Long Distance Calling
"Wir hatten wirklich gar nichts!"
Interview
Eine Gruppe Freunde in einem abgelegenen Landhaus und ein Geist – der Plot dürfte jedem Filmfan einigermaßen bekannt vorkommen. Hier geht es jedoch um „Ghost“, die neue EP von LONG DISTANCE CALLING, die auf unkonventionelle Weise aufgenommen wurde. Das aktuelle LONG DISTANCE CALLING-Album „How Do We Want To Live“ war erst ein paar Monate draußen, da zog es die Münsteraner schon wieder ins Studio. Anders als bei den meisten Veröffentlichungen jedoch ohne geschriebene Songs oder festen Plan. LONG DISTANCE CALLING-Basser Jan Hoffmann erzählt im Interview, wie die Band ihren „Ghost“ heraufbeschwört hat.
Hi Jan! Laut Promotext habt ihr die neue LONG DISTANCE CALLING-EP „Ghost“ in einer Jam-Session in einem abgelegenen Landhaus quasi spontan aufgenommen. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Jan: Wir haben 2014 schon mal eine Jam-EP namens „Nighthawk“ aufgenommen und irgendwie hatten wir Lust, das zu wiederholen. Zumal wir durch die Pandemie viel Zeit haben, da ja leider keine Konzerte stattfinden können. Deshalb wollten wir die Zeit so gut wie möglich nutzen und produktiv sein.
Wie genau ging das vonstatten? Wie lange wart ihr vor Ort? Wie lange wart ihr täglich zugange? Wie hat sich die Dynamik entwickelt?
Jan: Wir waren 3,5 Tage dort und hatten effektiv 3 Tage zum Schreiben und Aufnehmen. Ein halber Tag ging drauf, um alles aufzubauen und das mobile Studio einzurichten. Es war sehr gemütlich in dem Haus und es herrschte eine tolle und kreative Atmosphäre. Wir haben täglich ca. 15 Stunden gearbeitet und wie schon beim letzten Mal entstehen gegen Ende, wenn der Zeitdruck wächst, die besten Ideen. Man muss erst mal „reinkommen“ und dann läuft das bei uns eigentlich immer sehr gut, wir schreiben ja generell meist im Jam-Prozess und schauen, wo die Reise hingeht. Das ist ja auch für uns selbst das Spannendste.
Habt ihr also vorher gar nichts geschrieben? Seid ihr mit konkreten Ideen angereist oder habt ihr wirklich einfach geschaut, was passiert?
Jan: Wir hatten wirklich gar nichts! Es gibt sicher den ein oder anderen, der uns das nicht glaubt, aber es entspricht der Wahrheit. Das war ja auch die Idee dahinter, uns auch selbst zu überraschen und nicht zu wissen, was passiert. Wir machen aber schon so lange zusammen Musik, dass das Vertrauen in uns groß ist und wir keine Angst haben, dass nichts entsteht. Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden und im Nachhinein ist es trotzdem auch für uns erstaunlich, was wir in der kurzen Zeit geschafft haben.
Und Nachbearbeitung gab es nicht?
Jan: Nein, im Nachhinein wurde nur noch gemischt und gemastert.
Ist mit „Fever“ Cabin Fever, also Lagerkoller, gemeint? Seid ihr euch irgendwann vielleicht doch gegenseitig auf den „Ghost“ (Pardon…) gegangen?
Jan: Haha, nein, so schlimm war es nicht. Natürlich ist die Zeit, die man da verbringt, sehr intensiv, aber das ist ja auch genau das Gute daran. Man hat gar keine Zeit für Leerläufe. Der Titel bezieht sich eigentlich mehr auf den Vibe des Songs, durch das Delay auf dem Schlagzeug hat der Song etwas Fiebriges, Unruhiges, obwohl er gleichzeitig auch sehr relaxed ist. Eine spannende Mischung!
Ohne Texte ist es bei LONG DISTANCE CALLING natürlich schwierig, ein Thema herauszulesen. Bleiben die Titel. Weisen „Ghost“, „Old Love“ und „Seance“ auf eine Art Thema hin? Séancen waren ja vor allem im 19. Jahrhundert beliebt. Musikalisch hat „Ghost“ auch recht düstere Passagen.
Jan: Wir mögen Konzepte, also haben wir versucht, die Songtitel dem Überthema „Ghost“ unterzuordnen. Bei „Old Love“ denkt man vielleicht an ein altes, verblichenes Foto. Als „Seance“ kann man den Songwriting-Prozess beschreiben etc. Wir mögen es, wenn alles rund ist und zusammenpasst. Die Titel sollen dann auch immer das Feeling des Songs widerspiegeln, das passt dann auch z. B. bei „Negative Is The New Positive“, der sehr düster und heavy ist.
Wenn ich das Thema richtig „gelesen“ habe, ist das nach dem futuristischen Thema des aktuellen LONG DISTANCE CALLING-Albums „How Do We Want To Live“ ja fast retro, und mit den starken Future-Pop-Anleihen wirkt es dann sogar anachronistisch. Oder interpretiere ich da gerade zu viel bzw. etwas Falsches rein?
Jan: Nein, das trifft es sehr gut. Wir wollten uns nicht wiederholen, sondern quasi einen Gegenentwurf, den bösen Zwilling zum Album erschaffen. Wir mögen es, immer in den Kontrast zum Vorgänger zu gehen, auch vom Sound. Das erweitert unsere Palette und kommt uns sehr entgegen, weil wir es lieben, zu experimentieren und mit Erwartungen zu brechen. Wir wollen es für uns und die LONG DISTANCE CALLING-Fans immer spannend halten. Wer weiß, wie das nächste Album klingen wird?
Gibt es sonst noch etwas, das du loswerden willst?
Jan: Vielen Dank für das Interview und viel Spaß mit „Ghost“, wir sind sehr stolz darauf. Und drückt uns und euch die Daumen, dass wir uns Ende des Jahres endlich wieder auf Tour sehen können!
Vielen Dank für das Interview!
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