Devin Townsend
Devin steht allein im Wald
Konzertbericht
Ins Internet verlagerte Auftritte, live oder voraufgezeichnet, gehören mittlerweile zu unserem Alltag. Egal ob in einer dafür angemieteten Lokalität oder zwischen Waschmaschine und Trockner, die heutige Technik ermöglicht jedem hochwertige Aufnahmen zu kreieren. Die Erfahrungen der letzten Monate zeigen aber, dass sich das Gefühl eines echten Live-Konzertes nicht so einfach einfangen lässt. Viele Streaming-Konzerte sind vor allem nahezu perfekt inszenierte Musikvideos in steriler Atmosphäre. Es gibt jedoch Musiker, die es trotz allem irgendwie hinbekommen, dass dieser gewisse Funke überspringt. Einer dieser Musiker ist definitiv DEVIN TOWNSEND.
Stream vor besonderer Kulisse
DEVIN meldet sich mit Livestream Nummer sieben zurück und für das „Konzertjahr“ 2021 plant er, sich albumweise durch seinen Katalog zu wühlen. Den Start macht die Knaller-Platte „Ocean Machine: Biomech“, ein Album mit absolutem Kultstatus. Die Idee einer Live-Umsetzung ist dabei nicht neu. Ein äußerst repräsentativer Live-Mitschnitt des Albums, vor der Kulisse des antiken römischen Theaters in Plovdiv, wurde bereits im Jahre 2018 veröffentlicht. Das Setting könnte dieses Mal jedoch kaum unterschiedlicher sein. DEVIN steht allein im Wald, konkreter gesagt auf der Dachterrasse der „Farm Studios“ in British Columbia, Kanada. Es ist das Studio des Grammy-Nominierten Musikproduzenten Garth „GGGarth“ Richardson und ist traumhaft in den Wäldern des sogenannten Sunshine-Coast-Bezirks gelegen.
Wie bei den meisten Livestreams von DEVIN handelt es sich auch hier um eine One-Man-Show zu Backing-Tracks. Rein von der technischen Seite gibt es da nichts zu meckern. DEVIN hat offensichtlich einiges an Arbeit und Energie in die Aufarbeitung der Songs und die Produktion des Streams gesteckt. Der Sound ist satt und die Grundstimmung der 24 Jahre alten Platte wird erstaunlich gut eingefangen. Mehr noch, der heute fast 50-jährige DEVIN TOWNSEND verleiht den Songs eine tiefere Dramaturgie als sein jüngeres Ich. Dazu gesellen sich erfrischend unaufgeregte Kameraeinstellungen der nahezu malerischen Umgebung, die nicht nur von stationären Kameras, sondern auch von einer Drohne eingefangen werden. Die Gesamtkonzeption lässt einen tatsächlich nicht unberührt zurück und sorgt für den ein oder anderen Gänsehaut-Moment.
Menschelndes mit Hund
Auch an DEVIN selbst scheint die Szenerie nicht spurlos vorbeizugehen. Der sympathische Kanadier, der sich zwischenzeitlich immer wieder mit aufmunternden Worten an sein Publikum richtet, schwächelt trotz gewohnt starker gesanglicher Leistung in einigen Momenten des Live-Auftritts. Den Höhepunkt findet dies bei dem Song „Funeral“, als seine Stimme auf einmal komplett wegbricht. Vielleicht sind es die vergangenen Monate der Isolation und der vielen Arbeit, die sich vor dem emotionalen Hintergrund des Songs summieren. Auf jeden Fall gerät DEVIN aus der Spur und hat Schwierigkeiten zurückzufinden. Was dann passiert, scheint wie aus einem Rosamunde-Pilcher-Fernsehfilm entnommen. Garth Richardson wirft DEVIN irgendwelche Leckerli vor die Füße, woraufhin der Studio-Hund Cooper sich zu ihm gesellt. DEVIN lacht und freut sich, er streichelt den Hund und ist auf einmal wie ausgewechselt. Man kann durch das Glasfaserkabel förmlich einen Hauch von Erlösung schmecken. Dem Fernsehfilm hätte man spätestens an dieser Stelle ein klischeehaftes Drehbuch attestiert. Tatsächlich ist dies ein wirklich schöner und sehr menschlicher Moment.
Als hätte jemand den Reset-Knopf gedrückt ist DEVIN wieder in Höchstform und haut spätestens mit „The Death of Music“ mal schlank die wahrscheinlich beste Live-Fassung dieser Nummer raus. Zum Ende der Show gibt es dann doch noch eine kleine Überraschung in der Setlist, nämlich den halb-spontanen und nicht einstudierten Versuch einer „Zugabe“ in Form des Demo-Tracks „Ocean Machines“.
Was bleibt am Schluss zu sagen? Nun, der „Ocean Machine: Biomech“-Livestream ist sicherlich keine perfekt inszenierte Show in Videoclip-Ästhetik geworden, sondern eine zutiefst menschliche Performance vor großartiger Kulisse. Erneut hat es DEVIN geschafft, dass eben dieser wichtige Funke, den wir alle gelegentlich mal brauchen, bis es irgendwann wieder normal weiter geht, überspringt. Zum Abschluss der Show wird DEVIN TOWNSEND für den Auftritt von den knapp 6500 Zuschauer im Livechat und später auf Social-Media-Kanälen abgefeiert. Bleibt von jetzt an also nur wieder das Warten auf Livestream Nummer acht. Man darf gespannt sein.
Setlist:
Seventh Wave
Life
Night
Hide Nowhere
Sister
3 A.M.
Voices In The Fan
Greetings
Regulator
Funeral
Bastard
The Death Of Music
Thing Beyond Things
Ocean Machines
Text: Oliver Slanina
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