Back to normal oder alles anders?
Interview mit Chris, Don´t Panic, Essen
Interview
Chris und das Don´t Panic öffneten bereits 2020 den Club für Konzerte unter Pandemiebedingungen. Die Erfahrungen aus 2020 und die aktuellen Auflagen lassen Chris wenig optimistisch auf das zukünftige Clubleben schauen. So spricht Chris die Risiken durch die sich ständig ändernden Verordnungen an wie auch die Problematik einer eventuellen Ausgrenzung von nicht geimpften Menschen.
Werden Veranstalter von Livemusik-Events künftig gezwungen sein, die dauerhaft erhöhten Kosten für verschärfte Hygiene- und Sicherheitsvorgaben auf ihre Ticketpreise umzuschlagen?
Das Hauptproblem sehe ich wegen der verminderten Kapazitäten und eingeschränkten Besucherzahl. Wenn ihr das mit Sicherheitsvorgaben meint, dann ein klares „Ja“. Wir hatten bspw. letztes Jahr bei den Sitzplatzkonzerten maximal 90 statt 400 Gäste, die teilnehmen durften. Und die gerade erschienene 3- Stufenverordnung verschärft das Ganz noch, denn sie sieht Schachbrettmuster-Platzierungen vor. Das reduziert je nach Bauweise eines Clubs mit Notausgängen, Fluchtwegen etc. natürlich nochmal deutlich die max. Anzahl. Ich glaube grundsätzlich, dass dies der falsche Weg wäre, aber es werden sicherlich viele Veranstalter machen (müssen), allein schon um den Bands die Gage zahlen zu können, die eine Tour überhaupt möglich macht. Aber da sich ja fast wöchentlich je Bundesland die Auflagen ändern, warten wir mal ab.
Werden bestimmte Praktiken und Erfahrungen aus der Pandemie uns weiterhin im Veranstaltungskontext begleiten? Könnten beispielsweise Impfnachweise, Symptomfreiheit und Quarantäneauflagen ein normaler Bestandteil des Konzerterlebnisses werden?
Ich bin kein Pessimist, aber selbst mit der vielgepriesenen Herdenimmunität und Fortschritten in der Medizin: Corona wird uns weiter begleiten, ob mit der nächsten Mutation, Impf-Auffrischungen, die immer diesen hinterherhinken und hoffentlich „nur mit Inzidenz-Grundrauschen“ und einem Medikament, was tödliche Verläufe gen Null minimiert. Das wird nicht nur ein normaler Bestandteil des Konzerterlebnisses sein, sondern unseres Lebens. In welcher Schärfe hängt aber auch von der gesellschaftlichen und politischen Akzeptanz ab und wie weit man bereit ist Freiheiten einzuschränken für ein möglichst geringes Ansteckrisiko . Es ist jetzt schon weltweit zu beobachten, dass Impfnachweise wohl ein wichtiger Bestandteil sein werden, um am sozialen Leben teilzunehmen. Persönlich fände ich es sehr bedenklich, wenn nur Geimpfte am Konzertleben teilnehmen dürften. (Ich bin kein Impfgegner übrigens, im Gegenteil!)
Die internationale Logistik wird sich zukünftig nicht nur auf Visa und Gepäck beschränken
Wird sich der internationale Reiseverkehr jemals wieder auf einem vor-pandemischen Niveau einpendeln und zu welchem Preis? Wird die Live-Kultur nationaler bzw. kontinentaler werden?
