Sarah Chaker
Sarah Chaker

Interview

Black- und Death Metal. Der Sound. Der Markt. Die Szene. – Unter diesem Titel verfasst Sarah Chaker ihre Dissertation; nicht nur vom heimischen Schreibtisch aus, also vor der Stereoanlage sitzend und durchs Internet surfend, sondern die Musikwissenschaftlerin sucht die Begegnung mit den Menschen, welche die Szenen bevölkern und sie mit Enthusiasmus, Kreativität, Willensstärke und – wer hätte das geahnt? – Humor am Leben halten. Ihre an der Basis gewonnenen Erkenntnisse erweitern die sonst häufig engen Perspektiven auf Musik und Milieu, reflektieren zahlreiche Facetten der Szenen zwischen Faszinationskraft und Banalität, fordern vielleicht auch den Blick hinter die Kulissen des hoch gehandelten Undergrounds heraus. Nachdem Sarah hunderte Metal-Fans befragt hatte, war es unlängst an der Zeit, ihr selbst einige Antworten zu entlocken…

Sarah ChakerSarah, Du beschäftigst Dich seit einigen Jahren wissenschaftlich mit Death- und Black Metal, sowohl mit der Musik als auch mit den Menschen, die sie produzieren, hören und vermarkten. Dabei betonst Du, dass es Dir wichtig ist, diese aktuelle Musikphänomene auch als solche zu würdigen und zu dokumentieren – was macht denn Death- und Black Metal in erster Linie für Dich aus?

Für meine wissenschaftliche Arbeit ist nicht ausschlaggebend, was Black- oder Death Metal für mich persönlich ausmacht, sondern was diese Phänomene für ihre Anhänger bedeuten. Grundsätzlich handelt es sich bei Black- und Death Metal ja um zwei vielschichtige, komplexe Systeme, die sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten lassen, zum Beispiel als Musikstile, als Kulturen oder als spezifische Lebenseinstellungen. Ich möchte in meiner Doktorarbeit zu einer den Szenen angemessenen, wissenschaftlichen Darstellung von Black- und Death Metal gelangen, die etwas mit dem tatsächlichen Leben der Menschen dort zu tun hat. Dafür habe ich versucht, möglichst offen an die Phänomene Black und Death heranzutreten und herauszuarbeiten, was den Menschen in den Szenen an Black- und Death Metal eigentlich wichtig ist. Ich orientiere mich in meiner Doktorarbeit also am Relevanzsystem der Szenegänger, nicht an meinem eigenen. Konkret sieht das so aus, dass ich über Jahre hinweg intensiv in beiden Szenen Feldforschung betrieben, zahlreiche Interviews geführt und im Sommer 2007 eine große Fragebogenaktion auf zwei deutschen Festivals durchgeführt habe. Die Ergebnisse meiner Studien weisen darauf hin, dass sowohl für Black- als auch für Death Metal-Anhänger die Musik klar im Mittelpunkt ihres Interesses steht. Daher macht es Sinn, Black- und Death Metal in erster Linie als zwei musikalische Phänomene zu betrachten, um die herum sich zahlreiche weitere Themen und Interessen gruppieren, die oft nichts mit der Musik zu tun haben, also „außermusikalische“ Bedürfnisse befriedigen. Vielleicht kann man sich Black- oder Death Metal-Musik als eine Art Kit oder Klebstoff vorstellen, der die vielen verschiedenen Bruchteile der komplexen Systeme Black Metal und Death Metal als Ganzes erst ermöglicht und zusammenhält.

Wie hat sich Deine Wahrnehmung von Musik und Menschen in den letzten Jahren geändert, nachdem Du eben nicht nur als „aktiver Fan“ in den Szenen unterwegs warst?

