Corvus Corax
Corvus Corax
Interview
Berlin. In einem Hinterhof im Prenzlauer Berg haben nicht nur Pica Records und die Agentur von CORVUS CORAX ihre Büroräume, auch Norri („Harmann der Drescher“) sitzt hier am Telefon, um “Cantus Buranus II“ zu promoten. Zwischendurch nimmt er sich für das folgende Gespräch von Angesicht zu Angesicht so ausführlich Zeit, dass der letzte Termin an der Strippe verschoben werden muss.
Ihr konntet diesmal das bekannte Deutsche Filmorchester Babelsberg verpflichten. Habt ihr eigentlich einen besseren Zugang gehabt, weil ihr inzwischen etablierter seid und die Leute wissen, dass da nicht irgendwelche Mittelalter-Hanseln kommen, die drei Streicher einbauen wollen, nur damit es ein bisschen bombastischer klingt?
Sicher! Als wir mit der ersten Platte angefangen haben und nach der Idee langsam in die Vorproduktion reingegangen sind, konnte außer uns niemand glauben, was wir vorhaben. Als wir den Leuten gesagt haben: „Ja, wir wollen richtig mit einem großem Orchester…“, da haben sich schon die meisten an die Stirn getippt.
Jetzt kann man den Leuten eine CD in die Hand drücken und eine DVD hinlegen. Das ist schon ein Unterschied. Hätten wir die Babelsberger einfach nur gefragt: „Wir sind ’ne Mittelalterband und würden gerne mal ein Orchesterwerk machen…“, wäre das vielleicht schwierig geworden. Durch den ersten Teil hat sich eine Menge in Bewegung gesetzt. Alles ist eine Kettenreaktion.
Ging euch die Fortsetzung leichter von der Hand?
Auf jeden Fall. Beim ersten Teil wussten wir noch gar nicht wirklich, worauf wir uns einlassen. Ein Orchesterwerk zu schreiben und mit einem Orchester zusammenzuarbeiten, war ein bisschen abstrakt. Wir haben sehr viel Erfahrung – gerade durch unsere Konzerte – gesammelt. Unsere Instrumente haben wir jetzt geändert, weil wir zu acht lauter waren als das ganze Orchester. Auf jedem Geigenmikrofon waren nur Dudelsäcke und Trommeln, sage ich mal ein bisschen überspitzt. Dadurch konnten sich die anderen Musiker selber kaum hören.
Bei CORVUS CORAX hat es sich so entwickelt, dass die Instrumente extrem laut sind, damit man sich überall durchsetzt – auch ohne Anlage und Verstärker. Das haben wir für die neue Platte ein bisschen zurückgeschraubt. Die Trommeln sind leiser und Wim hat komplett neue Dudelsäcke gebaut. Die sind nicht nur leiser, sondern können zudem auch fast alle bekannten Halbtöne spielen. Dadurch klingen sie jetzt auch anders.
Wenn man im Studio erst mal mit Samples arbeitet, ist noch nicht ganz klar, welche Orchesterinstrumente man überhaupt vorwiegend benutzt. Da hört sich das noch ganz anders an als später auf der Bühne. Diesmal haben wir zum Beispiel viel mehr Blechbläser eingesetzt: sehr viel mehr Trompeten und Posaunen. Dadurch klingen aber auch die Dudelsäcke besser, weil sich die Instrumente insgesamt nicht mehr so ins Gehege kommen – man kann die viel besser einbetten. Wir komponieren natürlich erst mal mit einem Sampler, weil wir uns nicht leisten können, dass die ganze Zeit im Keller ein Orchester sitzt und wartet, bis wir eine Idee haben. Obwohl das natürlich ein schöner Luxus wäre. Vielleicht ein anderes Mal, hehe.
Erschwert die fehlende klassische Ausbildung das Komponieren? Oder entwickelt ihr neue Stücke als Band?
Ein kleiner Teil von uns hat tatsächlich eine klassische Ausbildung genossen. Aber wir arbeiten schon sehr intuitiv zusammen. Manche Songs haben mit einem Rhythmus angefangen, wo einer von uns die Idee für einen Beat hatte. Bei anderen Songs hatte jemand eine Melodie und manche haben tatsächlich erst mal mit einem Text angefangen: „Den Text müssen wir unbedingt nehmen!“ Dann haben wir überlegt. Der Text an sich gibt eigentlich auch schon einen gewissen Rhythmus vor. Es war also sehr unterschiedlich. Aber wir haben nicht wie ein klassischer Komponist dagesessen und alles vorher im Kopf entwickelt.
