Virus
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Interview
Hallo Carl-Michael. Ich freue mich, dass Du nach Deinem schweren Sturz von einem Dach vor dreieinhalb Jahren nun wieder voll zurück bist, weiterhin Musik machst und veröffentlichst! Hat dieser Unfall die Art und Weise, wie Du komponierst, verändert? Hast Du Gedanken dazu auf Deinem aktuellen Album verarbeitet?
Ich habe immer Musik gemacht, und ich habe absolut keine Ahnung, welchen psychologischen Einfluss das auf mich gehabt haben mag. Die Dinge gehen jetzt langsam wieder ihren normalen Lauf, und was für mich normal ist, ist Musik zu machen und sie aufzunehmen. Ob der Unfall mich verändert hat… ja, das hat er sicherlich, aber das ist unausweichlich für jeden, der etwas wie einen Unfall oder eine schwere Krankheit durchmacht. Wenn sich das in der Musik niederschlägt, findet das allerdings nur auf einem unbewussten Level statt.
Nachdem Du Dich 2006 von Deinem Unfall erholt hattest, haben sich VED BUENS ENDE reformiert, aber kurz danach 2007 wieder aufgelöst. Warum hattet Ihr die Band reaktiviert? Aus nostalgischen Gründen, um die Zeit der Neunziger Jahre nochmals zu durchleben?
Wir hatten eine kurze Reunion 2006, aber es hat einfach nicht geklappt. Vikotnic und ich haben uns musikalisch auseinander entwickelt, und wir konnten zu dieser Magie von früher einfach nicht mehr zurück finden. Wir schwingen verschieden. Die Songs, die wir zusammen gemacht haben, waren durchschnittlich, und die, die wir getrennt geschrieben haben, zu verschieden. Die Idee zur Reunion war also in erster Linie ein großer Fehler.
Würdest Du Dich generell als nostalgische Person bezeichnen, oder eher als jemanden, der nur in die Zukunft blickt? Oder beides? Oder nichts von beidem? Was hat sich für Dich geändert, wenn du das Musikmachen heute mit dem von vor 15 Jahren vergleichst?
Heutzutage schaue ich nur geradeaus, ich mache Musik und bin allgemein gerade dabei, mein Leben so zu organisieren, wie ich es gerne hätte. Von irgendeiner Szene nehme ich absolut nichts wahr, ich lebe sehr zurückgezogen. Ich gehe nicht raus, und ich bin kein Teil von irgendetwas.
„The Black Flux“ ist das zweite VIRUS-Album, und es unterscheidet sich ziemlich von dem 2003er „Carheart“. Für mich ist es eigentlich der dreizehn Jahre ältere Bruder von „Written In Waters“. Auch wenn sich das Line-Up im Vergleich zu dem von vor fünf Jahren nicht geändert hat (Du spielst immer noch Gitarre und singst), klingen VIRUS nun doch wie die alten VED BUENS ENDE. Ist das eine Kompensation, eine bewusste Entscheidung, eine natürliche Entwicklung… ?
Das Album besteht aus der ganzen Musik im Avantgarde-Stil, die ich seit „Written In Waters“ geschrieben habe. Eines der Riffs ist 15 Jahre alt. Wenn ich diese Musik mache und so singe, wie ich singe, klingt es eben genau wie dieses Album. Als wir „Carheart“ gemacht haben, war VIRUS eher ein Projekt als eine Band. Die Musik, die ich jetzt für „The Black Flux“ geschrieben habe, hat also gewisse Intentionen. Wir wollten das Album über alle Maßen atmosphärisch haben. „The Black Flux“ ist aus dem Instinkt heraus entstanden, genau wie damals die VED BUENS ENDE-Veröffentlichungen.
Bis jetzt konnte ich leider keine Texte des Albums auftreiben, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie wirklich – wie Ihr bei Myspace behauptet – von Hunden und Autos handeln. Offenbar sind sie trotzdem hochgradig metaphorisch. Worum geht’s?
Die Texte sind dazu da, die musikalische „Landschaft“ zu komplettieren. Ich bin kein Poet, Texte zu schreiben ist nicht das, was ich bei der ganzen Sache am liebsten mache. Diesmal habe ich ungefähr die Hälfte der Texte zusammen mit Khvost von DHG und mit Amniotic Sac geschrieben. Den Rest habe ich versucht selbst zu schreiben, bin aber, wie immer, nicht zufrieden damit. Ganz im Gegensatz zu denen, die wir zusammen verfasst haben. Die Jungs haben mir wirre Zusammenstellungen von Wörtern geschickt, und ich habe sie zur Musik modelliert. Ich bin vielleicht so eine Art Regisseur. Mir kommt es darauf an, dass sich das Gesamtwerk richtig anfühlt. Das Album ist gespickt mit Metaphern, aber das sollen die Hörer selbst herausfinden. Es ist eine subjektive Sache, dieses Album. Sehr introvertiert.
