Schandmaul
"Thomas hat in seinem Leben noch kein Slayer-Album gehört"

Interview

SCHANDMAUL werden 2023 ihren 25. Bandgeburtstag feiern. Ein gutes halbes Jahr vor dem Dienstjubiläum bringen die Spielmannsleute mit „Knüppel Aus Dem Sack“ ihr elftes Studiowerk auf den Markt. Es gibt nicht nur Veränderungen bezüglich Label und Produktionsprozess. Wir konnten mit einem der Bandmitbegründer, Drummer Stefan Brunner, über die Historie sowie dem zur Veröffentlichung anstehenden Werk ein längeres Interview führen. Im zweiten Teil geht es um die neue Scheibe, welche im Juni in den Plattenläden stehen wird.

Schandmaul – Knüppel Aus Dem Sack – cover artwork

Da SCHANDMAUL auch immer zu aktuellen Themen klar Stellung bezogen hat. Ihr habt auch in Russland Bühnen bespielt mit deutschen Texten. Was denkst Du über die aktuelle Situation in Europa?

Wahrscheinlich das gleiche, was die meisten Menschen denken. Natürlich macht mir die Situation Kopfzerbrechen. Du merkst einfach, wie nah das ist. Wenn du auf der Autobahn unterwegs bist, dann siehst du viele Fahrzeuge mit einem Kennzeichen aus der Ukraine. Mit Beginn der Pandemie habe ich wieder bei dem Arbeitgeber angefangen, wo ich bereits als Student aktiv war. Da habe ich jetzt einen Arbeitskollegen aus der Ukraine. Der durfte fliehen, weil er eine doppelte Staatsbürgerschaft hat. Er hat ein Auto bekommen und 15 Frauen und Kinder außerhalb des Landes gebracht. Der Kollege hat mir Sachen erzählt, die wollen wir alle gar nicht wissen. Das Thema liegt mir schon sehr im Magen. Ich glaube zwar nicht, dass sich der Krieg weiter ausdehnen wird. Aber das ist meine bescheidene Ansicht und Wahrnehmung. Russland wird sich vor allem im Osten der Ukraine festbeißen, und ich befürchte, dass wir einen langen kalten Krieg erleben werden.

Vom Tagesgeschehen zur Musik: der Produktionsprozess lässt sich etwas überspitzt als „Subway to SCHANDMAUL“ beschreiben. Der Drummer von SUBWAY TO SALLY, Simon-Michael Schmitt, ist für die Produktion von „Knüppel Aus Dem Sack“ verantwortlich. Wie hat sich der Produktionsprozess für Dich als Drummer im Vergleich zu „Artus“ verändert?

Das ist sehr speziell, aber vorab muss ich sagen, dass Simon Michael und ich privat sehr gut befreundet sind. Simon Michael ist ein sehr guter Schlagzeuger und hat ein Talent, Menschen zu führen, ohne dass es sich anfühlt, dass von oben der Professor agiert und ich nur der kleine Schüler bin. Er weiß, dass ich keine Noten lesen kann, und wenn ich auf dem Schlauch stehe, dann tanzt er mir das quasi vor, was er denkt, was ich trommeln sollte. Wir haben eine sehr eigene Art und Weise, in dem Prozess miteinander zu kommunizieren. Mich hat es immer nach vorne gebracht, wenn ich mit jemandem arbeite, der mich ein wenig antreiben kann und mich nicht einfach nur die Songs runtertrommeln lässt nach dem Motto: „ist schon gut, passt“.

In einem Interview erläuterte Matthias Richter zu Beginn der Pandemie 2020, dass SCHANDMAUL an neuen Songs bereits dran wäre. Wie verlief der Austausch von Ideen während der Pandemie? Wurde auch SCHANDMAUL zur „Online“-Band?

Wir haben uns schon noch ab und zu mal getroffen. Als der erste Lockdown kam, haben wir zunächst ebenfalls auf Treffen verzichtet. Es wusste keiner, was auf uns zukommt. Die Platte war größtenteils fertig, bevor die Pandemie kam. Thomas hat sich im Proberaum bei uns ein Tonstudio eingerichtet und die Demos eingesungen. Wenn Thomas eine Demo fertig hat, dann ist es für einen Laien kaum zu unterscheiden, ob es sich um eine finale Version oder um eine unfertige Version handelt. Die Demos waren so gut vorbereitet, dass wir gar nicht so viel untereinander Files versenden mussten. Wir sind einfach keine Band, die sich zuhause Files ausdenkt, programmiert und untereinander austauscht. Wir treffen uns dazu im Proberaum. In den Online-Welten wie Jitsi oder Tik-Tok haben wir uns nicht vergnügt. Ich denke, das hängt auch mit dem Alter zusammen, dass wir nicht so online-affin sind.

Wir hassen Online-Konzerte ohne Publikum

Eine Streaming-Show hat SCHANDMAUL während der Pandemie aufgezeichnet vs. Paywall, zum Feuertanzfestival gab es ein Free-Stream aus dem Hirsch in Nürnberg. Sind Online-Events ein Konzertformat, welches ihr auch zukünftig nutzen wollt?