Es ist auch nicht so, dass bei uns einer der Band-Diktator ist, der die Songs schreibt und die anderen müssen das dann spielen. Wir entwickeln alles in Zusammenarbeit. Da ist es natürlich eher wie in ’ner Rock’n’Roll-Band, klar.
Ist diese Arbeit trotzdem manchmal unbefriedigender für den Einzelnen, weil so ein Riesen-Projekt weniger mit persönlichem Ausdruck verbunden ist?
Ne, ganz im Gegenteil, denn ich glaube, jeder von uns hat mehr Klänge und was Größeres im Kopf als das, was man zu fünft oder zu acht machen kann. Man kann zwar im Studio ’ne Menge mit Overdubs machen und wir haben damit auch schon bei CORVUS CORAX gearbeitet, wenn wir Chöre mächtiger klingen lassen wollten. Aber ich finde es gerade befriedigend, dass man sich was ganz Großes ausdenken kann und das dann auch auf der Bühne groß aufgeführt wird.
Der Teufel hat im Vorschauvideo zum zweiten Teil angedeutet, dass zumindest er sich von diesen Umsetzungen der “Carmina Burana“ ein Stück Unsterblichkeit erhoffe.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass CORVUS CORAX in späteren Zeiten noch bekannt sein werden. Aber der Teufel hat das ein bisschen mit ’nem Augenzwinkern gesagt.
Sagen wir mal so: Wenn ich kurz davor bin, endgültig ins Gras zu beißen und noch das Glück habe, mal kurz darüber nachdenken zu können, was ich mein ganzes Leben gemacht habe und dann habe ich so was wie “Cantus Buranus“ auf dem Schirm, dann weiß ich einfach, dass ich mit ’nem Lächeln dahingehen werde. Was danach kommt… Was ist schon ’ne Unsterblichkeit, wenn man selber nichts damit zu tun hat, weil man sie nicht erlebt? Wichtig ist, glaube ich, dass man wirklich am Ende seines eigenen Lebens sagen kann: „Ja! Daumen hoch!“ (schmunzeln)
Der zweite Teil von WALTARIs “Death Metal Opera“ liegt seit Jahren auf Eis, was wohl hauptsächlich finanzielle Gründe hat. Ist es eigentlich so, dass ihr keine Metal- oder Elektroanteile in “Cantus Buranus“ einbauen könntet, selbst wenn ihr wolltet, weil das Risiko einfach zu groß wäre, dass Leute abgeschreckt werden?
Mal ehrlich gesagt, ist uns das scheißegal! (lacht) Unser Grundprinzip ist, dass wir machen, was wir wollen. Und damit wir machen können, was wir wollen, machen wir möglichst alles alleine, weil man dann erstens mit niemandem diskutieren muss und weil man zweitens unterm Strich auch mehr Geld hat. Es ist natürlich dann so, dass ich nur zur Hälfte Künstler bin und zur anderen Hälfte bin ich ein Geschäftsmann, weil wir unser eigenes Label und Booking haben. Selbst mit Unterstützung ist das ein Haufen Arbeit.
Aber mit einer Plattenfirma würde das auch nicht gehen. Das ist vielleicht auch das Problem von WALTARI: Wenn man so ein großes Vorhaben hat und man ist abhängig von anderen Leuten, hat man entweder einen verrückten Millionär, der als Mäzen die ganze Sache finanziert oder man macht es nicht – weil die Plattenfirmen zeigen einem alle ’nen Vogel! Bei der ersten Platte haben wir ja einen Deal mit Roadrunner gemacht, aber die ganze Produktion hat auf jeden Fall mehr gekostet, als wir durch die Plattenverkäufe wieder reinbekommen haben.
Ihr habt teilweise normale CORVUS-CORAX-Konzerte gespielt, nur um das überhaupt finanzieren zu können.
Joa. Wir sind eine Mischkalkulation, hähä. Wir sind natürlich Optimisten und gehen davon aus, dass sich das auf längere Sicht irgendwann wieder rechnet, aber momentan zahlen wir komplett drauf. Weißte, andere Leute fahren vielleicht einmal im Jahr in den Urlaub, um sich selber Freude zu schenken und wir machen halt “Cantus Buranus“. Wenn man wirklich macht, was man will, ist das eh unbezahlbar.
