Oomph!
"Die rhetorische Verschleierungstaktik und das inhaltslose Phrasendreschen überlasse ich in diesem Bereich gerne den Politikern"

Interview

OOMPH! zählen wohl zu den vielseitigsten Bands, die das enge Korsett der Neuen Deutschen Härte zulässt. Pünktlich zum neuen Album “Ritual“ erzählt uns Dero, warum die Platte wieder härter geworden ist und geht mit uns tiefer in die gesellschaftskritischen Ebenen seines Denkens und seiner Musik.

metal.de: Musikalisch geht es auf “Ritual“ deutlich härter und kerniger zur Sache als auf den letzten Scheiben. Passierte das aus innerem Antrieb heraus oder ist es eine Reaktion auf Fankommentare?

Dero: Alles, was wir in unserem bisherigen Bandleben getan haben, geschah in erster Linie aus eigenem künstlerischen Antrieb heraus. Da wir uns seit dem 2. Album nie haben selbst künstlerisch einordnen lassen, weil wir immer nach vorne geschaut haben, immer neue musikalische Akzente setzen wollten und uns deshalb auch stets weiterentwickelt haben, passen wir ohnehin in keine musikalische Schublade. Erst viel später, Mitte der 90er Jahre, da hatten wir schon unser 4. Album auf dem Markt, nannte man uns seitens der Musikjournaille die „Urväter und Erfinder der NEUEN DEUTSCHEN HÄRTE“. Bands wie RAMMSTEIN, MEGAHERZ und EISBRECHER beriefen sich dann Mitte bis Ende der 90er Jahre auf OOMPH! als Hauptinspirationsquelle und gaben in diversen Interviews freimütig zu, dass es sie ohne OOMPH! gar nicht gäbe. Wir haben uns nie darum gekümmert, wollten einfach nur das machen, worauf wir am meisten Bock hatten bzw. wonach wir uns fühlten.

Waren wir eher traurig und melancholisch machten wir ein dementsprechendes Album, waren wir wütend und aggressiv gestalteten wir die Musik und die Texte entsprechend. Wenn wir jemals auf die Meinung der Fachpresse oder der Fans gehört hätten, wären wir wohl, wie so viele Bands, musikalisch stehengeblieben und hätten begonnen, uns aus kommerziellen Gründen selbst zu kopieren. Diese Form des Selbst- und Fremdbetrugs überließen wir aber lieber anderen Bands.

Als wir nun von unserer letzten, überaus erfolgreichen Russlandtour nach Hause kamen, entschlossen wir uns erstmalig sofort ins Studio zu gehen, um die ganzen positiven Emotionen, die Energie, den Enthusiasmus und die überwältigenden Fanreaktionen in neue Songs zu transformieren. Relativ schnell, nach etwa drei bis vier Wochen, hatten wir dann fast 80% der neuen Scheibe fertig komponiert. Anschließend nahmen wir uns etwas ältere Ideen vor, die jeder für sich zu Hause in seinem kleinen Homestudio festgehalten hatte und schrieben diese zu nochmal vier bis fünf kompletten Songs in gemeinsamer Arbeit fertig. Danach ging´s dann ans Produzieren und Aufnehmen. Dieser Vorgang dauerte dann ca. ein Jahr, weil wir nach wie vor alles selbst machen.

metal.de: Die textliche Ausrichtung des Albums ist ebenfalls verändert. Innere Konflikte werden weniger häufig thematisiert, stattdessen liegt der Fokus auf politischen und gesellschaftlichen Inhalten. Was würdet ihr Menschen entgegnen, die die Position vertreten, dass Bands lieber bei der Musik bleiben und die Politik außen vor lassen sollten?

Dero: Ich würde ihnen raten, eher bei sich zu bleiben, anstatt Bands dafür zu kritisieren auch mal politisch zu sein. Wenn du als Band anfängst dich zu verstellen, nur um irgendwem zu gefallen oder bloß nicht anzuecken, dann wirst du unauthentisch und berechenbar. Darüber hinaus beginnst du dich selbst und deine Fans zu belügen. Das will doch keiner wirklich haben.

metal.de: In “Tausend Mann und ein Befehl“ werdet ihr auf textlicher Ebene sehr konkret und verzichtet größtenteils auf Mehrdeutigkeit und Ironie. Wie wichtig war es euch, gleich an den Anfang der neuen Platte ein derart eindeutiges Zeichen zu setzen?

