Kiss
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Interview
Der heutige KISS-Gitarrist Tommy Thayer muss sich vor gut sieben Jahren wie im Traum vorgekommen sein. Zwar als angesehener Studio-Musiker relativ gut im Geschäft – auch bereits auf der sogenannten KISS-Reunion-Scheibe "Psycho Circus" (1998) spielte Thayer einiges ein – und mit seiner Band BLACK N BLUE auch mit einigen hochklassigen Hardrock-Perlen am Start, war an eine derartige Karriere-Entwicklung lange nicht zu denken. Genauso unverhofft wie damals Thayer an seinen derzeitigen Job und die neue KISS-Scheibe "Sonic Boom" letztlich auf den Markt gekommen ist, so überraschend kam für uns nach einigen Absagen und Verschiebungen letztlich der langersehnte Interview-Termin mit einer, nein, DER größten Rockband der Welt: KISS! Mit einer derart guten und gleichermaßen die eigene Legende und die Moderne vereinenden Scheibe haben wohl auch die treuesten KISS-Anhänger nicht im Traum gerechnet. Nach einer interessanten Prozedur mit Geheimnummer, Pincode und vorgeschalteter Plattenfirmen-Dame war es endlich soweit. "Spaceman" Tommy Thayer plaudert entspannt und äußert sympathisch über die neue Show, die Erwartungen der Fans, seinen Vorgänger Ace Frehley und natürlich "Sonic Boom".
Tommy, lange habt ihr euch geweigert neues Material einzuspielen und immer auf die veränderte Situation auf dem Musikmarkt verwiesen, was viele Fans speziell in Europa jedoch nur bedingt nachvollziehen konnten oder wollten. Was genau gab den Ausschlag für das offensichtliche Umdenken?
Nun, das Umdenken bei Paul [Stanley] und Gene [Simmons, Anm. d. Verf.] fing an, als wir von der Europa-Tour letzten Sommer, die für uns großartig gelaufen ist, zurückkamen. Sie fühlten, dass die Band vielleicht besser denn je spielte und es sich einfach gut anfühlte. Das Bandgefüge funktionierte schlicht außergewöhnlich gut. Ich denke sie fühlten, dass die Zeit für neues Material gekommen war. Speziell in Europa kamen so viele junge Leute zu unseren Konzerten, die in Arenen und sogar Stadien stattfanden. Eine völlig neue Generation von KISS-Fans scheint geboren zu sein, was uns nicht verborgen geblieben ist. Alles hat plötzlich wieder Sinn gemacht.
Wann und wie genau sind die Songs entstanden?
Wir trafen uns Anfang des Jahres in ganz entspannter Atmosphäre in Pauls Haus und dann wenig später, als wir in Südamerika auf Tour waren, setzten Paul, Gene und ich uns beispielsweise in Hotelzimmern zusammen und haben Songs geschrieben. Es ist wohl die erste KISS-Platte überhaupt, die praktisch völlig ohne Außenstehende entstanden ist und ich denke, dass das auch der Grund dafür ist, dass die Scheibe so klingt. Keine Plattenfirmen-Leute oder Manager haben uns reingeredet. Sie haben die Songs erst gehört, als sie fertig waren. Das Ergebnis ist meiner Meinung nach ein rohes und pures Rock’n’Roll-Album, also KISS in Reinkultur. Die ganze Platte ist nur aus KISS heraus entstanden. Paul hat zudem einen hervorragenden Job als Produzent gemacht.
Du persönlich bist nun auch schon ein paar Jahre an Bord, dennoch vermute ich mal, dass „Sonic Boom“ auch für dich ein weiteres und enorm wichtiges Kapitel deiner Karriere einläutet, denn schließlich bist du erstmals offiziell auf einem KISS-Album zu hören…
Richtig, das kann ich nicht abstreiten. Dieser Umstand gibt mir letztlich mehr Glaubwürdigkeit. Als ich in die Band kam, hatte ich eine schwierige Situation vorgefunden, denn Ace ist sehr populär und plötzlich musste ich nicht nur sein Make-Up und Kostüm tragen, sondern versuchen diese Rolle auszufüllen. Ich bin sicherlich mit der Zeit und mit dieser Rolle gewachsen. Jetzt durch die neuen Songs kann ich selbstbewusster sein und leichter meine eigene Position finden. Es wird auch neue Kostüme geben, so dass dies auch optisch erkennbar wird. Ich bin dann nicht mehr der Ace-Klon, wenn du so willst. Nachdem auch der größte Ace-Fan das Material, also die Songs oder speziell die Soli auf „Sonic Boom“, gehört hat, wird erkennbar sein, dass spätestens jetzt kein Grund mehr für Kritik da ist.
