Tiamat
12. Wave-Gotik-Treffen
Konzertbericht
Tiamat hatte ich zuletzt vor einigen Jahren auf der Slumber-Tour gesehen. Der Auftritt damals war – vorsichtig ausgedrückt – gewöhnungsbedürftig. Es war die Zeit, in der Tiamat dem Metal adé gesagt hat und nur noch neue Sachen spielte, bzw. alte in veränderter Form, so z.B. ein schleppend langsames Sleeping Beauty mit piepsigen Vocals anstelle der gegrunzten Passagen. Auch der Kontakt zum Publikum war eingeschränkt, meist kaum vorhanden. Dass der Auftritt damals dennoch ein grandioses Erlebnis war, lag nicht zuletzt an der Atmosphäre der Musik, die einen durchströmte und den simplen aber faszinierenden Lichteffekten auf der Bühne, wo die Band von Schwarzlicht angestrahlt und mit fluoreszierenden Farben angemalt stand und musizierte. Doch wie sollte heute ein Tiamat-Auftritt aussehen? Das aktuelle Album sagt mir absolut nicht zu. Kurz gesagt bin ich mit sehr geringen Erwartungen aber der großen Hoffnung auf ein unvergessliches Konzert in die Parkbühne gegangen. Tiamat spielten am frühen Abend, wo es noch hell war. Die Band wirkte wie ein Witz. Johan, braungebrannt, ein wenig durchtrainiert und mit grauer verblichener Jeans stand mit herausguckender Unterhose und nacktem Oberkörper auf der Bühne. Der Rest der Band stand unscheinbar in der Gegend herum. Dennoch ein ungewohnter Anblick: Johan Edlund wirkte glücklich. Die Band erschien einem tatsächlich als eine Band und nicht mehr als Johans Egoprojekt. Die ersten Songs sorgten dann aber wieder für eine Enttäuschung: Zwei Judas Christ-Partikel wurden mit nur geringem Elan vorgetragen und erste „Sleeping Beauty“-Rufe erklangen. Und Johan reagierte! Er ging auf’s Publikum zu, erfragte Songwünsche und spielte dann ersthaft The Ar und Whatever that hurts vom Wildhoney-Album, wo man teils noch die rauhen gegrunzten Vocals erahnen konnte. Der nicht geringe metallische Anteil im Publikum wackelte mit der Mähne und die restlichen Gothics schwankten gewohnt von links nach rechts – von der Bühne aus sicher ein amüsanter Anblick. Weiter ging es mit einem wunderbaren Querschnitt durch die letzten drei Alben, der mit viel Druck und Liebe zum Detail vorgetragen wurde. Den Auftritt zu beschreiben ist ziemlich schwer. Lichteffekte waren nur spärlich vorhanden, die gesamte Band trat auf wie eine kleine Garagenband, jegliches klischeehafte Getue ist abgefallen. Und dennoch schafften sie es, einen in ihren Bann zu ziehen. Die charismatischen Vocals und die Atmosphäre der Musik durchflossen einen wie eh und je. Kurz darauf verließ die Band dann die Bühne und – wie üblich – wurde lautstark eine Zugabe gefordert. „You knew it. Of course you knew it… ‚Cause we left our instruments here.“ war dann auch der ironische Seitenhieb, den Johan losließ um dann sofort mit Sleeping Beauty in die Zugabe einzusteigen. Und was für ein Song das war! Es wirkt so, als hätte die Band endlich wieder ihre ausgleichende Mitte gefunden und somit auch die Kraft, gelöst auf ihre Vergangenheit zu schauen und zu ihr zu stehen. Wie sonst lässt sich erklären, dass die Band den bekanntesten Titel ihres eigentlich verhasstesten Albums (Clouds war in jeder Hinsicht ein Kompromiss, weshalb die Band lange keine Titel mehr davon spielte oder nur in solch veränderter Form, dass man den Song kaum erkennen konnte) dreistimmig gegrunzt darbot! Danach folgte dann noch Gaia vom Wildhoney-Album und der Auftritt war endgültig zuende. Als Fazit bleibt ein beeindruckender Auftritt. Beindruckend vor allem deshalb, weil Tiamat vollkommen ohne große Show ihren Zauber verbreitet habe. Und beeindruckend auch deshalb, weil die Band wieder als Band auftritt. Sie gelöst auf der Bühne steht, Kontakt zum Publikum sucht, anstatt distanziert die Musik vorzutragen und man ihr den Spaß anmerkt, zu spielen. Sie haben sogar ein kleines schwedisches Volkslied vorgetragen, was sich dann in Lachen auflöste. So wenig ich auch mit Judas Christ anfangen kann, es macht mich glücklich, die Band so auf der Bühne zu sehen. Die gefährliche Zeit zwischen Slumber und Wildhoney, wo die Band kurz vor ihrer Auflösung stand, Johan mit dem Rücken zum Publikum spielte und schon einmal von Bühnenordner zurück zur Bühne geschickt werden musste, gefolgt von der depressiven Slumber-Periode scheint vorbei. Tiamat haben sich gefunden und dabei auch gelernt, mit ihrer Vergangenheit zu leben. Man kann mit Hoffnung in die Zukunft blicken.
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Tiamat auf Tour
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