Wobei es schon nachdenklich stimmt, dass ihr die meisten Interviews Magazinen wie Metal.de und diversen Gothic-Zeitschriften gebt. Ansonsten scheint nicht viel zu passieren. Dabei könnte man sich “Cantus Buranus“ eigentlich auch – ohne damit eine Aussage über musikalische Qualität treffen zu wollen – im Programm einer Sendung wie Wetten, dass..? vorstellen.
Wenn so was mal passieren sollte, kann es sehr gut sein, dass sich “Cantus Buranus“ dann doch relativ schnell rechnet. Es war auch so ein bisschen die Hoffnung, die wir mit Roadrunner hatten, dass vielleicht mehr läuft. Aber die können natürlich auch nicht zaubern. Die haben einen coolen Job gemacht, das sind coole Leute. Wenn man nicht Lotto spielt, kann man auch nicht gewinnen. Wir haben Lotto gespielt, haben nicht gewonnen, aber auch nicht wirklich dabei verloren. Also das ist völlig okay. Und wir versuchen natürlich immer mal wieder was.
Zumindest konntet ihr bereits für euch verbuchen, zu den Mittelalter-Rock-Pionieren gehört zu haben. Es gibt ja auch noch den Crossover-Ableger TANZWUT. Ich glaube, Castus hatte mal geäußert, dass viele Bands von eurer ursprünglichen Arbeit profitieren. In den letzten Jahren spielten dann auf einmal so viele Mittelalter-Gruppen auf Festivals, dass andere Besucher, die nicht explizit Fans davon waren, schon wieder eher genervt reagiert haben. Mit den “Cantus Buranus“-Teilen vollbringt ihr erneut eine Pionierleistung, die es zudem Nachahmern schwer machen dürfte.
Vorsprung durch Wahnsinn, hähähähä! Uns ist natürlich klar, dass die ganze Sache irgendwann schon so ein bisschen nervig geworden ist. Es gibt so viele Bands, die musikalisch nicht wirklich weit voneinander entfernt sind. Zwischenzeitlich waren wir da ein ganz klein wenig pikiert, dass niemand ein Wort darüber fallen lässt, woher die Inspiration kommt. Aber was soll das Lamentieren – im Endeffekt gibt es immer irgendeine Band, die mit einem Musikstil anfängt. Und wenn das interessant ist, kommen viele andere hinterher. Ein paar eigenständigere Projekte entstehen dann auch. Es gibt in der Mittelalterszene immer mal wieder Bands, wo ich denke: „Ja, guter Weg…“
Aber “Cantus Buranus“ ist schon auch so ein bisschen: „Macht das jetzt mal nach!“ (lacht)
Der Klassikmarkt scheint euch bisher eher zu ignorieren. Seid ihr denen nicht true genug?
Na ja, in jeder Szene gibt es die Fundamentalisten. Ich komme aus der Metal-Szene, da kenne ich das auch ganz genau. Da hat man sich früher schon gestritten, ob Power Metal oder doch eher Thrash Metal okay ist. Zum Glück ist die Metal-Szene eigentlich die offenste, die ich kenne – auf jeden Fall guckt ein großer Teil der Fans über den Tellerrand rüber. Aber selbst da haben wir teilweise das Problem, dass einige Magazine nicht groß berichten wollen, weil wir eine Mittelalter-Band sind und auch keine Gitarre zu hören ist. Das läuft in der Klassik auch nicht anders.
Dazu noch das E-/U-Musik-Ding…
Diese deutsche Beklopptheit! In anderen Ländern haben die ein großes Fragezeichen überm Kopf, was diese Unterscheidung soll.
Selbst bei uns gab es einen Streit über TARJA, während dessen Verlauf ein Redakteur diese Unterscheidung nutzte, um auf mangelnde Qualität der Musik zu schließen. Wobei man sich natürlich streiten könnte, ob Filmsoundtracks dann nicht auch prinzipiell als minderwertig angesehen werden müssten.
