Man mag es kaum glauben, aber dies ist tatsächlich die erste offizielle DVD von LACUNA COIL. Acts vergleichbarer Größe schmeißen in der Regel jedem Albumrelease eine nach, bei den Italienern dauerte es immerhin bis nach dem Release des vierten Albums. Und gleich beim ersten Mal geht’s recht opulent zu, die Doppel-DVD bringt es auf gut 215 Minuten (die Limited Edition enthält zudem eine DVD-Audio mit dem 5.1 Mix von „Karmacode“ sowie eine Live-CD des 2007er Wacken-Auftritts) und lädt somit zum langen Verweilen vor der heimischen Anlage ein.
Normalerweise könnte man damit rechnen, gerade bei einer DVD-Premiere vor allem mit Liveperformances zugeschüttet zu werden, bei „Visual Karma (Body, Mind And Soul)“ ist das allerdings anders. Auf der ersten Disk befinden sich zwei Gigs der Band, die zusammen gerade mal 75 Minuten ausmachen. Zum einen zeichnete man den Wacken-Auftritt von 2007 auf, zum anderen den Auftritt beim japanischen Loudpark-Festival im gleichen Jahr. Den Wacken-Gig muss man sich nicht allzu lange anschauen, um zu kapieren, dass dies keine Sternstunde der Band sein würde, denn die Band trat tagsüber bei blauem Himmel und Sonnenschein auf, was dem Live-Tod einer – wenn auch nicht besonders düsteren – Gothic-Metal-Band gleichkommt. LACUNA COIL machen nun mal keine Partymucke. Ein weiterer Nachteil bei einem Festivalauftritt ist der Sound, der logischerweise nicht das Niveau einer Clubshow erreicht und dementsprechend klingt der 5.1 DTS-Sound etwas undifferenziert. Das Bild ist dagegen scharf, die Kameras stellen erwartungsgemäß die beiden Sänger in den Mittelpunkt, und – um mal zum Vorteil eines Festivals zu kommen – die Publikumskulisse ist beachtlich. Trotz der großen Liverfahrung der Band wirkt die Band nach wie vor spielfreudig und nur selten zu routiniert oder abgeklärt, auch wenn die Ansagen und Mitmachspielchen alles andere als spontan gewesen sein dürften. Die Band liefert spielerisch wie auch bewegungstechnisch eine starke Performance ab, Cristina Scabbia und Andrea Ferro sind bei guter Laune und Stimme und zumindest einige der erdigen Gothic-Rock/Metal-Songs entwickeln ein gewisses Partypotential, wobei man generell sagen muss, dass die Band ordentlich abgefeiert wird. Die Setlist konzentriert sich freilich am aktuellen „Karmacode“-Release, es werden aber auch ältere Tracks gezockt und zu meiner Freude auch das auf Italienisch gesungene „Senzafine“, das beweist, dass LACUNA COIL durchaus weiter in dieser Richtung arbeiten könnten.
Es folgt das Loudpark-Gastspiel und endlich hüllt sich die Band in Dunkelheit, so dass die Atmosphäre schon einmal eine ganz andere ist und die Lightshow der Band sehr gut zur Geltung kommt. Das Bild ist zwar etwas krauser, der Ton aber ordentlich und somit ist der Gig fast wertiger zu sehen als der Wacken-Auftritt. Störend und für mich unbegreiflich ist nur, dass vier der sechs Songs schon in Wacken zu sehen waren. Wenn schon kein komplettes Konzert gezeigt wird und nur 75 Minuten Liveperformance eingefangen werden, kann man sich doppelte Tracks doch wirklich sparen, oder?
Abgesehen von den Konzerten gibt’s noch vier Promoclips zu „Karmacode“-Tracks. Das hiesige und ausufernde Bonusmaterial darf dann also auf Disk 2 begutachtet werden und da wird alles geboten, von „Hey, ist ja witzig“ bis „Gähn, alles schon 1000-mal gesehen“. Zu den besseren Boni gehören die Kurzfilme der einzelnen Bandmitglieder. Dabei handelt es sich aber nicht um Portraits, die Idee dahinter ist vielmehr, dass man jedem Bandmitglied eine Kamera in die Hand drückte und es einfach mal drauflos machen sollte. Cristina erzählt von einem Hilfsprojekt für Afrika, Andrea Ferro und Cristiano Migliore betätigen sich als Reiseführer und Cristiano CriZ Mozzati zeigt seine Kampfkünste. Der beste Clip stammt aber von Marco Biazzi, der nicht nur witzig, sondern auch richtig kreativ geraten ist. Ebenfalls gelungen – zumindest zum größten Teil – sind die Clips der Gewinner des LACUNA COIL-Wettbewerbs, wo Fans ihre Videos auf YouTube uploaden sollten und die besten für diese DVD ausgewählt wurden. Darunter ist viel Witziges und Kreatives, den Vogel schießt aber der Clip „Chipcuna Coil“ ab: Ich sag nur Techno und Chipmunks! Zum Totlachen!
Der Rest des Materials generiert sich aus dem für solche Releases Üblichem: Behind-The-Scenes-Material, Making-Ofs zu Videoclips, Fotogallerien und ein kurzes Interview des Webzines emptyspiral.net. Alles nett und kurzweilig, aber abgesehen von völlig vernarrten LACUNA COIL-Fans dürfte sich das kaum jemand ein zweites Mal anschauen.
Das Bonusmaterial geht insgesamt in Ordnung, die Mühe ist erkennbar und LACUNA COIL kommen trotz des Erfolges natürlich und sympathisch rüber. Das große Problem ist wie gesagt der Livepart, der viel zu kurz geraten ist und die Band meines Erachtens nicht wirklich in ihrer Livestärke präsentiert. Eine wenigstens 90-minütige Headlinershow in einem Club oder einer Halle mit entsprechender Show wäre hier wesentlich aussagekräftiger gewesen. Insgesamt leider eine echte Enttäuschung und ausschließlich Die-Hard-Fans zu empfehlen.
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