Wenn es nach den Bedürfnissen der Gesellschaft geht, wird es anfangs das Niveau sogar übertreffen. Das sieht man gerade überall und ist auch absolut verständlich, wenn die Leute die Ostsee- oder Nordsee-Inseln grad wie den „besten“ Plattenbau über bevölkern, die Biergärten frequentieren und wohl auch bald jede Veranstaltung ausverkaufen, die früher vielleicht nicht so angesagt war. Allerdings müssen die Voraussetzungen stimmen und ich sehe auch im nächsten Jahr nicht eine einfache Normalität für weltweite Tourneen von internationalen Bands, wie man sie bisher kannte. Das wird kontinental unheimlich schwierig und es wird viele Auflagen und Einschränkungen geben. Du wirst nicht einfach heute Wacken und übermorgen am Strand von Rio De Janeiro spielen können und dich nur noch mit Logistik, Visa, etc. bei deiner Planung beschäftigen können. Festivals mit Bands aus unterschiedlichen Ländern werden das noch erschweren. Ein Großteil der Abläufe wird die gesundheitliche Komponente und länderspezifische Vorgaben und Gesetze berücksichtigen müssen. Deshalb werden Konzerte mit einheimischen Bands in den nächsten Monaten erstmal das große Ding sein. Das bringt neue Chance für viele bislang eher vernachlässigte Inlands-Bands, ist aber auch was die Vielfalt angeht eher schade.
Werden wir die generelle Idee von Massenveranstaltungen mit 10.000 und mehr Menschen künftig gesellschaftlich in Frage stellen? Können mittelgroße Locations mit einer kleineren Auslastung jemals eine ökonomisch sinnvolle Alternative sein?
Ich glaube wir werden gesellschaftlich vieles in Frage stellen und für die Politik ist dies ja auch ein galanter „Ansatzpunkt“ die anderen wichtigen Probleme dadurch in den Griff zu bekommen, die insbesondere für den Klimaschutz nötig sein werden: Von vollbesetzten Kreuzfahrtschiffen bis zu Massentourismus oder halt Riesenevents. Dafür muss man kein Verschwörungstheoretiker sein und ich sehe das auch nicht unbedingt per se negativ. Die Nachfrage und Sehnsucht nach großen Festivals wird aber bleiben und bedient werden. Ich glaube nicht, dass sich dies ändern wird in der Gesellschaft wegen Corona. Mittelgroße Locations mit „Clubkonzerten“ und dem speziellen Feeling ganz nah bei der Band zu sein, sind ja schon immer etwas völlig anderes. Hier fährt man fast ausschließlich hin um die Band zu sehen. Bei Großveranstaltungen spielen Bands natürlich auch eine wichtige Rolle, denn mit einem uninteressantem Line-Up kriegst du die Wiese nicht voll. Aber seien wir mal ehrlich: Der Anreiz zu so einem „Großfamilientreffen“zu fahren, sind doch nicht nur die Bands, von denen man meist nicht mal die Hälfte mitkriegt. Insofern sehe ich weder das Eine noch das Andere als Alternative, schon gar nicht ökonomisch.
Live-Kultur ist ein elementares Bedürfnis für Vielfalt, Sub- und Jugendkulturen und darf nicht zum Luxusgut verkommen
Wird die Live-Kultur zum Luxusgut? Oder können gerade kleinere und nicht-kommerzielle Künstler und Veranstalter die Pandemie besser überstehen als große Umsatz-Maschinen?
Ich hoffe nicht! Live-Kultur ist ein elementares Bedürfnis und wichtig für Vielfalt, Sub- und Jugendkulturen (und Jungebliebene) bis hin zu gesellschaftliche Entwicklungen und teilweise sogar den sozialen Frieden. Ich glaube egal ob non commercial-Underground oder Big-Business-Bands haben beide dieselben Chancen die Pandemie zu überstehen. Für beide wird es unabhängig von Corona eine Zielgruppe und auch Möglichkeiten geben. Vielleicht nimmt der ein oder andere aber kleinere Bands und den Nachwuchs jetzt etwas mehr wahr und schielt nicht nur auf die großen Namen und Urgesteine. Viele werden altersbedingt sowieso nicht mehr lange da sein, also sehe ich das Ganze auch als Chance!
Wird sich die Publikumszusammensetzung bei Festivals und Konzerten verändern? Welche Klientel kann und will die erhöhten Preise noch zahlen?