Die haben in den Klassikmagazinen ebenfalls einen äußerst schweren Stand. Für die Klassik-Hardliner gibt es sowieso nur die alten Helden. Da ist so ein komischer Kunstansatz drin, der gar keinen Sinn macht. Wenn man jetzt irgendeinen Klassiker nehmen, den hierher beamen und ihm sagen würde: „Toll, dass du da bist, weil du bist ja ein ernster Musiker und du machst keine Unterhaltungsmusik“, dann würdest du wahrscheinlich von ihm ’ne Backpfeife kriegen! Mozart und Beethoven wollten die Leute unterhalten. Da hatte keiner den Anspruch: „Ich bin jetzt hier der total tolle Künstler, aber fühlt euch bitte nicht unterhalten.“
Ich gebe zu, dass ich schmunzeln musste, als ich euch in euren Bühnen- und Promotion-Outfits gesehen habe. Ist euch klar, dass einige Leute vielleicht beim Erstkontakt auch erst mal denken könnten: „Was kommen da für Dudelkasper?! Das kann ja nichts Gutes werden…“
Natürlich. Ganz normale Vorurteile. Gerade durch diese anerzogene Abschottung haben Klassik-Leute die auch – was übrigens der Klassik in Deutschland nicht gut tut! Wir haben uns extrem gefreut, dass wir mit den Babelsbergern zusammenarbeiten konnten, weil die halt fast nur Filmmusik machen und mit Bands arbeiten. Das ist übrigens auch kein staatliches Orchester, sondern das trägt sich selber (wobei auch diesem Orchester Finanzierungsprobleme nicht unbekannt sind). Es ist ein Crossover-Orchester und mit denen macht das auch richtig Spaß, weil die Verständnis für moderne Musik haben. Ein normaler Klassiker wirft das Handtuch, weil er es einfach nicht kann!
Ihr und beispielsweise auch THE OCEAN haben schon in früheren Interviews von leichten Verständigungsproblemen berichtet. Improvisationen sollen ein schwieriges Thema sein.
Improvisieren geht überhaupt gar nicht! Die brauchen Noten. Teilweise treibt das wirklich skurrile Blüten. Bei der ersten Scheibe haben wir nicht mit einem Orchester aufgenommen, sondern die Leute einzeln geholt. Ich glaube, bei der Oboe ging es dann darum, dass die Musikerin an einer Stelle ein E spielen sollte, das nicht in der Partitur stand. Sie hat das erst gespielt, als wir ihr das E auf das Notenblatt geschrieben haben, mit einem Bindebogen über vier Takte. Das ist natürlich schon völlig absurd, haha! Wie ein Kaninchen vor der Schlange, weil die Note nicht da ist. Verrückt.
In Amerika ist es völlig normal, dass die Musiker auch mal Jazz spielen. Die haben da eine komplett andere Musikerziehung und dadurch einen ganz anderen Zugang zu moderner Musik. Hier dagegen schießt sich die gesamte Klassik kontinuierlich vorsätzlich ins Abseits und jammert dann rum, dass die Häuser leer sind.
Die drei großen Mittelalter-Bands – IN EXTREMO, SUBWAY TO SALLY, CORVUS CORAX – kommen alle aus der Ecke Berlin/Potsdam. Zufall?
Ne, ich glaube, das hat was mit Osten und Westen zu tun. Als es nämlich tatsächlich diesen Unterschied noch gab – aufgrund der Mauer –, war es so, dass es im Westen eine Mittelalterszene gab, die irgendwie extrem ordentlich war. Die haben halt diese Strumpfhosenmusik gemacht: leise Bankettmusik mit einer Laute, also eher die höfische Variante. Gregorianische Choräle kannten die Leute auch. Aber die Musik des Volkes, die Straßenmusik, das was in den Kneipen gespielt wurde, das gab’s halt im Westen nicht.
Aber im Osten hatte sich eine Szene entwickelt, die genau diese eher ruppige Variante gespielt hat. Viele Leute haben sich dann in Potsdam und Berlin getroffen. Die kamen nicht alle unbedingt aus dieser Gegend, aber so wie auch West-Berlin ein Magnet war für Westdeutsche, waren Ost-Berlin und Potsdam ein Magnet für alle aus dem Osten. Deswegen kommen diese Bands alle aus dieser Gegend. Das liegt einfach an der Geschichte.
