Total Thrash - Filmkritik
Wir waren bei der Premiere in Essen dabei.
Special
Wochen im Voraus waren die 1250 Sitzplätze des größten Kinosaals Deutschlands in der Lichtburg in Essen ausverkauft – mit gutem Grund: Total Thrash – The Teutonic Story von Filmemacher Daniel Hofmann feierte am 31.05.2022 Weltpremiere und wir waren für euch natürlich dabei. Gleich zu Beginn des Abends ist klar: Das ist ein Film von Fans für Fans. Die Lichtburg ist gerammelt voll mit Metaller:innen, die zur sichtlichen Irritation der Angestellten der Lichtburg ordentlich Bierdurst und Feierlaune mitgebracht haben. Regisseur und Produzent Daniel Hofmann und die gesamte Filmcrew mischen sich unter die Leute und die Stimmung ist so ausgelassen, dass der Gong zur Ankündigung des Vorstellungsbeginns im Foyer von den meisten Gäst:innen nicht wahrgenommen wird. Nach und nach finden sich dann aber doch alle in freudiger Erwartung auf den Film im großen Kinosaal ein.
Nach einer kurzen Anmoderation grüßen DESTRUCTION und TANKARD via Videobotschaft das Publikum, die Uraufführung von Total Thrash beginnt nahtlos. Die folgenden 107 Minuten sind eine dreiteilige Liebeserklärung an den Thrash Metal, die trotz einiger kleiner Ecken und Kanten gehörig Spaß macht.
Total Thrash zeigt: Wenigstens auf den Metal ist immer Verlass
Der Film startet mit einem Überblick über die Entstehung des Thrash Metals in den frühen 1980er Jahren. Hofmann lässt seine Protagonist:innen zackig zusammengeschnitten ihre Erinnerungen erzählen, auf ein Voice Over wird dabei verzichtet. Das wirkt zeitweise etwas chaotisch, der rote Faden ist dennoch immer erkennbar. Montagen aus scheinbar uralten Fotos, Reviews und Konzertaufnahmen, für die wahrscheinlich einige verstaubte Kellerräume nach längst vergessen geglaubten Kisten durchforstet werden mussten, lassen Zuschauer:innen 40 Jahre zurück in die Vergangenheit blicken und man merkt: Zumindest rein visuell hat sich in der Metalszene dann doch nicht so viel getan, lediglich die Kameras sind inzwischen besser. Im Angesicht des stetigen Wandels und immer neuen globalen Krisen hat das auch was Schönes. Wenigstens auf den Metal ist Verlass.
Hofmann holt das Who Is Who der Thrash Metal Szene vor die Kamera: Tom Angelripper (SODOM), Peppi (SODOM), Jürgen „Ventor“ Reil (KREATOR), Gerre (TANKARD) und Sabina Classen (HOLY MOSES) sind nur einige der Gesichter, die wirklich lustige und spannende Anekdoten erzählen. Allerdings wird von den Zuschauer:innen auch erwartet, die im Film gezeigten Personen zu kennen. Vorgestellt werden alle Protagonist:innen und Bands im Film lediglich durch eine kurze Einblendung mit Namen und Band, bzw. Record-Label. Wer Namen wie Bernemann (BONDED / Ex-SODOM) oder Schmier (DESTRUCTION) nicht kennt, wird wohl nicht hinterherkommen. Besonders spannend sind die Erzählungen aus der ehemaligen DDR, in der sich trotz – oder gerade wegen? – des strikten Regimes auch eine lebendige Thrash Metal Szene entwickelte.
Die 1990er Jahre werden in einem wirklich knappen zweiten Teil wenig differenziert als Beinahe-Tod des Thrash Metals dargestellt. Das berüchtigte Album „Endorama“ von KREATOR (1999) steht hier stellvertretend für eine kreative Entfremdung von den heiligen Wurzeln der 80er Jahre, bis auf zwei Protagonisten sind sich alle einig: Die 90er Jahre, das war einfach nur scheiße.
„Es gibt nichts Intensiveres als ein Underground Thrash Metal Konzert!“
Der dritte und letzte Teil des Films darf wieder etwas mehr Atmen, die aktuellen Entwicklungen der Szene rücken in den Fokus. Insbesondere SODOM und die jüngeren TRAITOR werden enger von Hofmann begleitet. Gerade bei Backstage- und Konzertaufnahmen ist das stimmungsvoll, aber wirklich Neues erfahren Szenekenner:innen hier auch nicht mehr. Ein intergenerationaler Konflikt zwischen den Thrash-Metal-Urgesteinen und den Nachwuchsbands, die seit den 2000ern wieder gegründet werden, scheint zumindest im Film nicht zu bestehen. Ja, es ist nicht einfach, sich als junge Band durchzusetzen und Plattformen wie Spotify sind dabei in der Regel wenig hilfreich, aber die Leidenschaft der jungen Musiker ist deutlich spürbar. Akteure aus jungen und regional bekannten Bands wie die Brüder Jan-Peter und Sebastian von ERADICATOR oder Dominik Rothe von TASKFORCE TOXICATOR bekommen für ihre Einblicke in die Szene ebenso eine Bühne, wie die ganz alten Hasen. Hofmann gelingt es, das Spektrum der Thrash Metal Szene durch viele Protagonist:innen, immerhin sportliche 143 an der Zahl, auf die Leinwand zu bringen. Das ist für die Meisten im Publikum etwas ganz Besonderes, immer wieder brechen Applaus und Jubel aus: Engste Freund:innen auf der großen Leinwand der altehrwürdigen Lichtburg zu sehen macht einfach Freude. Knackige Statements wie „Es gibt nichts Intensiveres als ein Underground Thrash Metal Konzert!“ werden lautstark gefeiert und nach 107 Minuten Dokumentation sind sich alle einig: Thrash Metal lebt und wird auch noch lange nicht aussterben.