Ich denke, dass ich heute in der Lage bin, beide Phänomene sehr differenziert zu betrachten, was damit zusammenhängt, dass ich über die Jahre hinweg in den Szenen ganz unterschiedliche Positionen eingenommen habe und mir so viele verschiedene Blickwinkel aneignen konnte. Am Anfang stand die begeisterte Musikliebhaberin und Konzertbesucherin, später kamen Erfahrungen als DJ und Veranstalterin hinzu, schließlich die Rolle der distanziert beobachtenden Wissenschaftlerin. Ich muss sagen, dass meine wissenschaftliche Betätigung eine gewisse Entzauberung von Black- und Death Metal mit sich brachte. Es ist ähnlich wie mit einem Gedicht, das man aus unerklärlichen Gründen ganz wunderbar fand, bis man begann, es systematisch in alle denkbaren Einzelteile zu zerlegen und zu analysieren. Von da an liest man es mit anderen Augen und der ursprüngliche Zauber ist unwiederbringlich dahin. Man versteht am Ende mehr, fühlt aber weniger. Dieser empathische Verlust ist einerseits für meine wissenschaftliche Arbeit hilfreich, weil ich so zu beiden Szenen den nötigen Abstand gewinnen konnte, um diese distanziert und kritisch zu betrachten. Auf der anderen Seite bedauere ich diese „Entzauberung“ insofern, als dass für mich persönlich ein völlig unbefangenes Konzerterleben momentan nicht mehr möglich ist. Auf Konzerten, Partys oder Festivals kann ich es einfach nicht lassen, im Geiste die Umgebung einzuscannen und die Musik in alle möglichen Einzelteile zu zerlegen. Die Sozialwissenschaftlerin Anne Honer hat also vollkommen Recht, wenn sie behauptet, dass kein Wissenschaftler aus seinem Forschungsfeld je wieder so herauskommen wird, wie er hineingegangen ist. Die Erlebnisse im Feld schlagen immer irgendwie auf das Leben und Erleben des Wissenschaftlers zurück. Mittlerweile habe ich mich aber mit dieser Situation ganz gut arrangiert und als Berufsrisiko verbucht.

Einige Szenegänger, insbesondere im Black Metal, beharren darauf, dass eine journalistische oder gar wissenschaftliche Beschreibung ihrer Musik und der Szene dahinter von vorneherein unmöglich ist. In ihrer Abwehrhaltung bestätigt werden sie durch die von Vorurteilen geprägte Berichterstattung in vermeintlich professionellen Medien oder zweifelhafte Recherchen und Analysen von politisch keineswegs neutralen Wissenschaftlern. Wie kommst Du trotzdem nah an die Szenen heran und was verleiht Deiner Studie Glaubwürdigkeit?