Das glaube ich in unserem Bereich überhaupt nicht! In den letzten Jahren sind die Preise auch wegen anderer Faktoren wie Benzin, oder Sicherheitsauflagen bei Festivals nach der Love-Parade Katastrophe etc. gestiegen. Da hat sich die Klientel auch nicht geändert, oder? Bei großen Sportveranstaltungen hingegen sehe ich das schon eher, aber das kommt natürlich auch auf die Preissteigerung an und wie immer wird es auch „schwarze Schafe“ geben, die mit dem Argument „Corona“ jetzt mehr Gewinn machen wollen und es versuchen dieses auszunutzen.
Geht der Trend zu mehr Open Air? Auch außerhalb der Sommersaison? Wäre es sinnvoll, den Betrieb in kleinen und schlecht durchlüfteten Venues entsprechend einzudämmen?
Ja, wird es wohl leider, zumindest die nächsten Monate! Auf die baurechtlichen Vorschriften und Vorgaben, die kleinere Locations erfüllen werden müssen „freu“ ich mich jetzt schon in den nächsten Jahren. Über Sinn und Unsinn möchte ich mich nicht auslassen. Gesundheit geht vor, keine Frage. Aber wer den deutschen Bürokraten-Dschungel kennt, kann sich ausmalen wie weit Sinn und Unsinn zum Teil beieinanderliegen können.
Gibt es eine realistische Chance, dass wir 2022-2023 einen Live-Kultur-Betrieb wie vor 2020 werden erleben können?
Ja! In jedem Fall. Er wird angepasst sein, aber du wirst keine Sitzplatzkonzerte oder aufgemalte „Kreise“ mehr in 2022/23 haben. Alles andere ist Kaffeesatzlesen.
Wer in der Pandemie kreative Konzepte entwickelt hat musste sich nicht nur auf staatliche Hilfen verlassen
Ist eine parallele Nutzung des Clubs oder der Bar (zum Beispiel als Tagesstätte für Obdachlose) dauerhaft denkbar, um die Lokation ökonomisch betreiben zu können?
Wer in der Pandemie kreative Konzepte entwickelt hat, ist sicherlich besser zurechtgekommen bzw. musste sich nicht nur auf die staatliche Hilfe zum Überleben verlassen. Die fällt jetzt absehbar weg, insofern sind solche Ideen natürlich wichtig, um wirtschaftlich den Betrieb am Laufen zu halten. Wir hatten von „Plattenshop“ bis Vinylversteigerungs-Events, Streaming Game-Shows bis „Christmas Wonderland“ die letzten Monate zig Mal den Club neu gestaltet, im nächsten Leben kann ich auch Raumdesigner und Möbelpacker werden.
Es gibt Clubs und Musiker, welche während der Pandemie in Richtung “Querdenker” unterwegs sind (Eric Clapton, Nena, Wendler). Wird zukünftig ein Auswahlverfahren bei den Konzerten stattfinden? Würdest Du zum Beispiel einem Xavier Naidoo eine Bühne zur Verfügung stellen?
Nein, würde ich nicht! Genauso wenig wie ich bspw. auch früher schon Künstlern, die bspw. rassistische Ansichten haben, keine Plattform gegeben habe. Mit dem Sammelbegriff „Querdenker“ und Menschen, die in den letzten Monaten diesen Stempel aufgedrückt bekommen haben, tue ich mich trotzdem schwer. Bei oben genannten Beispielen ist das wohl eindeutig, aber seien wir mal ehrlich: Was gerade im Internet in den sozialen Medien die letzten Monate abgegangen ist, macht mich auch sehr nachdenklich: Ehemalige Freunde und Bekannte gehen sich an die Gurgel, nur weil man die teils doch sehr unausgegorenen, chaotischen Schnellschüsse der Regierung kritisch sieht. Man sollte da schon genau hinblicken und differenzieren.