„All For The Glory“ enthält, wie viele andere Songs auf „Sonic Boom“ auch, ein fantastisches Gitarren-Solo. Inwiefern fühlst du dich dennoch in den Fußstapfen deines Vorgängers und des Gründungsmitglieds Ace Frehley gefangen, auch was das Spielerische allgemein angeht? Oder anders gefragt, wie weit kannst du dich auch diesbezüglich individuell in der Band einbringen?
Grundsätzlich wäre es verkehrt in einer Band wie KISS, also mit einer derart riesigen History, das Gewesene zu leugnen. Ace war für den Sound von KISS mitverantwortlich und wir spielen viele der alten Nummern. Die Fans haben auch ein Recht, diese zu hören und zwar so, wie sie ursprünglich eingespielt wurden. Das hat nichts damit zu tun, dass ich ihn ein Stück weit kopiere. Das mache ich ganz bewusst und etwas anderes würde auch gar nicht funktionieren. Wie kann man nach KISS klingen, ohne phasenweise Ace‘ Gitarrensound zu haben? Auf der anderen Seite kamen immer erst KISS als Ganzes und dann Ace. Und glaube mir, ich bin mit KISS aufgewachsen. Ich habe diesen Sound schon immer geliebt und bin wegen ihnen überhaupt auf die Idee gekommen, Gitarre zu lernen. Ein Teil meiner Persönlichkeit ist durch KISS geprägt. Und am Ende machen wir es so genau richtig und alles fügt sich zu dem zusammen, was KISS nach wie vor ausmacht.
Sprechen wir mal über das neue Album generell. War es euch wichtiger den Geist der klassischen Kiss-Alben erneut einzufangen oder KISS mit „Sonic Boom“ quasi ins neue Millennium zu transportieren oder gar beides?
Ich denke, ein Stück weit ist beides zutreffend. Es befriedigt mich zu sehen, dass wir kein reines Retro-Album gemacht haben, sondern eine Scheibe, welche die gesamte KISS-Ära als Ganzes repräsentiert. Als Paul und Gene im Vorfeld aus der ersten Euphorie heraus angekündigt hatten ein KISS-Album wie „Love Gun“ und „Rock And Roll Over“ zu machen, haben sie recht, was einen Teil des Album angeht, jedoch finden sich darauf genauso Elemente aus den Achtzigern und sogar aus den Neunzigern.
Einige Stimmen behaupten, dass die Songs auf dem neuen Alben entgegen der Ankündigung wesentlich mehr nach den härteren Alben der Achtziger oder gar nach „Revenge“ aus dem Jahre 1992 klingen. Was antwortest du denen?
Ich sehe das auch so. Nimm beispielsweise „Modern Day Deliah“, hier treffen sich „Creatures Of The Night“ und „Revenge“. Wie ist deine Meinung?
Dem kann ich mich nur anschließen. Es hat eine gewisse Tradition, dass bei KISS jedes Bandmitglied zumindest einen Song singt. Nachdem du auf der letzten Tour – wie früher Ace – den Klassiker „Shook Me“ gesungen hast, ist auf der neuen Scheibe mit „When Lightning Strikes“ auch im Studio deine persönliche Feuertaufe als Sänger geschafft.