Die von Dir geschilderte Abwehrhaltung mancher Black Metal-Fans deute ich als eine Art Schutzbehauptung. Wer lässt sich schon gerne in die Karten schauen? Des Weiteren habe ich den Eindruck, dass viele Szenegänger journalistischen oder wissenschaftlichen Arbeiten oft mit ziemlich überzogenen Erwartungen gegenübertreten und am Ende natürlich enttäuscht sind, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden.
In meinen Augen stellt sich gar nicht die Frage, ob Black Metal oder Death Metal sich journalistisch oder wissenschaftlich darstellen lassen – die massenmediale Berichterstattung über Black Metal sowie einzelne wissenschaftliche Artikel zeigen ja, dass das sehr wohl geht. Es fragt sich nur, wie gut oder wie schlecht. Was tatsächlich unmöglich ist, ist Black- oder Death Metal in ihrer ganzen Komplexität in einer Abhandlung von ein paar Seiten eins zu eins abzubilden. Wissenschaftliche Arbeiten können immer nur Ausschnitte aus der Realität wiedergeben, es muss abstrahiert, fokussiert, verkürzt und zusammengefasst werden, um zu einer verständlichen Gesamtinterpretation gelangen zu können, die auch solche Menschen verstehen, die den Szenen nicht angehören – das ist letztendlich der Sinn wissenschaftlicher Forschung. Man könnte also sagen, wissenschaftliche Arbeit erbringt eine Art „Übersetzungsleistung“ und einen Erkenntniszugewinn für die Menschen in Wissenschaft und Gesellschaft, die etwas über Black oder Death Metal erfahren wollen, ohne selbst Teil der Szenen zu sein. Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich schreibe zwar eine wissenschaftliche Arbeit über Black und Death Metal Anhänger, tue dies aber nicht in erster Linie für sie. Was für einen Sinn sollte es schließlich machen, den Szenegängern ihre eigene Szene erklären zu wollen? Sie selbst kennen und verstehen diese schließlich am besten.
Viel interessanter als die Frage, ob sich Black- oder Death Metal beschreiben und analysieren lässt ist die, wie man sich diesen Phänomenen am besten nährt, um zu angemessenen Ergebnissen zu gelangen, wobei ich unter „angemessen“ eine Art und Weise verstehe, die versucht, sich so nahe wie möglich an den Realitäten in den Szenen zu orientieren. Genau diesem Anspruch genügen aber viele journalistische und wissenschaftliche Arbeiten nicht, was zu den bekannten oberflächlichen Berichterstattungen über Black oder Death Metal führt.
Wie kommt man nun zu „angemessenen“ Ergebnissen? In meinen Augen zum Beispiel dadurch, dass man sich an bestimmte Grundregeln hält, wie: Sei offen und stelle persönliche Vorurteile und Vorwissen zurück, suche den persönlichen Kontakt zu den Menschen im Feld, lasse Dich ehrlich auf die Menschen ein, lerne die dortige Sprache und halte Dich an die dort gültigen Gesetzmäßigkeiten, sei kritisch, aber nicht respektlos, versuche, die Welt aus der Sicht der Anhänger zu erfassen und reflektiere regelmäßig Deine persönlichen Verwicklungen ins Forschungsfeld. Das alles hört sich einfacher an, als es zu realisieren ist, denn dafür braucht man neben einer Menge Selbstvertrauen und Ausdauer vor allem zwei Dinge: viel Zeit und viel Geld – beides in der Regel Mangelware im journalistischen und im wissenschaftlichen Bereich. Ich bin in der glücklichen Situation, durch ein Leistungsstipendium wirklich unabhängig und frei forschen zu können. Ich schreibe für niemanden eine Auftragsarbeit, die mit bestimmten Interessen zu korrelieren hat, ich bin weder religiösen Institutionen noch politischen Organisationen verpflichtet – das alles sind ideale Voraussetzungen, um eine wissenschaftliche Arbeit über Black Metal und Death Metal mit glaubwürdigen Ergebnissen liefern zu können.

Welche Ergebnisse Deiner Arbeit magst Du bereits jetzt mit uns in aller Kürze teilen?

