The Dillinger Escape Plan
The Dillinger Escape Plan
Interview
Nervt euch das nicht auch? Dieses ständige Informationsrauschen? Twitter hier, Facebook da, Myspace in der Mitte. Fehlt nur noch die digitale Beerdigung via Youtube. THE DILLINGER ESCAPE PLAN zeigen auf ihrem neuen Album "Option Paralysis" die Schattenseiten der Informationsgesellschaft. Musikalisch sind sie wie immer eigen: Schräge Akkorde und krumme Blastbeats treffen auf klagendes Klavier und poppige Refrains. Gitarrist und Hauptsongwriter Ben Weinman spricht über BRITNEY SPEARS, KARLHEINZ STOCKHAUSEN und den Wechsel zum Label Seasons of Mist.
Das neue THE DILLINGER ESCAPE PLAN-Album „Option Paralysis“ erscheint am 22. März 2010. Ben, in einigen Interviews hast du bereits erklärt, dass der Albumtitel mit einem aktuellen Problem zusammenhängt: Heutzutage strömen zu viele Informationen auf uns ein. Warum macht dich die Informationsgesellschaft besorgt?
Das Hauptproblem ist, dass wir alle überreizt sind. Es gibt so viele Sinnesreize, unsere Wahrnehmung wird so überladen, dass uns Vieles nicht mehr berührt. Internetwerbung hat zum Beispiel auf einmal nicht mehr funktioniert, weil es so viel davon gab, dass man sie nicht mehr wahrgenommen hat. Es entstand ein Durcheinander von Informationen, die uns jetzt von allen Seiten und aus allen Richtungen bombardieren.
Was uns schon seit langer Zeit beunruhigt, ist die Tatsache, dass die Technik – zum ersten Mal in der Geschichte – anfängt, sich schneller zu entwickeln als die Menschheit. Wir werden Zeugen einer Situation, in der die Menschen von der Technik beeinflusst werden und nicht umgekehrt. Das ist erschreckend.
Nehmen wir Europa als Beispiel: Als wir zum ersten Mal hierher kamen, gab es weder Myspace noch Youtube. Es war interessant zu erleben, wie sich die Kulturen von Land zu Land unterschieden. Die Menschen trugen andere Kleidung, sie reagierten anders und es gab verschiedene Währungen. Die regionale Kultur, Wirtschaftslage und all diese Dinge beeinflussten die Leute. Ich glaube, dadurch entstand eine großartige Vielfalt, sowohl künstlerisch als auch kulturell. Aber jetzt, wo viele Menschen das Gleiche auf die selbe Art und Weise erleben, ist viel davon verloren gegangen.
Andererseits war diese Entwicklung aber auch gut für uns, denn dadurch sind mehr Leute mit unserer Musik in Berührung gekommen. Wir können sie auch ohne riesiges Major-Label-Budget und -Marketing erreichen. Aber wir haben auch das Gefühl, dass es ein Teufelskreis ist: Die Menschen werden von den selben Dingen beeinflusst. Das ist ein wichtiger Grund, warum wir glauben, im Bereich der Musik ein bischen Unsicherheit schaffen zu müssen; sofern das möglich ist.
Das Albumcover von „Option Paralysis“ zeigt ein Ohr. Bei genauer Betrachtung erkennt man, dass es aus lauter kleinen Bildern zusammengesetzt ist, wie ein Mosaik. Hat das auch mit dem Thema Reizüberflutung zu tun?
Auf jeden Fall. Es ist ein Symbol dafür, dass wir sehr viele Reize mit unseren Sinnesorganen aufnehmen. Das Album selbst kann diese Komplexität besser darstellen. Aber wir freuen uns sehr darüber, dass unser Artwork – vielleicht zum ersten Mal in der Bandgeschichte – ähnlich ausgearbeitet ist wie das Album selbst. Das Artwork stellt die Sinnesorgane auf fünf Bildern dar, die alle aus Mosaiken kleinerer Bilder bestehen. Auf denen sind wiederum Gegenstände zu sehen, die für bestimmte Sinnesreize stehen. Das Ohr haben wir als Frontcover ausgewählt, weil Musik das Hauptmedium des Albums ist.