Mit dem Erfolg scheint auch die Isolation gekommen zu sein. Es gab beispielsweise, wenn ich mich nicht irre, nie einen gemeinsamen Auftritt aller drei genannten Bands. Ein bisschen konnte man manchmal schon den Eindruck haben, dass es darauf hinauslief: „Wer hat den dicksten Dudelsack?“
Sagen wir mal so: Es gab auch vorher nicht wirklich einen engeren Kontakt. Also es gab mal einen sehr engen Kontakt, aber das ist halt lange her. Deswegen gibt es den jetzt nicht mehr. (lacht etwas gequält) Teufel und der Micha sind früher mal zusammen über die Dörfer gezogen. Die Trennung lief dann nicht so richtig freundschaftlich ab. Es lief einfach eine Menge schief. Wir hatten auch mal ein Management, was da ein totaler Rohrkrepierer war und eine Zusammenarbeit auch nicht gerade gefördert hat: „Wir müssen das jetzt wie HipHop machen! Dissen und so.“ Totaler Quatsch!
Und jetzt macht halt so jeder seins. Das Verhältnis zu SUBWAY ist ganz okay. Wir hatten ja auch die Frau Schmitt bei der ersten “Cantus…“ als Gastmusikerin dabei.
Die Ansätze der Bands unterscheiden sich eigentlich auch. Jede präsentiert sich anders.
Ja, da haben wir auch noch nie so die Parallele gesehen. Es wird heutzutage alles in der selben Schublade verkauft, aber ganz neutral betrachtet, haben die Bands andererseits nicht so viel miteinander zu tun.
Es ist nicht so, dass es alte, lange Freundschaften gibt. Man kennt sich lange, aber man könnte jetzt auch Bücher darüber schreiben, wie das alles abgelaufen ist. Eigentlich waren THE INCHTABOKATABLES, die jetzt zum Teil POTENTIA ANIMI sind, eher die Bande, mit denen die Jungs von CORVUS früher viel gemacht haben. Das waren auch richtige Vorreiter, weil sie damals schon im Osten so einen Irrsinn verbreitet haben und dann eigentlich so ziemlich die ersten waren, die schon mal ziemlichen Erfolg mit Folklore-Mittelalter-Punk-Rock-Crossover hatten.
Eine andere bekannte Band mit ostdeutschem Hintergrund sind RAMMSTEIN. Deren Keyboarder Flake hat sich auf Spiegel.de…
Das habe ich auch gelesen! Da war ich echt schockiert.
…unter der Überschrift „Mir fehlt die DDR“ folgendermaßen geäußert: „Ich wollte auf keinen Fall zur Armee, man musste aber hin, sonst konnte man sogar ins Gefängnis kommen. (…) Das war für mich eine freie Entscheidung. Für mich bedeutet Freiheit, dass man die Wahl hat zu tun, was man will. Und das hat für mich im Osten sehr gut funktioniert. Und jetzt passiert durch den Kapitalismus so viel Dreck hier um mich herum. Weil so viele Menschen irgendwelchen Mist machen, nur um Geld zu verdienen (…) Bis heute fehlt mir die DDR sehr.“
Es ist vielleicht bekannt, dass Mitglieder von CORVUS CORAX das ein bisschen anders sehen dürften…
Flake hat da tatsächlich einen Haufen sehr seltsame Sachen erzählt. Ähm, der hat irgendwie scheinbar nie richtige Probleme gehabt. FEELING B (Flakes damalige Band) waren halt auch erfolgreich, selbst wenn sie mal verboten wurden.
Ich komme nicht aus dem Osten, aber die Kollegen können das definitiv nicht bestätigen. Die sind alle froh, dass das jetzt so ist, wie es ist.
Andererseits tretet ihr immer mal wieder in China auf, unterstützt durch Kulturfördermittel. Habt ihr diesbezüglich Zweifel gehabt? Gerade im Zusammenhang mit Tibet dürfte das momentan schließlich ein heißes Thema sein.
Da hat neulich tatsächlich ein Fan, der politisch und in Sachen Umwelt sehr engagiert ist – also einer von diesen denkenden Menschen in der Welt –, eine Mail geschrieben: „Das mit China ist gerade unter den jetzigen Bedingungen total für den Arsch!“ Wenn wir in Tibet ein Konzert machen würden, dann hätten wir Größe gezeigt. Darauf habe ich ihm zwei Seiten zurückgeschrieben, wo er danach meinte: „Oh…, sorry!“
Das ist tatsächlich ein staatlich geförderter Kulturaustausch zwischen den Außenministerien. Das ist für mich definitiv ein Zeichen dafür, dass es in China besser wird. Unter Mao wurde während der Kulturrevolution alles in Schutt und Asche gelegt, was überhaupt mit Kunst zu tun hatte und lange Zeit galt dort wie in der DDR die Grundlinie: „Alles was aus dem Westen kommt, ist verdorben. Klassenfeind, blablabla…“ Wenn sich jetzt so ein Land so weit öffnet, dass mehrere Künstler dorthin können, um den Leuten eine andere Kultur zu zeigen, sehe ich da nichts Schlechtes. Ganz im Gegenteil!
