Lantlôs
Lantlôs
Interview
LANTLÔS ist mittelhochdeutsch für heimatlos. Die Band fühlt sich nicht daheim. Die Band –das ist hauptsächlich der Bandgründer Herbst. Bis auf den Gesang stammt alles auf dem zweiten LANTLÔS-Album ".neon" von ihm. Im Interview spricht er über seine gestörte Realitätswahrnehmung, den neuen Sänger Neige, der auch bei ALCEST spielt und sein Verhältnis zum Indie-Rock.
Was ist das Konzept des neuen LANTLÔS-Albums „.neon“?
Es geht um Realität. Es geht darum, das in Frage zu Stellen, was man wahrnimmt – wie man auf das reagiert, was man wahrnimmt. Das bringt eine gewisse Einsamkeit mit sich. Um das Album zu verstehen, ist es nötig zu wissen, dass das Konzept auf einer Wahrnehmungsstörung basiert. Ich habe seit drei Jahren Probleme mit meiner Wahrnehmung. Es fühlt sich für mich so an, als würde ich einen Film anschauen, indem ich eine Nebenrolle spiele. Man kann sich das wie einen Filter vorstellen. Es ist schwer zu beschreiben – fühlt sich surreal an, wie ein Drogenrausch. In diesem Zustand bin ich die ganze Zeit und muss versuchen damit zurecht zu kommen.
Das Problem habe ich wie gesagt seit drei Jahren. Vorher war alles normal. Als ich das bekommen habe, hat es mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Es war eine große Umstellung. Ich kann kaum ausdrücken, was dieses Problem für mich bedeutet. Es ist ein Gefühl für Realität: Man weiß nicht, was in einem drin ist und was Außen ist. Ganz seltsam, entrückt und surreal. Darum geht es auf dem Album: Wie man damit zurechtkommt und was man für Ausflüchte hat.
Auf dem ersten Album habe ich noch versucht, das durch einen Vergleich mit dem modernen Großstadtleben für Andere nachvollziehbar zu machen. Das wurde aber oft falsch verstanden. Es ging mir nie darum, dass die Gesellschaft schlecht ist, oder das Wertelosigkeit herrscht. Das ist mir völlig egal. Jeder lebt für mich in seinem eigenen System und es gibt keinen Konsens. Es geht um das Gefühl, auf anderem Boden zu gehen. Das die Menschen um einen nur Hüllen sind, von denen man nichts kennt, nichts wahrnimmt. Beim neuen Album habe ich darauf verzichtet, weil es immer hieß: „Ist ja genauso wie ALCEST“. Die haben zwar ein ähnliches aber doch anderes Konzept.
Was ist für dich der wesentliche Unterschied zwischen LANTLÔS und ALCEST? Immerhin gibt es personelle Überschneidungen: Neige ist der Mann hinter ALCEST (frz. für „Schnee“). Er schreibt die Songs und spielt fast alle Instrumente bei der französischen Post Black Metal-Band. Und seit dem neuen Album „.neon“ ist er auch Sänger von LANTLÔS.
Die Atmosphäre bei ALCEST ist ganz anders. Es geht um gute Gefühle, um die Traumwelt von Neige – diese Erinnerungen aus einer anderen Welt [Anm. d. Red.: Neige hatte als Kind Visionen von einer in Licht getauchte Existenzebene voll überirdischer Schönheit.].
LANTLÔS ist total nihilistisch. Ich finde, das kann man gar nicht vergleichen. Natürlich ist das Riffing ähnlich, weil Neige und ich eine sehr ähnliche Art haben zu schreiben, deshalb machen wir Musik zusammen. Aber die Aussage ist grundverschieden. Das zeigt sich schon bei den Albumcovers.
Für mich ist die Musik von LANTLÔS nicht nur trostlos. Gerade durch die Post Rock-Akkorde wirkt die Musik melancholisch und auch schön.
Das hat mit den Thematiken der Songs zu tun. Das Grundkonzept ist wie gesagt dieses surreale Gefühl und die einzelnen Songs beschreiben verschiedene Ausflüchte aus dieser falschen Wahrnehmung. „Coma“ handelt zum Beispiel von Drogen. „These Nights were Ours“ hat ein anders Thema: Es geht um eine Liebesgeschichte. Das ist natürlich etwas Schönes, aber es ist immer eingebettet in etwas Hässliches. Das war zumindest meine Intention.
