Stygian Pilgrims Festival 2019
Alle Facetten der Schwermut
Konzertbericht
Braunschweig im Jahr 2019. Eine Stadt, die nicht gerade im ganzen Land als Metal-Hochburg bekannt ist, aber doch über eine kleine aber feine Szene verfügt, in der eine Menge Enthusiasten unterwegs sind. Nachdem es im Bereich des eher klassischen Metal bereits eine Mini-Festival-Serie gibt, dachten sich ein paar Leute jetzt: „Machen wir mal was mit Doom“. Naja, natürlich ist es so vermutlich nicht abgelaufen. Stattdessen ist aller Anfang schwer, vor allem mit einer Veranstaltung, die komplett dem Zeitlupen-Metal gewidmet ist, in einer Gegend, in der eher Death und traditioneller Heavy Metal die meisten Leute zieht. Um so gespannter sein musste man also darauf, wie der Zulauf bei der ersten Ausgabe des Stygian Pilgrims, veranstaltet vom lokalen Metal-Club hotel666 e.V., im B58 aussehen würde.
Nachdem sich die altehrwürdige Location, in der auch viele Bands aus Braunschweig und Umgebung ihre Proberäume haben, kurz nach dem Einlass zunächst sehr zögerlich füllt und der Großteil der Anwesenden lieber erst einmal im Hof herumlungert, füllt sich der Saal im ersten Stock mit den ersten Tönen von VOIDHAVEN bereits erfreulich schnell. Der Anlass, dass heute der zweite Gig vor Publikum gespielt werden kann ist allerdings ein wenig erfreulicher: Eigentlich sollten an dieser Stelle die Lokalmatadoren von FLAME, DEAR FLAME spielen, die selbst auch an der Organisation des Abends beteiligt sind. Leider musste dieser Auftritt aufgrund einer Erkrankung der Sängerin abgesagt werden. Wir wünschen an dieser Stelle gute Besserung!
VOIDHAVEN
Die Hamburger, die epischen Doom mit Death Doom kombinieren, bestehen aus erfahrenen Musikern, die u.a. vorher bei CRIMSON SWAN oder OPHIS tätig waren, bzw. noch sind. Eine erste, selbstbetitelte EP wurde durchaus wohlwollend aufgenommen und konnte bereits für ein wenig Aufsehen sorgen. Das Braunschweiger Publikum ist von Beginn an dabei und gibt nach den beiden Songs von der erwähnten EP mehr als nur Höflichkeitsapplaus. Besonders Sänger Simon kann mit seinem scheinbar mühelosen Wechsel zwischen tiefen Growls und melancholischem Klargesang punkten. Als Rausschmeißer gibt es sogar noch einen neuen Song, der noch melodischer daher kommt als das bisherige Material. Ein hochkarätiger Auftakt.
ASCIAN
Nach der Umbaupause ist es Zeit für ASCIAN, ein noch relativ unbeschriebenes Blatt im herbstlichen Doom-Wald (Ok ok, gibt nen Euro ins Phrasenschwein, Anmerk. d. Verf.). Für die Braunschweiger, übrigens Proberaumkollegen von FLAME, DEAR FLAME, ist das Stygian Pilgrims ebenfalls der zweite offizielle Gig. Bereits die Augenbänder verraten, dass die Band besonderen Wert auf ein Gesamtkonzept legt. Death Doom mit gelegentlichen Klargesangs-Einschüben wird geboten, der auch ab und zu das Tempo anziehen kann um, wie im bereits 2018 veröffentlichten Song „Misery Seeds“, in ordentlicher Raserei zu enden. Ein spannender Mix, der gerade bei Freunden des Death Metal besonders gut ankommt.
URZA
Die Berliner Funeral-Doomer von URZA waren schon einmal Gast in der Location und haben offenbar einen bleibenden Eindruck hinterlassen, der Zulauf zieht noch einmal ordentlich an. Mit „The Omnipresence Of Loss“ konnte man kürzlich einen ordentlichen Hassbrocken auf die Menschheit loslassen und mit einem Fronter wie Thomas ist es auch kein Problem, dies live perfekt in Szene zu setzen. Kaum die Bühne betreten verwandelt er sich von einem normalen Gast in einen diabolischen Derwisch, der allein mit seinen Blicken in der Lage ist zu töten. Durch die geschickt gewählte Setlist wird ordentlich Spannung aufgebaut und selbst anfangs skeptische Gäste können sich dem morbiden Geschehen nicht dauerhaft entziehen. Hinterher zu sagen, welche und wie viele Songs überhaupt gespielt wurden ist kaum möglich, da man sich fühlt, als wäre man aus einem albtraumhaften Rausch, in dem Zeit und Raum verloren gingen, aufgewacht. Großes Kino!