Dero: Es gibt Themen, die geradeheraus gesagt werden müssen, ohne viel Schnickschnack und textliche Verschlüsselung. Da wir schon sehr oft mit Metaphern und Vieldeutigkeit hantiert haben, war es für uns nur logisch, dass wir auch mal etwas Anderes ausprobieren müssen, um uns erstens nicht zu wiederholen und zweitens, um das Ganze für uns selbst nach all den Jahren frisch und spannend zu gestalten. Es gibt ja zum Glück noch andere Songs auf dem Album, die etwas kryptischer gestaltet sind, so dass jeder seinen Lieblingssong und seine bevorzugte Machart eines Liedes finden kann. Wenn man sich generell gegen Krieg und die damit verbundenen Mechanismen wie Waffenhandel, gezielte regionale Destabilisierung, um sich politische und wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen, jahrzehntelange Ausbeutung und Unterdrückung etc. ausspricht, sollte dies meiner Meinung nach klar und Unmissverständlich geschehen. Die rhetorische Verschleierungstaktik und das inhaltslose Phrasendreschen überlasse ich in diesem Bereich gerne den Politikern.

metal.de: Eines der meiner Ansicht nach eindrucksvollsten Lieder auf “Ritual“ ist “Trümmerkinder“, das verstärkt zum Nachdenken anregen wird. Findet sich der pessimistische Grundton des Songs auch in eurer Ansicht auf die Welt wieder? Oder um es provokant auszudrücken: Liegt die Welt eurer Meinung nach bereits in Trümmern, ohne Aussicht auf Besserung?

Dero: Die Welt lag schon so oft in großen Teilen in Trümmern, besonders in den letzten 100 Jahren. Sie wächst nicht nur auf digitaler Ebene immer stärker zusammen, sondern auch in Bezug auf tatsächliche Mobilität. Analog dazu wächst die Weltbevölkerung viel zu rasant. Die größten Herausforderungen werden die Migrationsbewegungen aufgrund von Kriegen und Hunger bzw. der ungerechten Verteilung von Ressourcen bleiben. Ganze Küstenregionen werden aufgrund des prognostizierten Pegelanstiegs der Weltmeere evakuiert werden müssen. Wenn man bedenkt, dass über zwei Drittel der Menschheit in Küsten-Metropolen leben, kann man sich ansatzweise vorstellen, was das bedeuten wird.

„Trümmerkinder“ setzt sich allerdings auch mit der Vergangenheit auseinander, mit der flächendeckenden Traumatisierung durch zwei kurz aufeinander folgende Weltkriege. Meine Großeltern haben Kriegsgräuel, Entwurzelung und Vertreibung, Vergewaltigung, Mord und Tod durch Erfrieren und Verhungern gesehen und erlebt. Sie wissen, was Entbehrung, Leid, Armut und Verlust bedeutet. Mit dieser extremen psychischen Belastung und emotionalen Verkrüppelung haben sie meine Eltern erzogen, die dieses Trauma quasi mit der Muttermilch einsogen. Das prägte sie so sehr, dass sie ihrerseits dieses unterbewusste Trauma an mich weitergaben. Es wundert mich deshalb rückblickend nicht, dass ich in einem suchtkranken Umfeld aufwuchs. Dieses Schicksal ist weit verbreitet in Europa. Der Krieg tobt immer noch in all unseren Zellen und es bedarf einer längeren Zeit als nur drei Generationen, um diese Wunden zu heilen. Hierzu gibt es beachtliche epigenetische Studien, die aufzeigen, dass sich Traumata auf genetischer Ebene in menschlichen Zellen manifestieren können und diese dann an kommende Generationen weitergegeben werden können. Die Traumaforschung bestätigt dies ebenfalls. Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, ADHS…die Liste der möglichen Symptome dieser Altlasten könnte lang werden.

metal.de: “Im Namen Vaters“ kritisiert die christliche Religion und damit einhergehende kriegerische Handlungen. Lehnt ihr Religionen ab oder seht ihr das differenzierter?