Die Hauptthese, die aus meinen qualitativen Beobachtungen resultiert, lautet, dass die deutschen Black- und Death Metal Anhänger nicht eine gemeinsame Szene bilden, sondern zwei unterschiedliche Szenen ausprägen, jede mit ihrer eigenen Geschichte, mit eigener Musik, mit eigenen inhaltlichen Schwerpunkten, mit eigenen Philosophien, mit eigenen „Gesetzen“, mit eigenen Massenmedien, mit eigenen Events usw. Ihre Gemeinsamkeiten beziehen beide Phänomene aus ihrer engen historischen Verwandtschaft. Trotzdem ist es so, dass sich Black Metal und Death Metal im Verlauf der Zeit eigenständig und immer stärker auseinander entwickelt haben, ähnlich wie das bei Geschwistern der Fall ist. Sie haben gemeinsame Vorfahren und sind trotzdem eigenständige Persönlichkeiten mit individuellem Charakter. Viele Berührungspunkte zwischen beiden Szenen, die es zweifelsohne gibt, sind pragmatischer Natur und nicht freiwillig. Manche Konzertveranstaltungen können beispielsweise nur durch ein gemischtes Line-Up aufrechterhalten werden, so dass ein Event sowohl für Black- als auch für Death Metal-Anhänger attraktiv ist, der Publikumsradius auf diese Art also entsprechend erweitert wird. Es ist nun natürlich so, dass die meisten Anhänger musikalisch nicht eingleisig fahren und auch noch jede Menge anderer Musik hören, vor allem aus dem Rockbereich. Aus den Fragebogendaten geht außerdem hervor, dass viele Black Metal-Anhänger auch mal Death Metal hören und umgekehrt. Trotzdem sind die meisten Szenegänger im Herzen entweder Black Metal-Fan oder Death Metal-Anhänger, die es häufig darauf anlegen, sich deutlich voneinander abzugrenzen.
Hier noch ein paar statistische Daten aus der Fragebogenerhebung: Ich werde den Lesern wahrscheinlich nichts Neues erzählen, wenn ich nachweise, dass sowohl die Black- als auch die Death Metal-Szene ganz klare Männerdomänen sind (Männeranteil lag bei über 80 Prozent). Die Frage, warum das so ist, ist hochinteressant und lässt mehrere Interpretationsmöglichkeiten zu, die ich hier aus Platzgründen nicht ausführen kann. Nur so viel: Möglicherweise sind beide Szenen für Männer eine Art Nische oder Spielwiese, in der sie, von Frauen weitgehend ungestört, unter sich sein können und dann dort all das tun können, was Männer ihrer Meinung eben so tun sollten: Musik hören und/oder machen und sich dabei in der Leistung messen, dazu möglichst viel Bier trinken und sich unanständige Witze erzählen. Sich immer wieder die gleichen „Helden-Geschichten“ von anno dazumal erzählen, um das Gemeinschaftsgefühl unter ihnen zu stärken. Sich ordentlich daneben benehmen, um den Kühnsten unter ihnen auszumachen. Dieses „Imponiergehabe“ gilt nun interessanterweise nicht den wenigen Frauen vor Ort, sondern immer ihresgleichen. All diese Wettbewerbe und Aufplusterungsversuche drehen sich im Prinzip stets um die gleiche Frage: Was muss ich tun, um von den anderen Männern als Mann anerkannt zu werden?
Die nächsten Ergebnisse kann ich hier nur ganz kurz anreißen: Die Fragebogendaten zeigen, dass die meisten deutschen Black und Death Metal Anhänger im durchschnittlichen Alter von knapp 16 Jahren zu Black bzw. Death Metal kommen, der erste Kontakt wird meist über Freunde hergestellt. Zum Zeitpunkt der Befragung, also im Sommer 2007, waren die Death Metal-Anhänger im Schnitt knapp 26 Jahre alt, die Black Metal-Fans waren gut zweieinhalb Jahre jünger, also im Schnitt gut 23 Jahre. Das zeigt uns zwei wichtige Dinge: Erstens: Weder bei der Black Metal-Szene noch bei der Death Metal-Szene handelt es sich um Jugendszenen im eigentlichen Sinne, sondern um Szenen, die überwiegend aus jungen Erwachsenen bestehen. Zweitens: Die Zugehörigkeit zu den Szenen erstreckt sich über weite Zeiträume hinweg. Im Death Metal dauerte die Szenezugehörigkeit im Schnitt zum Zeitpunkt der Befragung bereits über zehn Jahre an, bei den Black Metal-Anhängern waren es immerhin schon siebeneinhalb Jahre, was mit deren jüngerem Durchschnittsalter zusammenhängt. Die lange Szenezugehörigkeit ist im Vergleich zu anderen Szenen ungewöhnlich und betont meines Erachtens den Wunsch vieler Anhänger nach Beständigkeit und nach langen, intensiven Bindungen.
Ich kann mit den Ergebnissen meiner Doktorarbeit außerdem nachweisen, dass Black- und Death Metal Anhänger keineswegs „sozial unterprivilegiert“ sind, wie ihnen oft unterstellt wird, sondern dass sie überdurchschnittlich gebildet sind. Über 50 Prozent der Death Metal-Anhänger und fast 40 Prozent der Black Metal-Anhänger haben Abitur. Das heißt übrigens nicht, Black Metal-Anhänger wären dümmer, sondern sie sind, wie oben erwähnt, im Schnitt gute zweieinhalb Jahre jünger, d. h. viele von ihnen gehen momentan noch zur Schule und machen ihre Abitur erst noch. Die Daten zeigen außerdem, dass die meisten Black- und Death Metal-Anhänger eine glückliche Kindheit verlebt haben und überwiegend aus stabilen sozialen Verhältnissen der bürgerlichen Mittelschicht stammen. Insgesamt gibt es keine Hinweise darauf, dass der Konsum von so genannter „aggressiver Musik“ zu asozialem oder aggressivem Verhalten führt, wie von Außenstehenden häufig gemutmaßt wird.
Zum Schluss vielleicht noch ein Wort zu politischen Einstellungen in beiden Szenen. Ich habe im Fragebogen die so genannte „Sonntagsfrage“ gestellt: „Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre?“ 9,6 Prozent der befragten Black Metal-Anhänger haben angegeben, rechte Parteien wie NPD, DVU oder REP wählen zu wollen, in der Death Metal-Szene sind es 2,7 Prozent. Die Partei DIE LINKE. käme in beiden Szenen auf über 10 Prozent. Die traditionellen Volksparteien sind in der Black Metal-Szene fast chancenlos (z. B. CDU/CSU: 3,2 Prozent), bei den Death Metal-Fans schafft es die SPD immerhin noch auf 19,5 Prozent. Gut ein Fünftel aller Beteiligten haben angegeben, aus Prinzip nicht zur Wahl zu gehen.