Bis vor ein paar Wochen war ich mir sicher, dass ein Album wie „Written In Waters“ einzigartig sein und bleiben würde. Auch war ich der Ansicht, dass es vermutlich ein Produkt der Improvisation talentierter Musiker ist. Du hast mit „The Black Flux“ bewiesen, dass ich da kapital falsch lag. Komponierst und arrangierst Du doch rationaler, als man annehmen möchte?
Ich mache die Riffs und ein paar grobe Arrangements, dann jammen und proben wir zusammen, bis wir etwas haben, das man einen Song nennen könnte. Dann müssen immer noch die Vocals eingepasst werden, was wir grundsätzlich im Studio machen. Wir proben niemals mit Gesang. Wir improvisieren auch niemals. Du hast also Recht – ja, ich bin ein rationaler Komponist, und wir sind eine rationale Band, die irrationale Musik macht. Andere Musik, mit der ich arbeite, hat einen festen Genre-Rahmen, innerhalb dessen es gewisse „Regeln“ gibt. Die Musik, die in VIRUS entsteht, kommt aber aus heiterem Himmel. Ich weiß wirklich nicht woher. Ich mag diese vertrackten Harmonien einfach.
Auf „The Black Flux“ habt Ihr einen hochgradig zeitlosen, organischen Sound, der für mich einen schwarzen, fließenden Strom aus Wasser oder jeder denkbaren Form von Energie repräsentiert. Was habt Ihr an Instrumenten benutzt? Ich denke, es ist durchaus interessant, sich intensiver mit einem Sound zu beschäftigen, der nicht einfach nur hochgradig komprimiert ist.
Wir haben einen Produzenten, Bård Ingebrigtsen, der so etwas wie ein viertes Bandmitglied ist. Wir schwingen exakt gleich, wenn es um den Sound geht, und er hatte einen sehr großen Einfluss auf dieses Album. An Instrumenten haben wir neben den üblichen Gitarren, Bässen und Gitarren auch ein Piano, Violine, Bariton-Gitarre und einige Percussions. Wir haben ganz strikt nur organische Instrumente benutzt, es gibt KEINE Synthesizer oder ähnlichen Scheiß auf dem Album, und das wird auch niemals geschehen. Wir wollten eine Menge „Luft“ in der Produktion, also das genaue Gegenteil von einem komprimierten Sound. Kompromierte Produktionen sind linear, ohne irgendwelche Nuancen irgendwo. Das ist einfach nur langweilig und auch der Hauptgrund, wieso ich in den letzten zehn, zwölf Jahren überhaupt kein Interesse mehr an neuem Metal habe – das klingt einfach alles gleich.
Ihr verarbeitet eine große Bandbreite an Stilen, von klassischem über psychedelischen Rock, Stoner Rock, Avantgarde und Prog Rock bis hin zu Swing, Neoklassik und Ambient-Einflüssen. Darin unterscheidet sich VIRUS extrem von AURA NOIR, wo es nur lupenreinen Black und Thrash Metal zu hören gibt. Du wirkst in beiden Bands absolut authentisch, so wie Du es in jeder Deiner Bands warst oder bist. Wie kannst Du zwischen Aggressor, dem Bier liebenden Metalhead, und Czral, dem visionären Avantgardemusiker „umschalten“?
Was wir bei AURA NOIR machen, fließt in meinen Adern. Wir spielen die Musik, mit der wir aufgewachsen sind, die wir entdeckt haben, als wir uns das erste Mal bewusst mit Musik beschäftigt haben. Da sind wir sehr strikt.
Ich weiß wirklich nicht, woher dieses Avantgarde-Zeug kommt. Avantgarde kommt aus dem Nirgendwo. Wie dem auch sei, ich schulde meiner Tante Elizabeth eine Menge Dank dafür, dass sie mich an Musik von THE RESIDENTS, DE-PRESS und HOLY TOY herangeführt hat, und an ein wenig klassische Musik, als ich ein Kind war. Mich hat diese Avantgarde schon parallel zu meinem Entdecken von VENOM oder SLAYER fasziniert. Ich habe echt Glück gehabt, dass man mich in die Musik eingeführt hat, als ich klein war, und nicht in irgendwelche Sportarten. Ich wäre ein wirklich mieser Sportler. Kein Wunder, ich rauche ja auch extreme Mengen von äh… hasjisji. Nein, Scherz. Ja doch, eigentlich ist es wahr. Nein, es ist ein Witz. Nein, es ist wahr. Ja, ein Scherz.
