Soulfly
Soulfly
Interview
Man soll es kaum glauben, aber manchmal haben Tourbusse sogar einen Vorteil. Zumindest empfand ich das Klima sehr angenehm, als ich an einem heißen Samstag, als Soulfly zu ihrem Tourgastspiel in Wiesbaden weilten, raus aus meinem unklimatisierten Glutofen Auto rein in den angenehm temperierten Nightliner von Cavalera und seinen Jungs durfte. Schnell noch die letzten Schweißtropfen weggewischt, dann durfte ein völlig entspannt und laid-back wirkender Max Fragen beantworten. Im Vorfeld wurde ich übrigens darüber unterrichtet, dass Ausflüge in alte Sepultura-Zeiten doch bitte zu unterlassen seien. Irgendwie kann man es ihm nicht verdenken, zumal Soulfly seine alte Band mittlerweile, auch dank ihres mit der Zeit immer weiter wachsenden, neuen Werkes "Prophecy", weit hinter sich gelassen haben. So hatte Herr Cavalera trotz seines ausgeklammerten ersten Betätigungsfeldes immer noch genug zu erzählen.
Max, du kannst mittlerweile mit Soulfly auf zahlreiche Touren zurückblicken. Inwiefern unterscheidet sich diese hier von den anderen?
Diese Tour ist die beste bisher mit dem längsten Set, das wir jemals gespielt haben. Soulfly kommen in der Setlist in ihrer vollen Variation zur Geltung und wir haben erstmals die Chance, richtig viele alte Sepultura-Tracks wie „Inner Self“ oder „Mass Hypnosis“ zu spielen. Nailbomb kommen auch zum Zuge. Sehr cool.
Nach den Shows ist jeder, egal ob Musiker oder Fan, sehr erschöpft, aber auch sehr glücklich. Ein gutes Gefühl.
Gab es während der zahlreichen Interviews, die du im Zuge der Promotion für „Prophecy“ gegeben hast, einen Song, nach dem am meisten gefragt wurde?
Nein, eigentlich nicht. Du spielst mit Sicherheit auf „Moses“ an, aber im Prinzip waren die Leute durchweg an allen Stücken interessiert, am gesamten Album. Live kommen „Prophecy“, „Living Sacrifice“, „Mars“ mit seinem Mix aus Härte und Flamenco und „Porrada“ als typischer Hardcore-Brocken im „Policia“-Stil, bei dem ich nur singe und mit der Menge abgehen kann, am besten.
Ich muss aber trotzdem noch mal auf das Reggae-Metal-Stück „Moses“ zurückkommen. Du hast ihn mit der serbischen Band Eyesburn aufgenommen. Warum eine serbische Gruppe und nicht eine aus dem Ursprungsland des Reggae, aus Jamaika?
Ich mag diese Band und die Art, wie sie spielen. Und natürlich ihren Exotenstatus, weil sie eine gute Dub-Roots-Reggae-Band aus Serbien sind. Viele hätten mit Sicherheit auf Jamaika nach einer passenden Band für eine solche Reggae-Metal-Mischung gesucht, weil es offensichtlich ist. Ich aber bin noch nie den offensichtlichen Weg gegangen. Ich versuche immer, nicht vorhersehbar zu sein. Ich möchte die Leute überraschen.
Was hast du bei deinen Besuchen in Serbien für Erfahrungen gemacht? Es handelt sich um ein ex-Kriegsgebiet, wie jeder weiß.
Ich war für eine Woche dort. Natürlich sieht man zerstörte Gebäude und Bombenkrater, aber dort aufzunehmen, war eine wunderbare Erfahrung. Das Resultat ist hervorragend. Ich konnte ihre Sprache nicht, aber jeder hat zumindest ein wenig Englisch gesprochen. Und die Musik war ja auch noch da.
Ein weiteres überraschendes Experiment auf „Prophecy“ ist das volkstümliche „March On River Drina“. Das Verrückteste, was du jemals aufgenommen hast?
Ja, für Soulfly war es mit Sicherheit das Exotischste, was ich auf Band gebannt habe. Es wurde mit Zigeunern aufgenommen. Was da vielleicht noch herankommt ist die 15-minütige Drumsession von „Roots“, für die die meisten Leute aber keine Geduld zum Zuhören aufbringen wollten. Was als nächstes kommt, werden wir sehen.
Ist es nicht verrückt, dass zu Zeiten von Sepultura kaum jemand Experimente hören wollte, jetzt aber deine Fans selbige geradezu verlangen?
Ja, bei Soulfly ist es vollkommen ok, wenn neben dem harten Zeug auch noch andere Elemente stehen. Ich habe nicht mal vier Alben gebraucht, um diese Akzeptanz zu erreichen. Schon zu „Primitive“-Zeiten fanden es die Leute gut, wenn ich ihnen mal etwas anderes gezeigt habe. Eine solche Stellung und dadurch solche Möglichkeiten zu haben ist cool.