Sarah Chaker
Sarah mit SUFFOCATE BASTARD – Photo by David Adamietz

Nicht selten verkörpern Musiker Träume von Jugendlichen und auch jungen Erwachsenen, wie vor allem bei Boy-Bands und deren Reunions deutlich wird. Hast Du eine Ahnung, welche Träume und Wünsche auf Musiker im Death- und Black Metal projiziert werden und ob es dabei geschlechterspezifische Unterschiede gibt?

Zumindest in musikalischer Hinsicht übernehmen Musiker für viele Black und Death Metal Fans sicherlich eine Vorbildfunktion. Sie zeigen eine Leistung, für die sie von ihren Fans bewundert werden. Das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen. Sie setzen musikalische Standards, an denen sich jede neue Black- oder Death Metal-Platte messen lassen muss und an denen sich die Anhänger, die selbst musikalisch aktiv sind, abarbeiten können. Sie sind in musikalischer Hinsicht für ihre Fans gleichzeitig Quelle der Inspiration als auch Ansporn, es eines Tages vielleicht genau so gut oder sogar besser zu machen als ihre Vorbilder.
Ansonsten ist zu bedenken, dass die meisten Black- und Death Metal-Anhänger keine pubertierenden Jugendlichen mehr sind, die sich noch in der Phase der Identitätssuche befinden und ihren Stars in vielen Belangen unreflektiert nacheifern, sondern junge, erwachsene Persönlichkeiten, die bereits weitgehend gefestigte, individuelle Standpunkte vertreten. Den meisten Black- und Death Metal-Anhängern ist es ziemlich egal, welche Einstellungen und Haltungen die Musiker privat vertreten, was übrigens auch erklärt, warum viele Fans kein Problem mit Musikern haben, die politisch oder religiös extrem eingestellt sind, solange sie ihre persönlichen Meinungen aus der Musik raushalten. Hauptsache, sie machen gute Musik.

Der amerikanische Szene-Photograph Peter Beste hat im Hinblick auf das von ihm portraitierte Gangsta-Rap-Milieu auf die vergleichsweise höflichen Umgangsformen und die niedrige Aggressivität der Menschen in der Black-Metal-Szene hingewiesen. Welche Eindrücke hast Du gewonnen und gab es Erlebnisse, die Dich selbst haben wütend werden oder aber auch auflachen lassen?