Einige ziemlich engstirnige Leute, speziell in der Black-Metal-Szene, sprechen oft davon, „true“ zu sein, indem sie sich „auf Black Metal fokussieren“ (d.h. „nur Black Metal verstehen“). Das ist meiner Ansicht nach sehr schade, weil sie damit den künstlerischen Wert ihrer Musik auf ein absolutes Minimum reduzieren, weil sie nicht erschaffen, sondern nur reproduzieren. Für wie wichtig hältst Du es, in seinem Musikgeschmack, seinen Interessen und nicht zuletzt rein geistig variabel zu bleiben, um interessante Musik schaffen zu können? Was hörst Du?
Ich höre die gleiche Musik wie immer. Heute habe ich mir z.B. D.R.I.s „Crossover“ und Scott Walkers „The Drift“ angehört. Um das noch einmal ganz deutlich zu sagen: Thrash Metal und die Avantgarde. Ich bin kein Teil irgendeiner Szene und fühle mich auch nicht so.
Mich haben Multinstrumentalisten schon immer sehr fasziniert, weil ihre Musik meist mehr Facetten hat als die eines Gitarristen oder Keyboarders. Wie hast Du all die Instrumente erlernt, die Du beherrschst, und welchen Einfluss hat das auf Dein Komponieren?
Ich habe immer Saiteninstrumente gespielt. Da werde ich jetzt nicht ins Detail gehen, wann ich was wie lange gespielt habe, das ist ja zum Einschlafen langweilig. Ich wollte Schlagzeug spielen, als ich Gylve (Fenriz – Anm. d. Red.) live mit DARKTHRONE spielen sah. Sein Stil hat mich umgehauen, und ich fing an, ein bisschen am Schlagzeug rumzualbern. Ich hatte einen richtigen Drummer-Komplex, einige Jahre lang, bis ich so um 2004, 2005 heraus fand, dass ich talentfrei war. Einz (auch bekannt als „die italienische Fähre“), der VIRUS-Drummer, ist ein echtes Talent. Apollyon (auch bekannt als „die Person, die ein Tennisspieler sein könnte, aber wer weiß das schon genau?!“), der Koch in dieser Fernsehsendung, ist ein echtes Talent. Ich war zu ambitioniert, weil ich’s einfach nicht hinbekam. Ich wollte extrem schnell spielen und alles kaputt machen, und als ich dann anfing, gerade Takte und anderes anständiges Zeug zu spielen und ernsthaft zu üben, stellte ich fest, dass das nichts für mich ist. Die letzten zehn oder 15 Konzerte mit CADAVER und AURA NOIR habe ich gehasst, weil ich das Gefühl hatte, dass das einfach nicht mein Instrument ist. Ich will Gitarre spielen und Musik machen, mehr nicht. Ich bin da eine seltsame Kombination aus einigen Vorbildern wie (eeeeeh… ich hab‘ ein ganz mieses Namengedächtnis… der Typ aus „Monsters Of Rock“ auf Sky Channel), meiner Tante und einer Akustikgitarre, die ich geklaut habe.
Du scheinst sehr viel Zeit ins Musikmachen zu stecken, Du bist bei VIRUS und AURA NOIR aktiv und hattest auch eine Menge anderer Bands. Wie organisierst Du das? Investierst Du die Zeit, die andere in Foren und Communities verbringen, und machst statt dessen Musik? Wovon lebst Du?
Ach, ich war in 190 verschiedenen Bands, als ich Schlagzeug gespielt habe, aber nach meinem Unfall hat sich das auf AURA NOIR und VIRUS beschränkt. Das erste Mal habe ich da einen echten Fokus! Ich mache die VIRUS-Myspace-Seite zusammen mit Einz, das ist die einzige Internetaktivität. Ich bin kein Blogger, auch wenn ich mal einen Blog darüber geschrieben habe, warum Einz Ekzeme hat. Musikmachen ist mein Leben, ich habe keine andere Berufung. Ich würde nicht mal sagen, dass ich darin besonders gut bin, aber ich weiß, dass ich in allen anderen Dingen noch viel schlechter wäre.
Ich finde es immer wieder interessant, außergewöhnliche Livebands zu sehen, die sich auf die Atmosphäre konzentrieren, die Livemusik erzeugen kann, wenn sie gut präsentiert ist. VIRUS könnte so eine Band sein. Werden wir Euch eines Tages auf einer Bühne sehen?
Wir werden niemals live spielen. Ich bin genervt und angeödet von diesem ganzen Procedere des Livespielens, schon seit Jahren. Ich präsentiere mich nicht so gerne, weißt Du. Wie ich schon sagte, ich möchte komponieren, proben und Musik aufnehmen. Das ist der Aspekt davon, in einer Band zu spielen, den ich mag. Mir gibt es nichts mehr, Musik aufzuführen.
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