Dero: Ich sehe die organisierten Religionen als Macht-, Unterdrückungs- und Manipulationsapparate an. In den Zeiten als sie entwickelt wurden, waren sie eine Art frühzeitliche Politik, ein Moral-, Normen- und Wertekanon und gleichzeitig sollten sie dem Menschen Antworten auf all die Fragen liefern, die ihn seit jeher umtreiben. Die 3 abrahamitischen, monotheistischen Weltreligionen sind für mich von der Grundstruktur her allesamt zutiefst ausgrenzend und faschistoid. Ein Gott – ein Volk – ein Führer! In Europa wurde durch Reformation, Aufklärung, Humanismus und Französische Revolution der Klerus und Adel weitestgehend politisch entmachtet und gegen das Bürgertum ausgetauscht. Für unsere freiheitlich-humanistische, demokratische Grundordnung mussten viele Millionen Menschen sterben. Wir sind es ihnen nun schuldig, diese Lebensweise, die wir alle hoffentlich zu schätzen wissen, mit niemandem zu verhandeln! Religiöser Extremismus ist schließlich leider gerade wieder auf dem Vormarsch.

metal.de: “TRRR FCKN HTLR“ mag auf den ersten Blick plump erscheinen, spricht jedoch aus meiner Sicht mehrere unglaublich wichtige Themen an. Eines davon beschreibt die Zeile “Wer wenig weiß, der glaubt zu viel“ vortrefflich – kann es in Zeiten von Fake-News, Populisten und Schlagzeilen-Gehasche überhaupt noch eine vernünftige Diskussionskultur geben?

Dero: Auf der einen Seite demokratisiert und solidarisiert sich die Informationsgesellschaft durch das Internet, auf der anderen Seite ist es auch einfacher geworden zu spalten. Momentan werden ja durch alle möglichen demokratisch legitimierte Instanzen Überwachungs- und Zensurmechanismen, im Netz sowie im realen Leben installiert, um diese Macht des Volkes zu unterdrücken und zu beschneiden. Die Machteliten spüren, dass sich ein Lauffeuer im digitalen Zeitalter noch viel rasanter und flächendeckender verbreiten kann als je zuvor. Das macht ihnen große Angst, denn sowas wie eine Französische Revolution kann schließlich rein theoretisch jeder Zeit wieder passieren. Die Gelbwesten-Bewegung ist bereits ein erster eindrucksvoller Hinweis darauf, dass sich das Volk gerade seine Macht zurückholen will, die von seinen Vertreten schon viel zu lange missbraucht wird. Der von Intransparenz und Korruption durchseuchte Reglementierungs-Moloch in Brüssel streckt seinen krakenartigen Arm immer weiter aus und wird doch gleichzeitig immer schwächer, weil sich diese Lobbyisten-Stellvertreter-Scheindemokratie gerade selbst auffrisst und dadurch immer stärker erodiert. Die Menschen wollen wieder mehr Souveränität und Mitspracherecht und werden diese einfordern. Bleibt nur zu hoffen, dass es dieses mal friedlicher abläuft als zu Zeiten der Guillotine.

metal.de: “Ritual“ lautet der Titel des Albums, der in vielerlei Hinsicht gedeutet werden könnte. Was bedeutet er für euch?

Dero: Als Titel wählten wir schließlich „Ritual“, weil er schön düster, mysteriös und vielseitig auslegbar ist, genau wie unsere Musik. Es gibt nach wie vor viele Rituale in unserer Gesellschaft. Manche sind äußerst sinnvoll, weil sie dir eine eigene kulturelle Identität verleihen, andere wiederum hindern dich eher daran menschlich zu wachsen. Wieder andere sind sogar sehr gefährlich oder äußerst beängstigend, wie zum Beispiel Ritualmorde.

metal.de: Den kompletten März seid ihr auf Europa-Tour. Wie schwierig war es / ist es für euch, für Konzerte eine Setlist zusammenzustellen?

Dero: Das geschieht ganz volksdemokratisch, ohne Rücksicht auf Minderheitenschutz – 2 gegen 1! Die ganz normale Volksdiktatur quasi. 😉

Wir legen aber schon großen Wert darauf, dass sowohl uns, als auch hoffentlich den Fans die Songs dann live auf und vor der Bühne am meisten Spaß machen werden. Deshalb wählen wir meist die Songs aus, die am meisten nach vorne gehen.

metal.de: Was dürfen die Fans auf der Tour und für das restliche Jahr 2019 von OOMPH! erwarten?

Dero: Im Februar spielen wir nochmal eine Klassik-Show mit einem großen Symphonie-Orchester in Kiew, wie wir das auch schon Ende letzten Jahres in St.Petersburg und Moskau sehr erfolgreich getan haben und dann folgt die Europa-Tour. Es werden dann anschließend noch einige ausgewählte Festivals gespielt und dann geht´s nochmal im Herbst auf ausgedehnte Russland-Tour, einmal quer durchs Land bis nach Wladiwostok. So ist jedenfalls der Plan.

metal.de: Vielen Dank für deine Zeit und die Interviewmöglichkeit.