Schlimm wäre es, wenn man sich jetzt bockig hinsetzt und sagt: „China, das sind die Bösen! Wir sind natürlich sowieso schon immer die Guten gewesen und deswegen wollen wir mit denen jetzt gar nichts mehr zu tun haben.“ Das würde nichts ändern, sondern nur die Leute fördern, die sagen: „Haben wir ja schon immer gewusst, dass die Westler alle scheiße sind!“ Das kann überhaupt nicht im Interesse des chinesischen Volkes sein.
Du hast gerade den elektronischen Postweg erwähnt. Mir wurde gesteckt, dass ihr jedoch das persönliche Gespräch bevorzugt.
Ja, weil es halt persönlicher ist. Ich bin ein Fan von den neuen digitalen Kommunikations- und Informationssystemen. Ich finde es total cool, ein Handy zu haben. Dagegen war ich in meinen DEPRESSIVE-AGE-Zeiten voll am Arsch! Während einer Europatour gab es jeden Tag anderes Geld. Du hattest also kein Telefon, musstest in eine Telefonzelle, hattest aber kein Geld… Katastrophe. Ich finde es jedoch unmöglich, dass sich die Leute alle nur noch mit SMS und E-Mails unterhalten.
Bezogen auf Musik siehst du es wahrscheinlich ähnlich, oder? Ihr verwendet einen Sampler, aber letztendlich spielt dann ein richtiges Orchester die Stücke ein.
Wir hätten auch schon unsere Vorproduktion mischen, mastern und in den Handel schicken können. Die Leute hätten garantiert gesagt: „Toll!“ Auf den Samplebänken hat man heute komplette Orchester. Da kannst du jeden Ton in allen Varianten abrufen. Für unerfahrene Hörer, die kaum Klassik kennen, kann das funktionieren. Ich kenne auch viele Produktionen – gerade aus der Gothic-/Metal-Ecke –, wo immer viel von Orchester geredet wird, obwohl ich ganz genau weiß, dass das alles Samples sind, weil ich das sofort höre. Da braucht mich auch keiner zu verarschen!
Ein Orchester atmet einfach. Das hat eine eigene Seele. Man darf jetzt zum Beispiel auch nicht die Einzelspuren anhören. Gerade als moderne Musiker haben wir da ein anderes Gehör für. Das stimmt alles nicht richtig! Es sind keine Roboter. Wenn 60 Leute zusammenspielen, kannst du hundertprozentig davon ausgehen, dass da viele falsche Töne dabei sind, weil sich jemand vergriffen hat, weil jemand zu spät einsetzt, bisschen zu früh ist… Aber das macht den Orchestersound eigentlich auch aus, weil es sich reibt.
Es hat Ecken und Kanten. Das heißt, ihr könnt tatsächlich auf der fertigen Platte Fehler hören?
Sagen wir mal so: Leichte Fehler höre ich da, ja. Aber ich versuche, sie nicht zu hören, weil es eigentlich totaler Quatsch ist. Wir hören alle viel zu viel Robotermusik, wenn ich das sagen darf. Viele Bands lassen durch Software analysieren, wo die Anschläge sind. Die ganze Spur wird zerschnitten und dann werden die Anschläge automatisch auf die richtigen Zählzeiten gerückt. Anschließend wird noch mit Auto-Tune jeder Ton, der auch nur ein bisschen schief ist, korrigiert. Dann hast du Mucke, die unglaublich schiebt und totale Wucht hat, aber leben tut’s nicht. STATIC-X machen das cool. Mit TANZWUT haben wir das auch eine Weile direkt als Stilmittel verwendet, aber uns wieder davon losgesagt.
Deswegen wird gesagt, dass man eine Band erst endgültig beurteilen kann, wenn man sie live gesehen hat.
Allerdings – da kann man dann ganz schön ins Essen fallen! (lachen)
Zum Abschluss ein Ausblick: Wie geht es weiter mit “Cantus Buranus“? Texte sind ja immer genug da.
Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass wir auf jeden Fall noch einen dritten Teil machen werden. Wir haben eigentlich auch schon eine Idee dafür. Also es geht unbedingt weiter!
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