Wie bist du darauf gekommen, Black Metal mit Post Rock zu mischen?
Das ist einfach meine Art, Gitarre zu spielen. Wenn ich mich hinsetze um Songs zu schreiben, entsteht dieser Klang, ohne dass ich es bewusst plane. Ich habe mir nichts dabei gedacht.
Es gibt aber schon Bands, die mich beeinflusst haben. Das Riffing ist ähnlich wie in Indie-Musik. Viele Bands in diesem Genre benutzen ähnliche Akkorde. Ich höre nur vereinzelt Indie, zum Beispiel Bands wie TOKIO POLICE CLUB und CUT CITY, aber natürlich auch Post Rock wie CASPIAN. Außerdem höre ich viel Post Hardcore, zum Beispiel KAYO DOT.
Du hast gesagt, die Art wie du Akkorde auf der Gitarre spielst, macht den Klang von LANTLÔS aus. Für die Gitarristen: Wie sind die Akkorde aufgebaut, die du spielst?
Ich schlage bei Akkorden alle Saiten der Gitarre gleichzeitig an. Dabei kombiniere ich leere, nicht gegriffene mit gegriffenen Saiten. Das nennt man offene Akkorde. Um jetzt sehr technisch zu werden: Ich verwende zweitönige, dissonante Bordunklänge. Es sind immer zwei Töne, die nicht konsonant sind, zum Beispiel mit einer Septime oder None Abstand, und darunter dann andre Bässe – und eben die leere Saiten.
Eine ganz andere Frage: Was machst du eigentlich beruflich?
Ich arbeite bei Prophecy Productions [Anm. d. Red.: Deutsches Label für „unheimliche, gefühlvolle Musik“ (laut Homepage). Dort erscheint auch das neue LANTLÔS-Album.]. Fangen wir mal vorne an: Ich bin jetzt zwanzig. Als ich fünfzehn war, habe ich Stephan von Prophecy kennen gelernt. Ich habe ihm unter anderem auch die Demoaufnahmen zu „.neon“ gegeben. Als dann bei Prophecy eine Stelle frei wurde, hat er mir angeboten, für das Label zu arbeiten. Seitdem bin ich dort mehr oder weniger Mädchen für alles.
Wenn wir schon bei der Metalszene sind: Früher war der metal.de-Chefredakteur Alboin auch Sänger von LANTLÔS. Wie empfindest du den gesanglichen Unterschied zwischen Alboin und Neige?
Ihre Stimmen haben eine andere Klangfarbe und sie singen in einer anderen Sprache, Alboin auf deutsch, Neige auf englisch und französisch.
Alboin klingt in erster Linie rauher, denn er schreit mit viel Stimme. An Neige gefällt mir, dass er ziemlich hoch schreit. Ich würde nicht sagen, dass einer emotionaler oder verzweifelter klingt als der andere. Sie klingen einfach anders. Aber Neiges Gesang passt für mich besser zu den neuen Songs.
Mit Alboin hat es einfach nicht mehr geklappt, weil wir völlig unterschiedliche Arbeitsweisen haben: Er möchte planen, ich mache alles spontan. Wir sind uns auch über den Sound nicht einig geworden.
Die neuen Songs könnte ich mir jedenfalls nicht mit deutschen Texten und Alboins Gesang vorstellen.
Mittlerweile sind fast alle Texte auf Englisch, mit zwei Ausnahmen: Der Song „Neon“ enthält ein deutsches Sprachsample und „Neige du Mars“ ist komplett auf französisch. Hat der Songtitel etwas mit Neige zu tun?
Nein, nicht direkt. Das der Text auf französisch ist, war ein Missverständnis. Neige ist Franzose und Franzosen sprechen nun mal schlecht Englisch. Ich dachte, dass er mit englischen Texten nicht zurecht kommt. Deswegen habe ich erst alle Lyrics auf deutsch geschrieben und dann angefangen, sie ins Französische zu übersetzen. Als ich ihm „Neige de Mars“ zum korrigieren gegeben habe, hat er sich dann gewundert, dass der Text französisch ist. Sonst hieße der Song „Schnee im März“. Es hat also nichts mit Neige zu tun, die Übereinstimmung ist Zufall.