Dero: Ich habe zu danken!

 

Galerie mit 30 Bildern: Oomph! - 35 Jahre OOMPH! Tour 2024 in Saarbrücken
24.01.2019

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4 Kommentare zu Oomph! - "Die rhetorische Verschleierungstaktik und das inhaltslose Phrasendreschen überlasse ich in diesem Bereich gerne den Politikern"

  1. nili68 sagt:

    „Die rhetorische Verschleierungstaktik und das inhaltslose Phrasendreschen überlasse ich in diesem Bereich gerne den Politikern“

    Na, da sind Ooomph! aber auch nicht gerade die Richtigen, um das zu kritisieren, wa? Anspruch und Realität und so..

  2. BlindeGardine sagt:

    Komisch, ich war angesichts des Promofotos nur überrascht, dass Conchita Wurst jetzt bei Oomph! singt.

  3. opsercise sagt:

    Ein ausgezeichneter Morgen mit diesem Interview! „Die rhetorische Verschleierungstaktik und das inhaltslose Phrasendreschen überlasse ich in diesem Bereich gerne mir selbst“ müsste die Überschrift richtig heißen.
    Wie viele andere verbreiten Ummpff hier gratismutige (natürlich nur in Bezug auf das Christum) Haltungslyrik:
    “Im Namen Vaters“ kritisiert die christliche Religion und damit einhergehende kriegerische Handlungen. … Religiöser Extremismus ist schließlich leider gerade wieder auf dem Vormarsch.“
    Was für eine gequirlte Scheiße! Ja, die USA sind schuld und wollen das Christum mit dem Schwert auf der Welt verbreiten, soll wohl der Subtext sein. Wer kennt die Bilder der ganzen christlichen Mörderbanden nicht, die im Nahen Osten und sonst wo Andersdenkenden die Köpfe abschneiden, Busse über Weihnachtsmärkte lenken und sich auf Märkten selbst in die Luft sprengen. Und jeder kennt die ganzen widerlichen Menschen, die dagegen demonstrieren, dass Babys bis zum 9. Monat legal abgetrieben werden sollen dürfen. (Nur um deutlich zu sagen, dass ich die DEU noch gültige Fristenregelung als Kompromiss verteidigenswert finde).
    „Wir sind es ihnen nun schuldig, diese Lebensweise, die wir alle hoffentlich zu schätzen wissen, mit niemandem zu verhandeln! Was denn jetzt? Sämtliche Errungenschaften unserer modernen Zivilisation und damit verbundene Begleiterscheinungen (Meinungsfreiheit, Reisen wohin man will (Full-Metal-Cruise!!!), super-duper Instrumente für Musiker) bedeuten unbestreitbar Ressourcenverbrauch. Wo gedenkt sich Herr Devo einzuschränken, um den Anstieg der Weltmeere verhindern? Wo soll ich mich einschränken, außer natürlich fleissig Ummpff-CDs kaufen?
    Die ganze Antwort zu „TRRR FCKN HTLR“ ist in sich widersprüchlich. Die Macht des Volkes wird beschnitten? Meint er hier etwa das DEUTSCHE Volk, der Nazi? Ich dachte immer, das deutsche Volk muss vor sich selbst geschützt, ach was, am besten abgeschafft werden, um einen Rückfall in finsterste Zeiten zu vermeiden?
    „Der von Intransparenz und Korruption durchseuchte Reglementierungs-Moloch in Brüssel streckt seinen krakenartigen Arm immer weiter aus und wird doch gleichzeitig immer schwächer, weil sich diese Lobbyisten-Stellvertreter-Scheindemokratie gerade selbst auffrisst und dadurch immer stärker erodiert. Die Menschen wollen wieder mehr Souveränität und Mitspracherecht und werden diese einfordern. “ Ruft er hier zu weniger EU u. Rückkehr zum Nationalstaat auf, vertritt er hier etwa AfD-Positionen?
    Meinungsfreiheit ist schon was schönes. Er konnte seinen Unsinn loswerden, ich meinen. Allet wieda jut, Blutdruck ist bereits unten.
    Und die üblichen Verdächtigen dürfen jetzt gerne die Gegenrede führen.
    Ich wünsche einen angenehmen Samstag!

    1. BlindeGardine sagt:

      Nur zwei Sachen, heißt es nicht ChrisTENtum? Und heißt der gute man nicht Dero, bzw. Chonchita?