Ja, das stimmt. [lacht] Eines Tages riefen Paul und Gene an und schlugen vor, dass ich einen Song auf dem neuen Album singen soll. Ich hatte noch im Studio etwas als Lead-Sänger aufgenommen und war zwar geschmeichelt, aber auch angespannt, ob es funktioniert. Paul hat dann mit mir weiter an dem Song und dem Text gearbeitet und ich bin gut vorbereitet ins Studio gegangen. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis, zumal das eigentliche Aufnehmen sehr schnell ging. Die Vocals waren in etwas mehr als zwanzig Minuten im Kasten, ob du es glaubst oder nicht.
Ihr habt euch kürzlich an zahlreiche Band-Klassiker gewagt und diese neu eingespielt. Sie werden als Bonus-Disk der limitierten Version von „Sonic Boom“ beiliegen. Wie war es denn sich an Neuaufnahmen dieser „heiligen Songs“ zu wagen?
Oh, ja! Ich messe dem aber nicht so eine riesige Bedeutung bei, denn schließlich spielen wir die Songs bei jeder Show. Der Grund war vielmehr der, dass wir oft Anfragen für Song-Lizensierungen wie beispielsweise für Werbung erhalten, aber weil wir nicht die Rechte an allen Songs besitzen, immer Dritte, also die Labels kräftig mitverdienen. Nun sind viele Klassiker neu eingespielt, was uns diesbezüglich mehr Flexibilität und Unabhängigkeit beschert. Viele andere Bands haben das in letzter Zeit genau aus dem Grund auch getan. Wir haben die Stücke im Prinzip ohne große Mühe mehr oder weniger live im Studio eingespielt. Das war also keine große Sache.
Kannst du dich noch an den Moment erinnern, als dir klar wurde, dass du professioneller Musiker werden konntest und war das immer dein Traum?
Oh ja, das muss man so sagen. Gitarren haben mich von klein auf an fasziniert, weil sie so verflucht cool aussehen. Ich habe zwar früh angefangen, konnte mir aber zunächst nicht vorstellen, dass das mal mein Beruf werden würde. Die Vorstellung war reizvoll, aber ich habe nie alles auf eine Karte gesetzt, obwohl ich grundsätzlich in allem immer versuche, hundertzehn Prozent zu geben. Trotzdem ist das Ganze dann plötzlich einfach so passiert. Um ehrlich zu sein, habe ich mir vor ein paar Jahren nie im Leben vorstellen können, eines Tages in dieser Band zu sein. Ich habe zwar schon länger in verschiedenen Funktionen für sie gearbeitet, aber es war nie eine Option ihr Gitarrist zu sein. Diese Vorstellung hat meiner Zukunftsplanung absolut keine Rolle gespielt, weil es eben nicht realistisch war.
Tommy, was kannst du uns über die anstehende Show bzw. die Tour erzählen? Ihr seid ja momentan gerade in den Staaten unterwegs.
Zurzeit sind wir noch mit dem „KISS Alive 35“-Programm und der dazugehörigen Show unterwegs, führen diese also gerade zu einem Abschluss. Wir haben die letzten Shows mit „King Of The Night Time World“ begonnen, beginnen also schon leicht mit dem Umstellen der Setlist. Die neue Bühne, mit der wir dann im nächsten Jahr auch erneut nach Europa kommen wollen, ist nochmals 30 Fuß größer und besitzt noch mehr Gimmicks wie riesige Videoleinwände, eine noch aufwändigere Lightshow und dergleichen. Ihr dürft euch also auf eine wahrhaft spektakuläre Show gefasst machen. Es wird die größte KISS-Show aller Zeiten. Eine typische KISS-Show natürlich – nur mit viel mehr Stereoiden. [lacht]
Werden viele neue Songs den Weg in die in den letzten Jahren ja relativ fest zementierte und starre Setlist finden?
Momentan spielen wir nur „Modern Day Delilah“, aber wenn die Platte eine Zeit erschienen ist, werden sicher noch weitere hinzukommen. Nur übertreiben wollen wir es nicht, denn ein Großteil der Fans will die Band-Klassiker hören. Wenn du zu den STONES oder THE WHO gehst, willst du auch keine sechs neuen Songs hören, oder?
Das kann man sicher so sehen. Tommy, vielen Dank und ich freue mich auf eure kommende Tour!
Danke dir, Martin!
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