Hellfest
Ein Erlebnisbericht
Konzertbericht
Aus einer Trotzreaktion heraus gedieh Anfang des Jahres bei uns das Verlangen, dem omnipräsenten Wacken zu entfliehen und unser Heil fernab des norddeutschen Volksfestrummels zu finden. Im Endeffekt gäbe es 2008 nämlich genau zwei Gründe, sich die Reise nach Wacken noch einmal anzutun. Eben genauso viele wie jedes Jahr. Dieses Mal heißen sie CARCASS und AT THE GATES. Die Reunion-Shows der beiden Bands wollten wir uns bei allem Magengrimmen, das man bei so einer Geschichte zwar entwickelt, trotzdem nicht entgehen lassen. Es muss doch im angrenzenden europäischen Ausland einen Ersatz geben, der es line-up-technisch mit der Mutter aller Metalfestivals aufnehmen kann! Die Aufgabenstellung war demnach schnell klar: „Finde Festival mit CARCASS und AT THE GATES, das nicht Wacken heißt“. Nach nur kurzer Suche stand fest: es wird HELLFEST heißen und in Frankreich wohnen. Genauer: in einem kleinen Nest namens Clisson, unweit von Nantes.
Bereits vergangenes Jahr wartete das offenbar einzige größere Metalfestival Frankreichs mit einem sagenhaften Billing auf, welches in Wacken gut und gerne auf zwei Jahre verteilt werden würde. Mit geradezu vorweihnachtlicher Ungeduld fieberten wir jeder Verkündung von Line-Up-Neuzugängen entgegen, die im Monatstakt über die sehenswerte Website des HELLFEST prophezeit wurden. Dabei sind es nicht unbedingt die wirklich großen Namen, die das HELLFEST ausmachen, sondern die mit Seltenheitswert wie etwa VENOM, MESHUGGAH, CULT OF LUNA, MY DYING BRIDE, PORCUPINE TREE, ANATHEMA, ANAAL NATHRAKH, THE DILLINGER ESCAPE PLAN oder eben CARCASS und AT THE GATES. Das HELLFEST ist ein Festival von Liebhabern für Liebhaber. Die großen Namen gibt es trotzdem. Sie lauten 2008 IN FLAMES, DIMMU BORGIR, SLAYER, MOTÖRHEAD, TESTAMENT, APOCALYPTICA, CAVALERA CONSPIRACY und: NOFX (sic!). Dazwischen tummeln sich Bands, die der Qualität der genannten in nichts nachstehen. Das gesamte Billing war von solch einem Kaliber, dass wir bis Clisson nicht wirklich sicher sein konnten, dass wir nicht doch nur einem bösen Schabernack aufsitzen, den sich ein findiger Kopf ausgedacht hat. Drauf geschissen! Selbst wenn nur die Coverbands der angekündigten Acts auf der Bühne stehen würden – bei all unserer Fickrigkeit aufs HELLFEST, die sich im Laufe der Monate angestaut hat, wäre uns selbst das vollends egal gewesen.
Mit zwei Autos im Konvoi treten wir Donnerstagmorgen um acht die 1.000 km nach Clisson an. Klar, das ist weiter als nach Wacken, aber wie gesagt: es ist ja auch ein wenig Trotz dabei. Aufgrund der Geschwindigkeitsbeschränkung auf französischen Autobahnen auf max. 130 km/h, deren Einhaltung mit relativ vielen Blitzern überwacht wird, ist das Beieinanderbleiben auch kein Thema und die Fahrt trotz ihrer Länge entspannt. Die Strecke über die teils mautpflichtigen Autobahnen führt erst über Paris – wie alles in Frankreich – und dann gen Clisson. Trotzdem ist diese Route etwa vier Stunden schneller als über die mautfreien Bundesstraßen, über die man auch ohne Pariser Umweg – und am Ende 60 Euro reicher – ans Ziel gelangt. Nach gemütlichen elf Stunden Fahrt erreichen wir unser Ziel und sind gut daran beraten, uns nicht beirren zu lassen. Mit geradezu britischem Understatement verheimlichen die Veranstalter ihr Festival bis zwei Kreuzungen vor dem Parkplatz. Vorher deutet nicht ein einziges Schild auf das HELLFEST hin. Also doch nur Coverbands?
Hellcome to Clisson!
Am Ziel angekommen ernüchtert uns die Tatsache, dass nicht direkt am Zelt geparkt werden kann. Na toll: da Glas auf dem Campingplatz erlaubt ist, haben wir sinniger Weise Bierkästen dabei. Die gilt es nun also zum Zelt zu schleppen. Das Auto steht dafür auf asphaltiertem Grund: für den Parkplatz wurde eine komplette Umgehungsstraße gesperrt, deren Ränder nun unzählige Renaults, Citroens und Peugeots säumen. Vorbildlich! Dass der Karre nix passiert, dafür sorgen schon die muskelbepackten Securitys, die auf dem HELLFEST allesamt mit Respekt einflößenden Kampfhunden patrouillieren und einem schnell den Spaß am Wildurinieren verderben. Die Gepäckschlepperei hätte sich wahrlich zu einer Tortur entwickeln können, verfügte Clisson nicht über eine weitaus besser entwickelte Infrastruktur als Wacken, wodurch kurzerhand die Einkaufswagenflotten der nicht weit entfernten Supermärkte (incl. Lidl für alle mit Heimweh) gleich reihenweise zweckentfremdet werden.
Ein Blick auf den Campingplatzplan, dann auf den wahrhaftigen Campingplatz-Bereich A, der da vor einem liegt und locker in die Hosentasche passt, und wieder zurück auf den Campingplatzplan zaubert die nächsten Fragezeichen ins Gesicht: wie viele Besucher erwartet das HELLFEST? Hundert?
Wohl doch Coverbands.
Coverbands? Nicht auszudenken…
An der Ausstattung des Campingplatzes gibt es allerdings absolut nichts zu kritteln: eine ausreichende Phalanx an Dixis, die im Laufe der drei Tage zwar nicht oft, dafür aber regelmäßig geleert wird. Ein großes, Berichten von Leuten, die drin waren, zufolge wirklich gutes und vergleichsweise sauberes Waschzelt mit fließend Wasser und Bretterboden, damit sich der Untergrund nicht in Sumpf verwandelt. Die Zutrittsflatrate für alle drei Tage kostet symbolische fünf Euro. Des Weiteren steht da ein großes Partyzelt, ebenfalls mit Dielenboden und Bar mit sowohl Getränke- als auch Speisenangebot. Im Zelt ist jede Nacht Halligalli mit Karaokewettbewerben, Disco und allerlei weiterem Partyangebot, zu dem man auf den ausreichend ausgeleuchteten Wegen gut hin- und wieder zurückfindet. Das einzige, irgendwie unwirklich wirkende am Campingplatz: die Wiesen wurden von ihren Besitzern fein säuberlich und mit fast deutschem Ordnungsbewusstsein mit Stacheldraht eingezäunt. Mit Stacheldraht. Auf einem Fest, auf dem nachts 10.000 Besoffene im Dunkeln ihre Zelte suchen. Stacheldraht, nun denn. Aber: es sollte nichts passieren. An manchen Stellen reißen die Leute die Pfosten kurzerhand aus dem Boden, größtenteils bleiben sie aber einfach stehen. (Thomas)
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