Beide Erfahrungen von Beste kann ich bestätigen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie friedlich und gemütlich die Festivals verlaufen, bedenkt man die rauen Mengen an Alkohol, die dort täglich fließen. Ich werde nie vergessen, wie ich im Sommer 2007 auf dem Campinggelände eines völlig verregneten Festivals mit einem riesigen Rucksack und mehreren Plastiktüten unterwegs war, um dort einige hundert Fragebögen an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Ich konnte das ganze Zeug fast nicht schleppen und der Boden war so durchgeweicht, dass ich beim Laufen meine Stiefel kaum aus dem Schlamm ziehen konnte. Ich fluchte innerlich fürchterlich und dass die Befragung am Ende dennoch erfolgreich durchgeführt werden konnte, verdanke ich der Hilfsbereitschaft und der Gastfreundschaft vieler Black und Death Metal Anhänger. Es fanden sich immer wieder Leute, die bereit waren, mir beim Tragen der vielen Tüten behilflich zu sein oder in deren Zelt ich die ausgefüllten Fragebögen lagern durfte, damit sie nicht Opfer der Fluten wurden. Die Durchführung der Befragung kann man sich so vorstellen, dass ich bei jedem Zelt und bei jedem Pavillon, das mir auf dem Campinggelände in die Quere kam, anhielt und versuchte, die Leute dort für meinen Fragebogen zu begeistern. Fast überall reagierten die Leute offen und freundlich, oft luden sie mich ein, in einem Campingstuhl Platz zu nehmen, um mich ein bisschen ausruhen zu können und einige bestanden sogar darauf, mit mir auf das Gelingen der Arbeit mit einem Bier anzustoßen. Frag mich nicht, wie es mir am Abend ging… An dieser Stelle auf jeden Fall noch mal vielen Dank an alle, die mir so bereitwillig geholfen und an der Fragebogenaktion teilgenommen haben!

Wie ist es generell um Humor und vor allem Ironie in den Szenen bestellt? Anlässe gibt es genug, seien es Kater und Nackenstarre am Morgen danach, lustige Kriegsbemalungen oder die im Moshpit eingefangenen Beulen…

In beiden Szenen wird gerne und viel gelacht, wenn auch im Black Metal etwas verhaltener, was sicherlich mit der selbst auferlegten ernsten Attitüde zusammenhängt. Schwarzer Humor ist sehr wichtig, ich finde es aber auch immer wieder schön zu beobachten, wie kindlich sich viele Black und Death Metal Anhänger über irgendwelche banalen Albernheiten freuen können. In punkto Selbstironie würde ich sagen, dass die Death Metal Anhänger leichter über sich selbst lachen können als die Black Metal Anhänger, zum einen, weil sie sich selbst und ihre Szene weniger ernst nehmen, zum anderen, weil Death Metal Anhänger seltener Opfer von Spott und Häme durch Andere werden als Black Metal Fans, da die Aufmachung im Death Metal Bereich viel unauffälliger ist. Ich habe oft darüber nachgedacht, ob sich Grindcore nicht vielleicht als eine ironische Variante des Death Metal denken lässt. Schließlich werden dort viele Death Metal Konzepte dermaßen radikal auf die Spitze getrieben und übertrieben, dass sie ins Komische und Groteske umschlagen. Gewissermaßen können sich Death Metal Anhänger bei Grindcore Konzerten auf der Bühne selbst beim Handeln zusehen und ihr Verhalten durch die Brille des Komischen reflektieren.

Death- und Black Metal galten anfangs als extreme Varianten des etablierten Heavy Metal. Vor allem Metal-Journalisten stellen heute die Frage, in welche Richtung noch Grenzen verschoben werden können; sei es technisch, künstlerisch oder ethisch. Wenn die Bild-Zeitung aus Bushidos Selbstbedienung bei Black-Metal-Bands massenkompatible Schlagzeilen formuliert, aus denen die boulevard-typische Blutlust tröpfelt, was soll dann noch tatsächlich erstaunen oder gar schockieren? Welche neuen Impulse lassen sich im Death- und Black Metal vielleicht entwickeln?