Das britische Metal Hammer-Magazin hat berichtet, dass Mike Garson einen Gastauftritt auf „Option Paralysis“ hat. Bei welchem Song hat er denn mitgespielt?
Mike Garson spielt seit 40 Jahren professionell Klavier. Er ist bekannt für seine Zusammenarbeit mit DAVID BOWIE und hat zum Beispiel auf „Ziggy Stardust“ und allen frühen BOWIE-Platten gespielt, aber auch auf Alben wie „The Fragile“ von NINE INCH NAILS. Er ist ein hervorragender, eklektischer, sehr versierter Avantgarde-Pianist. Es war toll, dass er dabei war. Mitgespielt hat er zum Teil bei „Widower“, und auch noch bei einem anderen Song. Ich kann mich momentan nicht an den Songtitel erinnern. In Gedanken habe ich die neuen Lieder abgespeichert als „Song eins“, „Song zwei“ und so weiter. Es war jedenfalls nicht „Parasitic Twins“.
Wie hast du Mike Garson kennengelernt und warum wollte er zum Album etwas beitragen?
Heutzutage haben viele Bands Gäste auf ihren Platten. Oft ist das eine gute Möglichkeit, um zu werben und Extra-Publicity zu kriegen. Man erregt die Aufmerksamkeit der Fans des andern Künstlers, aber darum ging es uns noch nie. Wir glauben, dass wir in der Lage sind unsere eigenen Vorstellungen umzusetzen. Wir müssen niemand hinzuziehen, der das übernimmt. Für uns wirkt das beinahe wie eine billiger Trick, um Fans zu stehlen.
Trotzdem hatten wir in letzter Zeit einige Gäste, zum Beispiel unseren alten Sänger Dimitri Minakakis und Brent Hinds von MASTODON auf dem letzen Album „Ire Works“; und diesmal eben Mike Garson. Das sind Leute, mit denen wir rumhängen, die unsere Freunde sind, die zu dieser Zeit einfach Teil unseres Lebens waren. Wenn sie zufällig gerade in der Gegend sind und etwas beitragen wollen, dann tun sie das. Es war nie von langer Hand geplant.
Mike habe ich backstage auf einem NINE INCH NAILS-Konzert kennengelernt. Er war interessiert daran, mit uns zusammenzuarbeiten. Wir haben ihm gesagt, wo wir in den nächsten Monaten sind und, dass er vorbeikommen soll. Das hat er gemacht. Er hatte noch nie einen unserer Songs gehört und daher keine Ahnung von unserer Musik. Es war großartig wie er darüber improvisierte und sie auf seine eigene Weise interpretierte. Und das, obwohl er keine Ahnung hatte, was ihn erwartet. Das war sehr inspirierend für uns.
Laut eurem Sänger Greg Puciato hattet ihr während den Aufnahmen zum letzten Album „Ire Works“ immer wieder zu kämpfen, während die Stimmung dieses Mal ziemlich positiv war. Erzähl mir doch bitte mehr dazu.
Es scheint so, als ob wir bei jeder Platte, die wir bisher gemacht haben, mit irgendwas zu kämpfen hatten. Wir haben lange Zeit gedacht, das wir diese Dramatik brauchen, um eine gute Platte zu machen.
Aber diesmal waren wir in sehr guter Verfassung. Wir haben eine stabile Besetzung, alle ziehen an einem Strang. Außerdem ist es das erste Mal, dass wir eine Platte in einem Schwung geschrieben haben. Es gab kein Hin und Her, keine Touren und keine persönliche Probleme. Wir nahmen uns einfach Zeit und machten die Platte. Ich glaube, sie ist deswegen sehr fokussiert.