FVNERAL FVKK
Hört man sich ein wenig im Publikum um, wird schnell klar, dass mit FVNERAL FVKK der heimliche Headliner des Stygian Pilgrims Festivals die Bretter des B58 betritt. Von Beginn an werden die gotteslästerlichen Männer in Mönchskutten, die in Teilen den Musikern von VOIDHAVEN frappierend ähnlich sehen, vom Publikum abgefeiert. Das natürlich völlig zu Recht, da die ungeheuer melodischen Epic-Doom-Kompositionen, denen thematisch meist sexualisierte Verbrechen innerhalb der Kirche zu Grunde liegen, extrem gut ins Ohr gehen. Zeremonienmeister Cantor Cinaedicus befeuert die Begeisterung durch stimmige Ansagen und Drummer Frater Flagellum brilliert in bester MY DYING BRIDE-Manier. Wie bockstark das erst am Vortag erschienene Longplay-Debüt „Carnal Confessions“ ist, lässt sich heute Abend ebenfalls bereits erkennen. Wenn die Band ihren Schuh so weiter durchzieht, könnte hier etwas wirklich großes entstehen.
ASHTAR
Leider leert sich der Club nach dem Auftritt von FVNERAL FVKK ein wenig, da offenbar einige Leute in erster Linie deshalb angereist waren. Der Mix aus (Post-) Black Metal und Doom des Schweizer Duos ASHTAR, live unterstützt von zwei Gitarristen, ist natürlich um einiges sperriger als das kurz zuvor gebotene und wirkt auf Platte auch ein wenig breiig. Live ist der Sound aber sehr schön differenziert und Sängerin/Bassistin Witch N spielt und keift sich in einen Rausch, der das Publikum mitnimmt. Vermutlich der unterschätzteste Act des Abends. Alle diejenigen, die vorher bereits gegangen sind, haben in jedem Fall einen weiteren großartigen Auftritt verpasst.
HOODED PRIEST
Ebenfalls vielen unbekannt dürfte der eigentliche Headliner HOODED PRIEST sein. Die Holländer (mit einem Belgier am Mikrofon) spielen die klassischste Form des Doom im gesamten Line-up, natürlich kommen einem sofort Legenden wie BLACK SABBATH in den Sinn. Hier zeigt sich, dass es manchmal gar nicht so sinnvoll ist, Bands vorab schon einmal bei YouTube anzuchecken. Das Studiomaterial von HOODED PRIEST wirkt ein wenig beliebig, die Erwartungen des leider deutlich zusammengeschrumpften Auditoriums scheinen nicht all zu hoch. Und dann blasen der gleichermaßen kauzige wie sympathische Sänger Luther „Finlay“ Veldmark und seine Mitstreiter mal eben alles weg. Was für eine Bühnenpräsenz, was für geniale Nackenbrecher. Alle verbliebenen Gäste erleben einen absolut würdigen Headliner-Auftritt. Chapeau!
Fazit
Die Erstausgabe des Stygian Pilgrims Festivals war eine Veranstaltung, die nicht nur gezeigt hat, wie groß die Bandbreite im Doom mittlerweile ist, da keine der sechs Bands nur annähernd wie die andere klang. Nein, viel mehr zeigt sich wieder einmal, wie großartig Konzerte sein können, wenn alle Beteiligten mit absolutem Herzblut dabei sind. Jenseits von irgend welchem elitären Underground-Gehabe, haben hier einfach ein paar Leute ein exquisites Line-up zusammengestellt, das für eine schmale Mark wirklich für jeden besuchbar ist und das alles souverän umgesetzt. Da gibt es auch keine Zweiteilung zwischen Musikern und Publikum. Wer gerade nicht spielt, steht bei den anderen auftretenden Bands in der ersten Reihe oder steht im Hof und fachsimpelt mit Leuten, die man vorher noch nie gesehen hat.
Bei aller Berechtigung, die „große“ Bands haben, die meistens ja nicht ohne Grund einen gewissen Status erreicht haben: Checkt auch, was bei Euch in der Gegend so geht, und schaut dort mal vorbei, auch wenn ihr von den Bands im Billing noch nie was gehört habt. Mindestens werdet ihr einen schönen Abend haben und bestenfalls sogar großartige neue Bands kennenlernen, die sonst an Euch vorbei gegangen wären.
In diesem Sinne: Hoffentlich bis nächstes Jahr zum Stygian Pilgrims II.
Fotos: Carsten Brand
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