The Ocean
The Ocean
Interview
Das Musiker-Kollektiv The Ocean aus Berlin bietet mit ihrem aktuellen (und hochklassigen, siehe Review) Instrumental-Opus "Fogdiver" genug Anlass zum Gespräch. Wir fragen nach.
Gleich zu Beginn die übliche Frage nach der Bandhistorie: Wie kam „The Ocean“ zustande?
Nils: Der Keim unserer mittlerweile zu prachtvoller Blüte herangereiften fleischfressenden Wasserpflanze war unser Gitarrist und Songschreiber Robin Staps. Der schlug irgendwann, Anfang des Jahres 2000, Wurzeln in Berlin. Bis zu der fruchtbaren Zusammenarbeit der vielen einzelnen Zweige, wie wir sie heute kennen, dauerte es allerdings noch eine ganze Weile, da der Bestäubungsprozess nicht immer ganz reibungslos ablief. The Ocean sind nämlich eine recht zeit- und arbeitsaufwendige Band. Wir proben in der Regel drei oder vier Mal pro Woche und Robins Songideen sind recht komplex, sodass es viele Früchte gab, die vorzeitig vom Stamm fielen. Zwei Jahre lang hatten wir mit derartigen Line-up-Wechseln zu kämpfen. Erst Anfang 2002 fanden wir in Joni und Torge einen Basser und Drummer mit ausreichend Können, Zeit und v.a. Leidenschaft. Seit diesem Zeitpunkt sind wir in der heutigen Form vertreten, bis auf den Posten des zweiten Gitarristen, der im Sommer neu besetzt werden musste, weil unser bisheriger Kollege eine Solokarriere als EBM-Industrial-Popper einschlagen wollte.
Mit 7 Mitgliedern sprengt ihr so ziemlich jeden Rahmen eines üblichen Band-Line-Ups. Was erfordert ein derart ausgeweitetes Personal? Welche Funktionen übernehmen sie innerhalb von „The Ocean“.
Nils: Nun, zunächst sind wir eine stinknormale Fünf-Mann-Rockband mit zwei Gitarren, Drums, Bass und Gesang. Hinzu kommt ein Percussion-Experte, der gleichzeitig auch noch singt. Der siebte im Bunde ist unser Licht- Visuals- und Computermensch. Der ist auch bei so ziemlich jeder Probe dabei und steht auch mit uns auf der Bühne. Zusätzlich zu diesem festen Kern dazu haben wir noch einen eigenen Mischer, den wir, wenn es irgend geht, mit auf Tour nehmen, sowie gelegentlich einige Gastmusiker, z.B. an Cello, Geige oder Posaune.
„Fogdiver“ besticht durch einen erfrischend eigenständigen Stil. Sollte es dennoch eine Schublade für euren Sound geben, welche wäre euch die bequemste?
Robin: ambient soundtrack doomcore.
Wir mögen keine Schubladen und auch unser Interesse als Musikrezipienten bewegt sich jenseits solcher Kategorien. Unser Sound wurde sicherlich am stärksten geprägt durch den rauhen, politischen und metallischen Hardcore der Neunziger Jahre, Bands wie Rorschach, Unbroken, Groundwork, Absinthe… und natürlich die unsterblichen Neurosis. Von daher sind wir eigentlich eine untreue Hardcoreband, die aus ihrem Spiel- und Krabbelkreis ausgebrochen ist…
Im Booklet steht geschrieben: „We are not offering good entertainment“. Was macht euch da so sicher? Seht ihr eure Musik als Kunst jenseits jedes Unterhaltswertes?