Wir hassen Online-Konzerte ohne Publikum nur vor der Kamera. Ganz klares Nein. Für mich wäre es ein Grund, mein Musikerleben an den Nagel zu hängen. Es ist nicht der Grund, warum du eine Band gründest. Du willst mit der Band auf eine Bühne vor Publikum und nicht nur vor einer Kamera spielen. Das mit der Kamera machst du, um ein Video zu drehen. Wenn Online-Konzerte ohne Publikum der zukünftige Weg ist, werde ich diesen nicht mitgehen. Wenn wir ein Konzert mit Publikum auch online streamen, damit Menschen erreicht werden, welche nicht zum Konzert kommen können, das wäre für mich vollkommen okay. Das Konzert wäre dann gegen eine Art Gebühr online verfügbar und du kannst dich dort reinklicken. Im Endeffekt ist es wie ein Konzert auf YouTube schauen. Aber in eine Regie stellen und so tun, als ob so ein Konzert Spaß machen würde…. nein, das ist nichts für mich.

Es ist am Ende eine Frage des Budgets und der Technik. Wenn du den Live-Mix mischst, sieben Kameras auf die Bühne stellst, dazu einen Schnitt-Operator, dann sind das einfach Kosten. Aber grundsätzlich ist das eine interessante Idee in Zeiten von Hochleistungsdatenleitungen.

Thomas hatte 2021 einen Unfall mit dem Fahrrad, so dass ihr auf den ein oder anderen Gig auf dem Hock Rock MPS oder anderen Corona-konformen Bühnen verzichten musstet. Matthias macht Powerticket, den Merch machen eine Freundin von Euch gemeinsam mit der fast 75-jährigen Mutter Brunner. Du hast auch wieder gearbeitet. Habt ihr während der Pandemie alle wieder Jobs annehmen müssen?

Thomas, Ducky und ich haben jeweils eine Halbtagstätigkeit angenommen. Bei mir war es einfach. Ich habe immer noch Kontakt zu Kumpels, wo ich bereits vor 20 Jahren gearbeitet habe. Da hieß es einfach „komm mal vorbei“. Bevor ich zwei Jahre zu Hause sitze und Däumchen drehe und zusehe, wie meine Kinder Homeschooling machen, da gehe ich lieber etwas tun, weil mir sonst einfach die Decke auf den Kopf fällt. Saskia ist vor kurzem Mutter geworden, die kann gerade nicht arbeiten gehen. Matthias hat wieder Bassschüler und gibt Unterricht.

Mit Thomas war heftig. Erst hast du die Pandemie und anderthalb Jahre keine oder kaum Auftritte. Dann kannst Du endlich wieder losfahren und bekommst einen Anruf, dass Thomas sich mehrere Rippen und das Schambein gebrochen hat. Das sind Höllenschmerzen. Thomas beißt auf die Zähne und jammert nicht rum, aber nach dem Unfall ging einfach gar nichts. Wenn du singst und Luft holst, das geht einfach nicht mit gebrochenen Rippen. Es geht ihm zum Glück mittlerweile wieder gut, und den Sommerfahrplan ziehen wir durch. Ausnahme wäre, wenn Corona-Fälle in der Band auftauchen und wir nicht auftreten dürfen. Wir sind alle fit, haben gut geprobt und wollen einfach wieder normale Konzerte spielen.

Thomas hat in seinem Leben noch kein SLAYER-Album gehört

Dann kommen wir zum ein oder anderen Track auf „Knüppel Aus Dem Sack“. Was beim Titeltrack sofort auffällt, ist das schon fast metallische Riffing zum Einstieg. Thomas keift zum Refrain schon fast. Ist „Knüppel Aus Dem Sack“ Euer neuer Opener für das Wacken Open Air?

Ich hoffe, dass wir bald wieder auf Wacken spielen dürfen. Ich spiele dort sehr gerne. Ich denke aber nicht, dass der Titeltrack der Opener werden wird. Das ist ein Song, den müssen wir ein wenig hüten und hinten halten. Interessant ist, dass „Knüppel Aus Dem Sack“ auch eine Nummer ist, die Thomas aus dem Ärmel geschüttelt hat. Thomas hat in seinem Leben noch kein SLAYER-Album gehört und kommt mit so einem Riff um die Ecke. Das hat uns alle kräftig umgehauen. Ich denke, Thomas wollte einfach mal zeigen, dass wir auch anders können. Als erste Single-Auskopplung hat das bei dem ein oder anderen Fan für einen offenen Mund gesorgt.

Ein wohl wenig bekanntes Fabeltier ist der „Tatzelwurm“, der laut Saga sein Unwesen auf dem Berg Pilatus getrieben haben soll. Wie ist Schandmaul auf diese Geschichte gekommen?