Ich mag die Vielfalt auf den anderen Platten. Es war gut, dass wir damals unterschiedliche Gefühlszustände durchgemacht haben, als wir verschiedene Songs schrieben. Aber auf „Option Paralysis“ gibt es eine Gesamtstimmung, die das Album mehr wie eine Einheit wirken lässt, als das vielleicht auf früheren Alben der Fall war.
Bei unserer letzten Platte hatten wir mit Besetzungswechseln zu kämpfen. Unser Schlagzeuger verließ nach langen Jahren plötzlich die Band und zwar mitten in der Kompositionsphase. Es gab also definitiv viele Hindernisse.
Das aktuelle Album ist in einem konzentrierten und positiven Arbeitsumfeld entstanden. Es ließ mich erkennen, dass man sich nicht schlecht fühlen muss, um gute Musik oder Kunst zu schaffen. Man kann es sich allerdings nicht immer angenehm machen. Ich glaube, das ist ein Unterschied. Gute Kunst kann nicht entstehen, wenn alles einfach, bequem und vorhersagbar ist. Es gibt immer Hindernisse, die man überwinden muss; entweder durch die Umgebung oder wegen unserer Herangehensweise beim Songwriting. Wir versuchen immer, neue Elemente zu integrieren.
Die Begleitumstände waren diesmal sehr positiv, aber zu einem gewissen Grad war die Albumproduktion trotzdem unangenehm. Wir bemühen uns förmlich darum, denn ich glaube, dass es ein positiver Effekt ist.
Laut deiner Aussage in verschiedenen Interviews ist „Option Paralysis“ das bisher beste DILLINGER-Album. Meiner Meinung nach gab es viele Elemente des neuen Albums schon auf dem Vorgänger „Ire Works“. Aber die Kombination dieser Elemente funktioniert jetzt besser und die Songs sind homogener. Würdest du mir da zustimmen?
Als wir „Ire Works“ rausgebracht hatten, dachte ich ebenfalls: „Das ist bisher unsere beste Platte“. Und ich mag sie immer noch. Es war eine großartige Verquickung von allem, was wir bis dahin gemacht hatten.
Jetzt haben wir die Kunst des Songwritings in unserem Kontext noch besser gemeistert, trotz der großen Vielfalt von „Option Paralysis“. Sogar Songs, die eigentlich vom DILLINGER-Stil abweichen, klingen jetzt mehr nach DILLINGER. Obwohl neue Elemente hinzugekommen sind, zum Beispiel mehr melodische Teile, klingt das Album authentisch und nicht nach krampfhafter Experimentierwut. Ich stimme dir also zu.
Danke. Zu den neuen Elementen: Für meine Ohren klingen einige Riffs nach Doom Metal. Ist das Absicht? Denn ich glaube, ihr hattet schon immer Teile, bei denen das Schlagzeug im halben Tempo spielt, aber keine Riffs, die nach CANDLEMASS klingen.
Bevor irgendjemand die Platte gehört hatte, habe ich gesagt, dass Metal einen großen Einfluss auf das Songwriting hatte. Als die Leute das Album hörten, haben sie das nicht verstanden, weil klavierlastige Songs wie „Widower“ und „Parasitic Twins“ drauf sind. Sie sagten: „Das klingt für mich nicht nach Metal“. Aber wenn die Leute tatsächlich geglaubt haben, dass wir eine Metal-Platte machen würden, die keine DILLINGER-Metal-Platte ist, dann sind sie verrückt. Es war mir immer unangenehm, als Metal-Band bezeichnet zu werden, weil ein Großteil der Metalszene engstirnig ist. Nach dem Motto: Metal muss true sein.
Besonders in Deutschland hatten wir anfangs große Schwierigkeiten, weil man uns in keine Schublade stecken konnte. Die Leute erwarteten, dass wir entweder Hardcore oder Metal oder Punk sind. Weil sie uns nicht einordnen konnten, hörten sie sich unsere Musik nicht an. Wir haben einfach weiter gemacht, bis wir akzeptiert wurden, wie wir sind.