Es ist zu vermuten, dass zunächst ein gewisser Mehraufwand entsteht bei ggf. geringerer Auslastung. Gibt es für derartige Szenarien bereits Konzepte? Wie sieht das mit dem Ticketing aus? Nur noch “named tickets” und wie erfolgt ggf. eine Rückabwicklung, wenn ein Besucher einen positiven Test erhält? Oder soll es nur noch Abendkasse geben?
Wir waren tatsächlich letztes Jahr die ersten zumindest in NRW, die ein Indoor-Sitzplatz-Konzert veranstalteten. Insofern gibt es jedenfalls bei uns von Einlass/Auslasskontrolle, Abstandsregeln, bis Rückverfolgung, fester Sitzplan, personal Ticketing, Bühnenaufbau/ Anpassung und Hygienemaßnahmen schon in der Praxis bewährte Konzepte. Das würde hier den Rahmen sprengen. Abendkasse war da kein Bestandteil, nur Restkontingente-Neuvergabe. Es gibt bei Youtube aber einen kurzen Bericht vom WDR-Filmteam darüber. Da bekommt man einen kleinen Eindruck, was das bedeutet. Wir haben 2020 ca. 20 Sitzplatzkonzerte durchgeführt. Der Mehraufwand war wirklich unglaublich nervig und in keinem Verhältnis zu früher. Jetzt muss man sich natürlich ansehen, wie die neuen Verordnungen aussehen und das anpassen sowie im Rahmen der Digitalisierung versuchen den Aufwand zu minimieren. Ich erwähnte oben ja schon „Schachbrettmuster“ und da folgen wahrscheinlich immer wieder geänderte Anpassungen und Auflagen. Und unabhängig von den Grundregeln kommt es stark auf die Location an, wie man das lebt und umsetzen kann. Sprich: Du musst spezifisch auf deine baulichen Möglichkeit noch ein Individualkonzept haben.
Rückabwicklung bei „positivem Test“: Wie bei „normalen“ Rücktrittsmöglichkeiten früher auch. Wobei einige Veranstalter sicherlich das nicht tun werden und es als eigenes Risiko deklarieren werden, soweit rechtlich machbar. Siehe Reisebranche! Da bin ich kein Freund von, wir werden die Möglichkeit in jedem Fall schaffen, denn die Leute können nichts dafür!
Bei einer Auslastung von circa 30% macht der Clubbetrieb wirtschaftlich keinen Sinn
Wahrscheinlich werden die ersten Konzerte nicht mit einer 100% Auslastung der Lokation starten. Ab welcher prozentualen Kapazität lohnt sich die Wiederbelebung des Konzertbetriebs?
Hm, aus meinen Erfahrungen heraus ist das stark abhängig von der Mischkalkulation aus Eintritt und Getränkeumsatz und wie man bisher bei Events gerechnet hat. Nur vom Ticketpreis Veranstaltungen zu machen wird schwierig oder teuer! Letztes Jahr gab es im Oktober nach den ersten Wochen, in denen Sitzplatzkonzerte stattfanden, eine Verschärfung: Maskenpflicht am Sitzplatz und Verzehr von Getränken sollte unterbunden werden. Damit war das jedenfalls bei uns wirtschaftlich nicht mehr machbar! Eine allgemeine, prozentuale Schätzung abzugeben, ist also schwierig. Aber mit max. Auslastungen von 30%, wie es derzeit von der Politik angedacht ist, wird das wohl eher keinen Sinn machen, zumal wir hier die ganze Zeit von Veranstaltern und ihrer Wirtschaftlichkeit reden. Vom Roadie bis zum Mischer und natürlich Künstlern, Konzertagenturen etc. etc. gibt es so viele andere Menschen, die leider oft durchs Raster gefallen sind bei den Hilfen. Diese müssen bei all den Rechenspielen endlich auch wieder fair bei alle Events mit bedacht werden. Diese Personenkreise haben finanzielle Nöte bis Schuldenberge und haben sicherlich mehr aufzuholen, als ein Club oder Veranstalter. Und nur weil man seinen Laden nicht mehr maximal auslasten kann, darf dies nicht zu ihren Lasten gehen.
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