Gibt es Experimente, an die du dich nie und nimmer herantrauen würdest?
Hmm…Furcht verspüre ich eigentlich vor keinem musikalischen Experiment. Es gibt nur einige Sachen, die ich einfach nicht mag und deswegen nie ausprobieren würde. Ich höre sie nicht. Also haben diese Stile auch nichts in meiner Musik verloren. Ich würde nie Pop, Brit Pop oder Sachen wie The Darkness in meiner Musik verwursten. So etwas interessiert mich nicht. Ich bin eher im Old-School-Metal oder Hardcore verwurzelt.
Gibt es eine Person, mit der du gerne einmal zusammen arbeiten möchtest, bisher aber nicht die Chance dazu hattest?
Die meisten Leute, mit denen ich gerne mal jammen oder etwas aufnehmen würde, sind bereits tot. Leider. Sonst fällt mir im Moment niemand ein.
Könntest du dir Soulfly mit einem Bluespart vorstellen, ähnlich dem Reggae-Teil in „Moses“?
Wer weiß?! Es muss einfach Klick machen. Musik kann man nicht berühren oder sehen, aber man kann sie fühlen. Und genau dieses Feeling muss sich einstellen. Das ist das Wichtigste.
War es eigentlich von Anfang an deine Absicht, Soulfly diesen „Metal trifft auf World Music“-Anstrich zu verpassen?
Nein, das ist erst mit der Zeit gewachsen. Ich wusste nicht mal, dass man so etwas World Music nennt, bis es jemand in meinem Umfeld erwähnt hat. Ich hatte einfach das Gefühl, dass einige meiner Songs keine heftigen Gitarren brauchen, um ihre Message zu transportieren. So ist z.B. „Soulfly I“ entstanden. Es wurde sofort mit Dead Can Dance oder eben diesem World Music-Stoff, von dem ich, wie gesagt, noch nicht mal eine Ahnung hatte, verglichen. Das war also alles unbeabsichtigt und eine ganz natürlich Entwicklung. Ich wollte im Studio aus der Norm ausbrechen. Also haben wir uns bei den Aufnahmen zum ersten Album einfach nach draußen gesetzt, Kerzen angezündet und losgespielt.
Wie gehst du damit um, dass die Fans einerseits ständig erwarten, dass du Stücke wie „Eye For An Eye“ oder „Back To The Primitive“ übertriffst, und andererseits auch noch neue Soundfacetten und Experimente wollen?
Natürlich gibt es da einen gewissen Druck. Aber daraus mache mir nichts. Im Prinzip ist das doch auch alles nebensächlich. Man stirbt so oder so. Und egal, wie lange man auf der Erde weilt, es ist dennoch zu kurz. Selbst wenn du 80 wirst. Ich möchte meine Zeit nicht damit verschwenden, mir Sorgen über solche Dinge zu machen. Ich möchte sie lieber nutzen, um die Musik zu machen, die aus meinem Herzen kommt, die ich für stark und richtig halte und die mich repräsentiert. Bis jetzt denke ich, dass ich auf dem für mich vorherbestimmten Weg richtig gelaufen bin. Wenn ich dieses Gefühl nicht mehr habe, höre ich sofort auf. Ich könnte keinen Song veröffentlichen, von dem ich nicht denke, dass er für die Fans gut genug ist. Das wäre nicht ehrlich.
Liegen darin auch die ganzen Wechsel im Line-up begründet? Hast du nach 1 ½ Jahren immer das Gefühl, dass es einfach nicht mehr passt und alles demnach den obigen Kriterien von Dir nicht mehr entspricht?
Diese Tatsache mit den ständigen Besetzungsproblemen kann ich wirklich nicht erklären. Sie waren einfach von Anfang an da. Das Karussell fing direkt an, sich zu drehen. Bei Sepultura war es das genaue Gegenteil, weil wir total stabil im Line-up waren, bis der ganz große Knall kam. Vielleicht ist deswegen ganz gut so, wie es bei Soulfly läuft. Mein Hauptanliegen ist es, ständig vorwärts zu kommen. Wenn etwas diese Bewegung hemmt und stört, muss es leider weichen.
Wenn du alle Soulfly-Platten miteinander vergleichst, fällt dir dann auch auf, dass die Grundstimmung mit jeder Platte positiver wird?
Puuuh, das kann ich gar nicht sagen, da ich mir meine eigenen Platten nie anhöre. Ich spiele die Songs live und merke, dass alle wunderbar zusammenpassen. Dies zu erreichen ist meine Absicht, weswegen ich keinen Nutzen darin sehe, mich nach dem Aufnahmeprozess noch weiter mit meinem Material auseinanderzusetzen. Da höre ich lieber andere Musik.