Aber diese Platte ist definitiv beeinflusst von Musik, mit der ich aufgewachsen bin, zum Beispiel ENTOMBED und NAPALM DEATH. Ich würde es vielleicht als intelligenter Metal bezeichnen. Diese Bands waren voll Leidenschaft und ließen sich vom echten Leben inspirieren, nicht von irrealen Dingen wie Trollen, Zauberern in den Wäldern, Dämonen und Teufeln.
Mein Gott, sogar Bands wie Queensryche haben mich inspiriert. „Operation Mindcrime“ war eine sehr wichtige Platte für mich. Das ist für manche Leute vielleicht nicht wirklich „Metal“, aber grundsätzlich ist die neue Platte definitv stärker von Metal-Klangvorstellungen beeinflusst als unsere letzten Alben.
Zurück zu dem Doom-Riff in „Room Full of Eyes“. Deiner Aussage nach ist es einer der intensivsten Songs, die DILLINGER je geschrieben haben. Beim ersten Hören kam es mir so vor als wären es zwei getrennte Songs. Denn nach einer Pause in der Mitte des Songs kommt dieses Doom-Riff, dass ganz anders klingt als der erste Teil des Songs. Was war denn die Idee beim Schreiben dieses Songs?
Einige meiner Lieblingsteile in DILLINGER-Songs sind geradlinige Parts, wie der am Ende von „Room Full of Eyes“. Der Song öffnet sich und gibt Greg die Möglichkeit, sich gesanglich voll auszuleben. Er steht im Vordergrund und der Hörer hat die Möglichkeit, sich endlich an etwas festzuhalten. Aber es sind die umgebenden Teile, die diese Geradlinigkeit cool machen. Ich glaube, wir könnten ohne Probleme eine Platte machen, die nur aus solchen Ideen besteht. Aber das wäre nichts Neues. Es wäre weder interessant noch abwechslungsreich.
Wir schreiben gerne Musik, die das Leben widerspiegelt. Und das Leben ist nicht geradlinig. Es ist ein Auf und Ab. Wir machen täglich, jährlich, unser Leben lang Veränderungen durch. Deswegen ist das Wechselspiel verschiedener Elemente wichtig für uns, nicht nur in bezug auf ein Album, sondern auch innerhalb einzelner Songs. Ich glaube „Room Full of Eyes“ ist ein gutes Beispiel dafür. In der Mitte des Songs hat man eine Sekunde Zeit um Luft zu schnappen und dann wird man an einen anderen Ort entführt. So haben wir uns gefühlt, als wir den Song geschrieben haben.
Repräsentieren die melodischen Refrains dann die guten Zeiten des Lebens?
Nein, auf keinen Fall. Kreischen und Schreien drücken offensichtlich Ärger und Frustration aus. Aber die Melodien… Also, ich mag gerne düstere Musik. Ich höre viel Filmmusik und es sind aus irgendeinem Grund immer die düsteren Teile, die mich aufhorchen lassen und mich glücklich machen. Sie inspirieren mich, wecken tiefsitzende Gefühlen und motivieren mich Musik zu machen. Aber Filmmusik und Orchesterstücke sind natürlich sehr melodisch.
Wir haben den Gesang immer wie ein Instrument behandelt. Wie alle anderen Instrumente ist er nur eine weiter Klangfarbe, die als Teil der verschiedenen musikalischen Schichten ein bestimmtes Gefühl ausdrückt. Wir denken also sehr orchestral.
Ich bin mit Musicals aufgewachsen, zum Beispiel mit der Broadway-Produktion von „Sweeney Todd“. Dieses düstere Zeug erzählt durch die Musik eine Geschichte. Für mich war das eine wichtige Motivation, um selbst Musik zu machen; aber die Leute verstehen das nicht. Sie reagieren meistens ungefähr so: „Was DU hörst Musicals? Das passt ja überhaupt nicht zusammen.“ Aber wenn man darüber nachdenkt, was Musicals sind… Diese ganze Percussion und das Geschichtenerzählen durch die Musik… Das hat mich sehr inspiriert.