Auf solche Sachen kann nur Thomas kommen. Der ist ein Bücherwurm und hat gefühlt tonnenweise Bücher mit Fabelgeschichten. Da wühlt er sich durch. Das Zeug liegt bei uns im Proberaum genauso wie in der Toilette. Ich weiß nicht, welche Geschichte er dort ausgegraben hat. Was ich mir vorstellen kann anhand meiner kurzen Recherche, dass es sich um einen großen Otter handeln könnte, welcher aufrecht im Wasser gestanden hat. Die konnten wohl bis zu 1,50 Meter werden. Von der Ferne könnte das so ausgesehen haben wie ein „Tatzelwurm“. Da könnten sich Menschen nach dem dritten Bier in der Kneipe eingebildet haben, dass so ein Otter viel größer war und so die Fabel entstanden ist.

Zwei Songs klingen nach der mittelalterlichen Beschreibung der eigenen SCHANDMAUL-Geschichte. Enthalten „Luft und Liebe“ und vor allem „Irgendwann“ ein wenig Frust der Pandemie-Zeit?

„Luft Und Liebe“ war vor der Pandemie geschrieben. Es spiegelt aber schon ein wenig die Situation wider, welche während der Pandemie in der Gesellschaft beziehungsweise durch die Politik entstanden ist. Das war nach dem Motto „ihr Künstler kommt schon irgendwie durch“. Uns ging es genauso wie alle anderen freiberuflichen Mitarbeiter in der Veranstaltungsbranche, welche die Politik mehr oder weniger verhungern ließ. Von Luft und Liebe, ihr wisst doch, wie ihr davon auch satt werdet. Das passt im Nachhinein wie Arsch auf Eimer, haben wir aber schon vor der Pandemie erstellt. Es geht aber auch darum, wie wir alle mit der Musik umgehen. Mit Streaming bekomme ich aktuelle Werke für meine monatliche Flat, und warum soll ich dafür viel Geld ausgeben? Es geht auch um die Mentalität, die hinter diesem Konsumverhalten steckt.

„Irgendwann“ ist tatsächlich während der Pandemie entstanden. Und die Zeile „irgendwann sehen wir uns wieder und werden uns in den Armen liegen“, darauf hoffen wir alle. Bezüglich des Herbstes gilt es abzuwarten. Einen weiteren Lockdown, wo alle Lokationen geschlossen werden, ist den Menschen wahrscheinlich schwer zu vermitteln. Aber Corona wird weiter präsent sein und uns beschäftigen.

Der Song richtet sich ein wenig gegen die ewigen Jammerfritzen

Ein sehr einprägsamer Refrain im folkigen Gewand ist „Glück auf! – Maul zu“. Steckt in dem Song eine versteckte Botschaft?

Den Text hat Birgit geschrieben. Es geht um das deutsche Phänomen, dass wir uns über allesmögliche beschweren und nur am Jammern sind. Daher einfach „Maul halten“ und machen. Gerade zum Beispiel während der Pandemie wurden viele von uns im Stich gelassen, aber zwei Jahre zu jammern bringt halt nichts. Daher gilt es sich zu bewegen und irgendetwas zu machen. Immer wird gejammert, anstatt einfach etwas zu tun und zu verändern. Kehre vor der eigenen Haustür und dann wird es auch besser. Der Song richtet sich ein wenig gegen die ewigen Jammerfritzen.

Wie sieht „Der Elfseitige Würfel“ aus? Wo kommt die Idee zu den Lyrics her?

Thomas hat den gemalt, die Skizze kann ich schlecht zeigen. Thomas hat die Scheibe zu 90% geschrieben, Birgit kam mit „Glück Auf!“ um die Ecke, ansonsten ist es eine Thomas-Lindner-Platte, wie meistens bei unseren Werken. Ducky hat einige großartige Texte geschrieben, aber in der Regel lassen wir Thomas schalten und walten. Wir haben auf „Knüppel Aus Dem Sack“ nicht alle Ideen veröffentlicht. Wenn wir das getan hätten, dann wäre die Scheibe zu lang geworden, ähnlich wie bei der „Mit Leib Und Seele“.

Wir veröffentlichen eine CD, die ist knackig mit elf Songs. Wenn jemand mehr möchte, dann kann er sich die Box kaufen, wo es einiges zu entdecken gibt. Die Vinyl-Variante enthält ebenfalls noch einen weiteren Bonus-Track. So hoffen wir, dass wir für jeden Geschmack etwas anbieten können.

Lieber Stefan, ich bedanke mich für Deine Zeit. metal.de freut sich, eure „Knüppel Aus dem Sack“ Tour im Herbst präsentieren zu dürfen. Die letzten Worte liegen bei Dir.

Passend zu dem Song „Glück Auf!“ finde ich, dass wir alle etwas demütiger sein sollten. Wir leben in einem Land, wo es den meisten Menschen sehr gut geht. Ich möchte nochmal auf meinen Kollegen hinweisen, der vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet ist. Wir sollten dankbar sein, dass es uns gut geht und mit mehr Optimismus in die Zukunft blicken.

Galerie mit 10 Bildern: Schandmaul - Rockharz Open Air 2024
Quelle: Zoom Interview mit Stefan Brunner am 18.05.2022
04.06.2022

Ein Leben ohne Musik ist möglich, jedoch sinnlos

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