Hofmann hat sich mit seinem ersten Langfilm einen Traum erfüllt, der DIY-Charakter ist dabei zu jeder Sekunde spürbar. Hier haben keine Hollywood-Profis am Werk gesessen und genau das macht den Charme des Films aus. Erst irritierend und dann einfach sympathisch wirken die zahlreichen Versprecher und verlorenen Fäden der Sprecher:innen, die gnadenlos im Film bleiben. Wenn Tom Angelripper – natürlich vom Bierkonsum während des Interviews – mitten im Satz Aufstoßen muss, dann wäre das in jedem anderen Film fehl am Platz, hier sorgt es für bodenständige Authentizität. Die Qualität der Interviewaufnahmen ist inkonsistent, der Sound der Interviews – insbesondere bei Lenny Bruce von DUST BOLT – ebenfalls und der zu schnelle Schnitt fällt unangenehm auf. Teilweise dürfen die Protagonist:innen ihr letztes Wort im Satz nicht zu Ende sprechen, denn durch den zackigen Schnitt wird sich immer wieder gegenseitig ins Wort gefallen.
Dabei hätte es dem Film gutgetan, die Protagonist:innen länger sprechen zu lassen, um auch mal komplexere Gedanken auszuformulieren. Spätestens im dritten Teil ist klar: 143 Personen in 107 Minuten unterzubringen ist deutlich überambitioniert und wenig zielführend, da die meisten Personen nur einige Sekunden zu Wort kommen. Der Dokumentation fehlt es dadurch an dringend benötigter Ruhe, um der Komplexität des Themas gerecht werden zu können. Der Film richtet sich zwar klar an Szenekenner:innen, dürfte daher inhaltlich unzugänglich für Neulinge sein, aber kratzt gleichzeitig insbesondere in der zweiten Hälfte des Films immer ein bisschen an der Oberfläche. So wird beispielsweise die politische Motivation vieler Thrash Metal Bands erwähnt, welche Positionen dort vertreten werden, bleibt unausgesprochen. Sprechen dürfen übrigens ausschließlich weiße Menschen und von 143 Personen sind lediglich 7 weiblich. Das ist gelinde gesagt extrem schade, denn in der Thrash Metal Szene sind – Überraschung! – tatsächlich nicht nur weiße Männer aktiv. Eine Notiz am Rande: Wenn eine Vorführung als „Original mit Untertitel“ angekündigt wird, dann aber keinerlei Untertitel gezeigt werden, ist das ärgerlich. Barrierefreiheit sieht anders aus.
Total Thrash ist eine authentische Liebeserklärung an die deutsche Thrash Metal Szene
Nach dem Film verlassen nur wenige noch während des Abspanns gehetzt den Saal (Leute, lasst euch doch mal fünf Minuten Zeit, um den Film zu reflektieren!). Ein kurzes Interview mit Daniel Hofmann und seinem Filmteam gibt interessante Einblicke in den Entstehungsprozess des Films. Zum Abschluss werden alle, die am Film vor oder hinter der Kamera beteiligt waren, zum Gruppenfoto auf die Bühne gebeten. Die darauffolgende Total Thrash Night im naheliegenden Café Nord wird ein letztes Mal angekündigt und verspricht eine feuchtfröhliche Feier der wirklich gelungenen Filmpremiere.
Total Thrash ist eine authentische Liebeserklärung an die deutsche Thrash Metal Szene. Zu keinem Zeitpunkt langweilig, zu sentimental oder gar kitschig zeichnet die Dokumentation in drei Teilen die Geschichte des deutschen Thrash Metals nach und verzichtet dabei zum Glück auf das „Wir sind alle eine große Familie“-Narrativ. In jeder Sekunde des Films ist klar, dass es sich hier um ein durch Crowdfunding finanziertes DIY-Projekt handelt, das trotz aller Ecken und Kanten erstaunlich gut funktioniert und grundsympathisch ist. Thrash Metal Fans können diesen Film einfach nur gern haben – wer Neuling des Genres ist, sollte aber besser erstmal in die Diskographien und Bandgeschichten der Teutonic Four reinhören und -gucken oder mal schauen, welche Filmempfehlungen wir noch für euch im Angebot haben.
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>ordentlich Bierdurst und Feierlaune mitgebracht haben.<
Klar. der Asi-Faktor darf natürlich nicht fehlen/unerwähnt bleiben. Sonst kommt noch jemand auf die Idee, dass Metal nicht nur was für Unterschichten-Alkoholiker ist. Die Romantisierung der Gosse habe ich nie verstanden, in keiner Kunstform..