Hast du auch Kunstmusik des 20. Jahrhunderts von Komponisten wie KARLHEINZ STOCKHAUSEN oder GYÖRGY LIGETI gehört?
Diese Sachen mag ich auch. Aber die Kombination von klassischer Musik und Metal ist zum Klischee geworden. Klassisch beeinflusster Metal klingt oft einfach nicht mehr neu. YNGWIE MALMSTEEN zum Beispiel ist quasi ein klassisch geschulter Musiker.
Wir haben von Anfang an versucht, diese Elemente nicht in unsere Musik zu integrieren. Aber jetzt, auf „Option Paralysis“ haben wir tatsächlich, durch Mike Garson, einige klassische Elemente verwendet. Ich glaube, wir waren zum ersten Mal in der Lage, das auf unsere eigene Art umzusetzen, ohne wie eine andere klassisch beeinflusste Band klingen.
Ich mag diese Art von Musik, aber ich war bisher sehr vorsichtig damit, um zu verhindern, dass wir klischeehaft klingen.
Meiner Meinung nach klingt die Kunstmusik des 20. Jahrhunderts zum Großteil nicht klischeehaft. Ich muss jetzt etwas mit musikalischen Fachbegriffen um mich werfen, damit du verstehst was ich meine. Ihr spielt zum Beispiel öfter chromatische Läufe in hoher Lage. Beide Gitarren spielen fast den selben Lauf, aber die eine Gitarre spielt immer genau einen Halbton tiefer, als die andere. Dadurch erklingt ständig das äußerst dissonante Intervall der kleinen Sekund [Anm. des Autors – Zwei Beispiele: Mit chromatischem Lauf in „Farewell, Mona Lisa“ ungefähr bei 1:20, ohne Lauf am Anfang von „Good Neighbor“]. Diese ständigen Dissonanzen erinnern mich an moderne klassische Musik [Anm. des Autors: wie zum Beispiel die Klavieretüden von GYÖRGY LIGETI].
Ja, das stimmt. Unsere Musik ist von solchem Zeug inspiriert, aber auch von einem Haufen Jazz und Fusion. Wir verwenden definitiv viele dieser Elemente. Außerdem ist einige Musik, die wir hören, ebenfalls von diesen Sachen beeinflusst. Es könnte also auch einen indirekten Einfluss geben.
Wie kommst du auf diese verrückten Riffs und musikalischen Texturen? Ich kann mir schwer vorstellen, wie du es schaffst solche irren Ideen zu haben und sie dann auch noch zu Songs zu verarbeiten.
Ich habe mich ehrlich gesagt nie als großartiger Gitarrist gefühlt. Ich würde mich auch nie hinsetzen und STEVE VAI-Songs einüben oder mir ein Gitarren-Magazin kaufen, um zu lernen wie man Sweeps spielt [Anm. des Autor: Eine Technik, die schnelles Solospielen ermöglicht]. Ich wollte nie der beste Gitarrist der Welt sein, sondern Teil der besten Band der Welt. Für mich ist die Gitarre ein Werkzeug, um die Musik zu machen, die ich im Kopf habe.
In letzter Zeit habe ich Songs auf dem Klavier geschrieben, zum Beispiel „Widower“ und „Parasitic Twins“ für das aktuelle und „Mouth of Ghosts“ für das letzte Album.
Aber die Gitarre war das erste Instrument, das ich gelernt habe. Ich konnte kein Material von anderen Leuten spielen, sondern habe einfach gemacht, was für mich interessant klang. Weil wir etwas Neues ausprobieren wollten, haben wir dann begonnen, die Regeln der Harmonielehre zu brechen. Wir verwendeten Klänge wie die kleine Sekunde anders, als es die Theorie erlaubt. Die Leute sind schöner klingende Harmonien gewohnt.
Chromatische Läufe klingen ebenfalls manchmal unangenehm. Es folgen Noten aufeinander, die üblicherweise nicht zur selben Tonleiter gehören. Das entspricht nicht den Hörgewohnheiten der breiten Masse. Wie gesagt: Kleine Sekunden sind auch sehr unangenehm, weil man dadurch eine Melodie absichtlich falsch klingen lässt.