Auf dem Album ist, wie gesagt, auch ein deutsches Sprachsample von einer Frauenstimme zu hören. Wer hat das eingesprochen?
Auf dem letzten Album gab es auch schon eine gesamplete Frauenstimme. Die stammte aus einem Film. Den Text auf dem neuen Album „.neon“ hat einer Freundin von mir eingesprochen.
Ich mag Samples generell. Eigentlich wollte ich wieder ein Filmsample nehmen, dachte mir dann aber, dass es rechtlich nicht klug ist. Meine eigene Stimme gefällt mir nicht, deswegen habe ich den Text geschrieben und eine Freundin gefragt, ob sie ihn einsprechen kann. Ich finde der Text passt besser zu einer Frau als zu einem Mann, weil die Stimme so süß und unschuldig klingt und der Text auch relativ unschuldig gehalten ist. Das ist ja eigentlich ein Abschiedsbrief. Ein Mann mit ausgereifter Stimme könnte dieses Naive nicht so ausdrücken.
Du hast Musik und Texte von „.neon“ komplett alleine geschrieben. Warst du mit Neige zusammen im Studio oder habt ihr euch Sounddateien hin- und hergeschickt?
Wir haben uns im Vorfeld persönlich getroffen. Die Gesangsspuren hat Neige aber bei seinen Eltern zu Hause aufgenommen. Die Instrumente habe ich in einem professionellen Studio eingespielt und dann mit Neiges Gesang zusammengefügt. Im Gegensatz zum Debüt „Lantlôs“ habe ich das neue Album aber nicht selbst produziert.
Wie lange produzierst du schon Alben?
Tontechnik mache ich seitdem ich dreizehn bin, also ungefähr sieben Jahre. Das ist allerdings mehr ein Hobby, mit dem ich mir manchmal was dazu verdiene.
Kannst du abschätzen wie groß die Fanbase von LANTLÔS im Moment ist?
Nein, das kann ich überhaupt nicht einschätzen. Ich persönlich kenne sehr wenig Leute, die meine Musik hören. Aber meine Bekannten erzählen mir, dass viele Leute aus ihrem Freundeskreis LANTLÔS kennen. Trotzdem ist es schwer einzuschätzen, denn ich bekomme kaum Feedback.
Machst du die Musik nur für dich?
Jein. Es ist für mich wie ein Zwang. Ich komme mit Leerlauf nicht klar. Ich kann mich nicht hinsetzen und entspannen oder ein Buch lesen. Deswegen habe ich das Gefühl, irgendetwas machen zu müssen und das ist dann meist Gitarre spielen. Aber ich mache die Musik nicht nur für mich, sonst würde ich sie nicht veröffentlichen. Es freut mich wenn Leute mir das zurückgeben können, was ich in die Platte hineingesteckt habe. Wenn mir jemand erzählt, dass er eine bestimme Stelle mag, weil er sie zum Beispiel mit einem persönlichen Erlebnis verbindet, dann ist das ein schönes Gefühl.
Willst du in Zukunft auch live auftreten oder hat LANTLÔS für dich eher Projektcharakter?
Für mich ist es kein Projekt, denn ich mache das jetzt schon vier bis fünf Jahre lang und es ist mittlerweile meine einzige Band.
Ich möchte unglaublich gerne Live auftreten, aber es fehlt einfach an Musikern. Das liegt daran, das ich relativ eigen bin, was die Umsetzung angeht. Ich stelle gewisse Anforderungen an das Können meiner Mitmusiker. Bisher habe ich wenige Leute getroffen, die in der Nähe wohnen und gut spielen können. Und ich habe keine Lust mit etwas Halbgarem aufzutreten. Aber ich glaube, ich habe jetzt einen Drummer gefunden. Mit dem treffe ich mich im Juli und dann wird sich zeigen, ob das was wird. Der Wunsch ist da, aber es hapert leider noch am Line-Up.
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