Generell mache ich mir keine Sorgen, dass es keine neuen, interessanten musikalischen Entwicklungen in Zukunft geben wird. Jede Zeit hat ihre Musik, und jede Musik hat ihre Zeit und ich denke, die Sanduhr für Black und Death Metal ist so gut wie abgelaufen. Das zeigt sich zum einen darin, dass es in den letzten Jahren kaum nennenswerte Neuerungen in diesen Bereichen gegeben hat, zum anderen weist das hohe Durchschnittsalter der Szenegänger darauf hin, dass es an Nachwuchs fehlt, der an dieser Musik interessiert ist. Die Welt hat sich in den letzten Jahren ökonomisch, politisch, aber auch und vor allem technisch dermaßen verändert, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es eine neue Musik gibt, die Black und Death Metal gründlich in den Schatten stellen wird. Wahrscheinlich basteln gerade jetzt irgendwelche fünfzehn- oder sechzehnjährigen Freaks an ihren heimischen Computern an der musikalischen Revolution. Wenn man bedenkt, dass sich die ersten Black und Death Metal Fans noch Kassetten zugeschickt haben, um miteinander über ihre Musik kommunizieren zu können, merkt man, wie viel sich technisch in den letzten Jahren getan hat – und das wird sich früher oder später kulturell niederschlagen. Grundsätzlich bin ich sehr optimistisch, dass sich in den nächsten Jahren allerhand Interessantes im musikalischen Untergrund tun wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass Black und Death Metal wichtige Impulsgeber für neue musikalische Entwicklungen sein werden – Neues entsteht schließlich nicht aus dem Nichts heraus, sondern aus der Kombination von bereits vorhandenem Material mit neuen Elementen. Ob das Ganze in ein paar Jahren dann noch unter dem Etikett Black Metal oder Death Metal verhandelt wird oder unter neuem Namen, ist mir eigentlich egal – es geht ja schließlich um den Inhalt.

So nostalgisch auch einige Underground-Viecher veranlagt sein mögen: selbst Death- und Black Metal sind längst im neuen Jahrtausend, sprich im Zeitalter von MySpace, Pro Tools und Photoshop angekommen, Retro-Welle hin oder her. Wie werden die neuen technischen Möglichkeiten Deiner Ansicht nach genutzt und wie verändert sich der Underground dadurch?

Gerade für den Underground-Bereich sind die neueren technischen Entwicklungen ein echter Segen. Kleinere Bands, die überwiegend regional agieren und ein finanziell begrenztes Budget haben, haben heute die Möglichkeit, auf sehr günstige Weise für sich zu werben und ihre Produkte einer großen Allgemeinheit anzubieten. Auch die Kontaktaufnahme zu Gleichgesinnten in der ganzen Welt ist heute viel einfacher als früher (Stichwort Tape-Trading). Darüber hinaus kann mittlerweile fast jede Band mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand eine qualitativ überzeugende Platte aufnehmen. Die Möglichkeiten, selbst musikalisch aktiv zu werden und Neues kennen zu lernen, haben sich durch den technischen Fortschritt deutlich verbessert. Das begrüße ich, weil ich es wichtig finde, junge Menschen dazu anzuregen, selbst zu handeln, anstatt nur zu konsumieren. Auf der anderen Seite ist es schwierig, den Durchblick bei dem riesigen Angebot, das das Internet heutzutage zur Verfügung stellt, zu bewahren. Ich könnte mir vorstellen, dass sich in Zukunft die einzelnen Szenen im Underground noch weiter ausdifferenzieren und verfeinern werden.

Zu guter Letzt: bei welchen Metal-Alben stehen Dir aktuell sowie auf immer und ewig die Nackenhaare zu Berge?

Bei sämtlichen MANOWAR-Alben – das ist mir einfach viel zu protzig und pathetisch.

Danke für Deine Bereitschaft zum Verhör und Glück auf!

17.01.2009

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