Wir haben solche Sachen bewusst eingebaut, um die Leute anzupissen und um sie aufzuwecken. Es war uns als Band immer wichtig, es den Zuhörern nicht angenehm zu machen, denn das ist es, was momentan falsch läuft: Wir werden alle bequem.
Es gibt einen Haufen Musik im Radio, die bewusst griffig und einfach gehalten ist und keine Aufmerksamkeit erregt, also pure Hintergrundmusik. Und ich mag dieses Zeug. Das eine ist ein Handwerk, das andere ist Kunst. Ich mag Popmusik wirklich gerne, aber das ist nicht die Musik, die wir machen wollen. Wir wollen unangenehm sein und andere Aspekte des wahren Lebens darstellen. Wie ich schon sagte: Das Leben ist nicht angenehm und nicht immer einfach. Das war ein wichtiger Grund, warum wir angefangen haben Musik zu machen.
Andererseits habe ich mich schon immer fürs Schlagzeugspielen interessiert. Ich habe früher ein bisschen Jazz-Schlagzeug gelernt und denke insgesamt sehr rhythmisch. Wenn man viele unserer verrückten, schnellen Riffs verlangsamt hört man lateinamerikanische Rhythmen. Sie haben uns sehr beeinflusst.
Die Einstellung, die hinter Popmusik steht, unterscheidet sich aber schon stark von eurer, wie du gerade gesagt hast. Popmusik ist angenehm, damit die Hörer sie kaufen. Eure Musik wendet sich bewusst gegen diese Einstellung. Kannst du die Musik mögen, obwohl du mit ihrer Moral nicht einverstanden bis?
Ich glaube nicht, dass alles eine Moral haben muss. Wenn ich ins Kino gehe, sehe ich gerne Filme, über die ich stundenlang nachdenken kann. Aber ich finde auch, dass ich meine zehn Dollar Eintrittsgeld gut angelegt habe, wenn ich zwei Stunden lang nicht nachdenken musste und gut unterhalten wurde. Wahrscheinlich störe ich mich deswegen nicht an Popmusik. Aber es muss auch noch etwas anderes geben und das ist es, was wir machen.
Würdest du auf ein BRITNEY SPEARS-Konzert gehen?
Ich war auf einem BRITNEY SPEARS-Konzert. Es ist interessant diesen riesigen Produktionsaufwand zu sehen. Solange es einen Zweck hat, was sie machen – auch wenn der Zweck ist, die Leute zum Tanzen zu bringen – solange ist es eine Fähigkeit wie jede andere. Ich bewundere Leute, die Hits schreiben, mit denen sie viel Geld verdienen. Ob ich das wohl auch könnte? Ich könnte es zumindest nicht nur machen, sondern bräuchte einen Ausgleich. Popmusik zu schreiben ist eine Fähigkeit, ein Handwerk. Es ist nicht unbedingt Kunst.
Ich finde es interessant, dass ihr in eurer Musik melodische und disharmonische Elemente kombiniert. Auf diese Art und Weise pisst ihr gleichzeitig die Pophörer und die Metal-Fanatiker an.
Wer nur eine Art von Musik hört, den wollen wir nicht als Fan. Wir schreiben Musik, die wir mögen und hoffen, dass es Leute gibt, die den selben Geschmack haben. Wenn wir so verrückt und außergewöhnlich wären, dass uns niemand hören will, dann wäre das eben so. Aber bisher scheint es eine Handvoll Leute zu geben, die unsere Musik und ihrer Vielfältigkeit mögen. Deswegen gibt es uns seit über zehn Jahren.
Du hast gesagt, dass du kein guter Gitarrist bist, aber das kann ich nicht glauben. Wieviele Stunden übst du pro Tag?
