf haben. Was als gemütliches Treffen alter Freund*innen beginnt, die auf dem College vermeintlich harmlose okkulte Interessen teilten, wird dadurch schnell zu einer düsteren Geschichte, die auch von zutiefst menschlichen Abgründen getrieben wird.
Dass sich dabei ein fast schon kultisches Gefüge um einen charismatischen „Guru“ enthüllt, der sexuelle Macht (auch über Minderjährige) ausübt, mag nicht jeden Geschmack treffen oder sogar Grenzen der Ertragbarkeit überschreiten. Auch, dass sich zunehmend sehr persönlicher psychischer Terror durch einen übernatürlichen Gegenspieler ausbreitet, sei an dieser Stelle als Triggerwarnung vorangestellt, ohne weiteres über die Handlung zu verraten.
Horror am Filmset
„Der Bereich dazwischen“ dreht sich ebenfalls um einen Kult, aber in einem größeren Maßstab. Eine Gruppierung, die stark an Scientology erinnert, dreht einen hochwertig produzierten Imagefilm, an dessen Entstehung auch die Spielfiguren beteiligt werden.
Die anfänglichen Probleme mit Behörden und größenwahnsinnigen Crew-Mitgliedern erinnern noch an den ganz alltäglichen Wahnsinn einer Filmproduktion. Schließlich kommt es jedoch dazu, dass sich in den Rängen des Kultes ein kosmischer Schrecken offenbart, der zur Gefahr für Körper und Geist aller Beteiligten wird.
Die Handlung ist im Gegensatz zum ersten Szenario also eher konventionell und weniger intimer Natur, aber ebenso offen gestaltet. Den Spielfiguren bietet sich hier die interessante Möglichkeit, sich selbst den verführerischen Versprechungen des Kultes hinzugeben, woraus sich spannende Konflikte ergeben können.
Verstrickte Beziehungen und abgründige Geheimnisse
Beide Szenarien sind mit vorgefertigten Spielfiguren ausgestattet, die bereits Verbindungen zu den anderen Personen des Szenarios aufweisen. Dies sorgt natürlich für einige Einschränkungen in der individuellen Ausgestaltung, gibt aber auch auf elegante Weise eine Motivation vor, sich überhaupt dem kosmischen Schrecken zu stellen – oder hinzugeben.
„Namenloser Schrecken in der Gegenwart“ ist eine gute Zusammenstellung von zwei durchdachten Szenarien, die etwas für Spieler*innen sind, die gerne Beziehungsdiagramme zeichnen und bei der Spurensuche abgründige Geheimnisse aufdecken möchten. Durch die vorgefertigten Figuren sind die Szenarien einstiegsfreundlich gestaltet, die Spielleitung sollte aber Erfahrung beim Verwalten komplexer Hintergrundgeschichten haben, sowie die Spieler*innen mit den teils fragwürdigen Handlungselementen zurechtkommen.
Dies vorausgesetzt, ist diese kleine Anthologie eine eindeutige Empfehlung wert. Dadurch, dass die Handlungen in der Gegenwart spielen, mag CTHULHU auch etwas nahbarer für jene sein, die sich mit dem Retro-Setting anderer Szenarien nicht anfreunden können. Die Zeitlosigkeit des kosmischen Schreckens zeigt sich dadurch umso mehr.
Der Soundtrack zum gegenwärtigen Schrecken: MONASTERIUM – Cold are the Graves / EVIL – Book of Evil / AFSIND – Afsind
Würfeln und blättern, statt lauschen und headbangen – In der Rubrik „Dice ‚em All“ stellen wir euch ausnahmsweise keine Musik vor, sondern Rollen- und Brettspiele.
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