Was z.B. im Moment?
Das, was ich momentan gut finde, folgt nicht dem Gang der Szene. Ich höre altes Zeug wie Kreator oder Sodom, alten Hardcore, brasilianische Musik. Die meisten meiner CDs gehören keinem modernen Trend an. Ich kann mit dieser ganzen modernen Metal-Sache nicht viel anfangen. Am Anfang hat jeder gesagt, dass Soulfly Teil dieser New Metal-Bewegung seien. Jetzt bin ich sehr froh, dass sich diese Vergleiche erledigt haben und die Leute erkannt haben, dass wir für etwas anderes stehen.
Jedes deiner Alben ist Gott gewidmet. Wie kommt es zu dieser tiefen Gläubigkeit?
Das kommt aus der Kindheit. Über die Jahre habe ich meine Hingabe und meinen Glauben weiter entwickelt. Ich bin einfach dankbar. Viele Menschen hatten nicht die Möglichkeit, das zu überleben, was ich überlebt habe. Ich meine jetzt nicht die Zeit nach Sepultura, sondern die davor. Es aus Brasilien heraus zu schaffen, ist ein Wunder. Das schafft vielleicht einer aus einer Billion. Gott gab mir die Chance dazu. Aber ich glaube an einen Gott, der dir in deinem Destruction-Shirt wohl ziemlich egal ist. Er kommt von innen.
Ich für meinen Teil glaube trotz Destruction-Shirt an Gott. Oder nenne es wie du willst. Aber ich glaube nicht an seine Institutionen wie die Kirche.
Genau darum geht es. Es ist eher eine spirituelle Sache. Ich brauche keine Kirche. Ich kann auch genauso gut auf das Dach dieses Busses klettern und beten, wenn mir danach ist. Aber viele verstehen meine Beziehung zu Gott falsch. Ich predige nicht. Ich danke ihm nur. Das hat nichts mit irgendeiner geheuchelten Kirchen-Moral zu tun.
Richtig. Es gibt nur eine Sache, die ich nicht verstehe, wenn ich die heutige Welt anschaue, und die mich ab und an zweifeln lässt. Hat Gott uns die Welt gegeben und uns gleichzeitig auch die Verantwortung für sie und uns übertragen oder kümmert es ihn einfach nicht, was hier passiert?
Das solltest du ihn am besten selbst fragen. Genau wie jeder andere auch, spätestens wenn man diese Erde verlässt. Ich selbst fühle mich noch nicht bereit, um zu gehen. Es gibt noch so viele Aufgaben, die ich noch nicht erfüllt habe. Meine Sichtweise ist in einem Song der Cro-Mags ganz gut beschrieben. Dort heißt es, dass man materiell nackt auf die Welt kommt und sie auch so wieder verlässt. In dieser Zwischenzeit aber muss man etwas aus sich machen.
Du bist kein oberflächlicher Mensch. Demnach beurteilst du die Länder, die du bereist auch nicht oberflächlich nach dem Geschmack ihres McDonald’s Restaurants. Was hältst du von Deutschland?
Auf viele Art und Weisen sind sich Deutschland, die USA oder Brasilien gar nicht mal unähnlich. Und im nächsten Moment sind sie wieder grundverschieden. Aber ich glaube, die ganze Welt verhält sich so. Überall gibt es coole Leute und Arschlöcher. Beziehe ich mich jetzt rein auf die Musik, ist Deutschland für mich einfach großartig. Ich liebe es hier zu sein und zu spielen. Die Fans sind unglaublich. Soulfly werden immer größer. Und manchmal verstehen die deutschen Fans mich sogar schneller als der Rest Welt. Nimm mal das Beispiel „Moses“. Die Rock Hard hat aus diesem Grunde mit mir eine Reise durch Jamaika gemacht und diese dann auf der Titelseite präsentiert. Viel früher als irgendjemand anders haben sie dieses Thema aufgegriffen.
Letzte Frage: Auf meinem Weg hierher ist mir im Auto, als ich den Song „Tree Of Pain“ vom Album „3“ hörte, mal wieder aufgefallen, dass Ashas Worte „In this tree of pain“ eigentlich eher klingen wie „Industry of pain“. Ein absichtliches Wortspiel?
Nein, das ist auf keinen Fall absichtlich so geschrieben worden. Aber diese Sache ist mir auch schon aufgefallen. Das ist so ein typischer Fall, wo man etwas selbst geschrieben hat, aber jemand anders dich erst auf diesen zweiten, versteckten Sinn stößt. Ein exzellenter und passender Zufall.
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