Ich übe nicht wirklich Gitarre. Ich spiele einfach. Wie gesagt: Die Gitarre ist nur ein Werkzeug für mich. Man hat mich gefragt ob ich einen Lehrvideo machen oder ein Buch schreiben will, aber das interessiert mich nicht besonders. Ich würde lieber vier Stunden lang über meine Songwriting-Philosopie reden. Ansonsten habe ich wahrscheinlich nicht viel zu bieten.
Ihr seid bei einem neuen Label. Warum habt ihr euch für Season of Mist entschieden?
Wir waren über zehn Jahre lang bei Relapse Records unter Vertrag. Es ist ein tolles Label und eines der wenigen, die konsequent auf Qualität statt auf Quantität gesetzt haben. Das ist heute selten.
Relapse ist Teil einer Szene, in der man bestimmte Musik mit einem Label assoziiert und umgekehrt. Damit bin ich aufgewachsen. Ich kaufte alle Platten von Earache, Relapse und den alten Untergrund-Metal-Labels. Diese Verbindung zwischen Label und Szene gibt es heute nicht mehr. Das Internet vermischt alles und ruiniert die Szenen.
Es ist schön, dass es im Moment immer noch traditionelle Labels wie Relapse gibt, aber wir hatten bei ihnen einen traditionellen Plattenvertrag, der uns sehr einschränkte. Heutzutage muss man in geschäftlichen Dingen genauso kreativ sein wie bei der Musik. So hat sich die Musikindustrie nun mal entwickelt: Es ist für uns sehr wichtig geworden, wie wir unsere Musik präsentieren und in welcher Form wir sie den Leuten anbieten. Als der Vertrag mit Relapse auslief, war es uns wichtig mit der Entwicklung im Musikbusiness Schritt zu halten und neue Dinge ausprobieren zu können. Wir wollten nicht weitere zehn Jahre feststecken in einer Vermarktungsform, die nicht mehr relevant ist.
Die Leute bei Season of Mist haben das verstanden. Es waren alle möglichen Angebote auf dem Tablett, unter anderem auch ein Major-Label-Vertrag. Season of Mist gibt uns die Möglichkeit, parallel das Logo unseres eigenen Labels Party Smasher Inc. zu verwenden. Egal was passiert, dieses Logo wird in Zukunft auf allen unseren Veröffentlichungen zu sehen sein. Außerdem ist das Verhältnis mit Season of Mist mehr wie eine Zusammenarbeit auf gleicher Ebene. Der Labelbesitzer Michael S. Berberian hat eine sehr gute Vorstellung davon, wie wir unsere Produkte auf künstlerische Weise präsentieren und gleichzeitig unserer Bandethik folgen können. Er war vollkommen damit einverstanden, dass wir uns so darstellen, wie wir wollen. Deswegen sind wir sehr dankbar, dass wir mit ihm zusammenarbeiten können.
Glaubst du, dass die Bandmitglieder von THE DILLINGER ESCAPE PLAN so oft wechseln, weil es so anstrengend ist, in dieser Band zu sein?
Manche Leute glauben, dass wir uns absichtlich selbst sabotieren, weil wir Entscheidungen treffen, die uns für immer arm bleiben lassen. Die Wahrheit ist: Wir haben unsere eigenen Regeln. Sie unterscheiden sich von den Vorstellungen anderer Bands, aber ich bin Stolz, dass wir uns immer daran gehalten haben.
Aber es ist definitiv ein rauher Lifestyle. Im Erwachsenenleben gibt es viele Regeln, die man befolgen muss, um weiter zu kommen. Unseren Lebensstil macht das nicht gerade einfacher.
Jedes Mitglied hatte andere Gründe, die Band zu verlassen. Bei Einigen war es eine Verletzung, bei Anderen Lebensumstände, bei wieder Anderen weiß ich nicht einmal, was der Grund war. Das müssen sie beantworten. Es gibt also mehrere Antworten auf die Frage. Insgesamt würde ich aber sagen: Um in einer Band zu sein, die so fordernd ist wie unsere, braucht es eine Menge… Leidenschaft.
Vielen Dank für das Interview.
Danke auch, es war mir ein Vergnügen.
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