Robin: Wir haben nicht den Anspruch, Unterhaltungsmusik zu machen. „Fogdiver“ ist ein ziemlich sperriges Album, welches sich gängigen Songstrukturen und Stilkategorien entzieht und dem Hörer einiges abverlangt, und das ist auch gut so. Im Zeitalter der Allgegenwärtigkeit von standardisiertem Kulturschrott, welcher auch die Musiklandschaft, sei es nun die kommerzielle oder die „unabhängige“ gnadenlos zumüllt, brauchen wir Kunst, die sich dieser Entwicklung verweigert und sich ihr bereits in den Anfängen bewusst entgegenstellt. Es gilt daher für uns schon im Ansatz den Gedanken, Teil der Unterhaltungsindustrie zu sein und Songwriting und Bandkonzept an den ungeschriebenen Gesetzen des Medienmarktes zu relativieren, abzulehnen. Der Musikkonsument sieht sich heute mit einer unübersehbaren Fülle immergleicher Produkte konfrontiert. Was über den Erfolg entscheidet, ist kaum mehr die Musik sondern vielmehr der Zugang zu den einschlägigen Werbe- und Vertriebsmechanismen. Diese Tatsache hat rückwirkende Effekte auf die künstlerischen Werke bzw. Musikproduktion daselbst: sie werden von vorneherein danach ausgerichtet, dem Bild, das sich die Industrie von ihrem Konsumenten macht und dass sie selbst vermittels Werbung prägt, zu entsprechen. Es ist das Bild eines ausgelaugten, nach Zerstreuung dürstenden Menschen, dem nach einem anstrengenden Arbeitstag noch wenige Stunden bleiben, um sich seinen verkümmerten irdischen Passionen hinzugeben. Für Kreativität, die Suche nach Inspiration und Spontaneität ist in diesem Bild kein Platz. Von daher will man ihn nicht noch mit anstrengender Kunst überlasten und bedient lieber seinen Unterhaltungswahn.
Mit THE OCEAN verneinen wir dieses Konzept. Wir machen Musik für Menschen, die irgendetwas suchen, die mehr von Musik und Kunst verlangen, als unterhalten zu werden, die Anstöße suchen und deren Kreativität und Vorstellungsvermögen noch nicht in der täglichen Flut des Kulturschrotts ertränkt worden sind.
Im Info werden interessante Non-Musik-Einflüsse benannt, unter anderem Schriftsteller wie Lautreamont und Regisseur David Lynch.
Inwieweit spiegelt sich der Surrealismus in euer Musik wieder?
Robin: Künstler wie David Lynch hinterlassen ihre Spuren vornehmlich in unserer optischen Bühnenpräsentation. Wir wollen dunkle, wandlose Räume aufspannen, in denen sich der Hörer verlieren kann… live erreichen wir diesen Effekt mit unserer sequenzergesteuerten Lightshow, die große Teile der Bühne, inklusive uns selbst, über weite Strecken im Dunkeln lässt… die langsam herein-fadenden Floorspots und die vielen Schwarzblenden erzeugen eine kalte Atmosphäre, die der von David Lynchs Filmen nicht fern ist.
Darüberhinaus kommen viele unserer Song-Texte durch jenen psychischen Automatismus zustande, der surrealistische Gedichte auszeichnet… es gibt eine Zeile, ein Bild, und von diesem Punkt aus gebe ich mich dem Spiel freier Assoziationen hin, bis am Ende des Prozesses ein starkes, aber in den seltensten Fällen eindeutiges Bild entstanden ist, welches viel Freiraum für Interpretationen lässt.
Die EP ist durchweg instrumental, und das obwohl ihr über Vokalisten verfügt. Aus welchem Grund? Waren die Stücke von grund auf als Instrumentale ausgelegt?
Nils: Bei uns ist es nicht so, dass der Gesang derart im Mittelpunkt steht, wie das bei Rockmusik ansonsten häufig der Fall ist. Der Platz, den Gesang in unseren Songs einnimmt, variiert von Song zu Song sehr stark. Einige unserer Stücke sind gar komplett instrumental angelegt. Unser Label Make My Day Records fand genau diese am besten und fragte uns, ob wir nicht Lust auf ein Instrumental-Album hätten. Wir hatten diese Vision schon länger gehegt und sahen darin eine schöne Möglichkeit, sie umzusetzen. Und wenn wir das Ergebnis betrachten, finden wir, es hat sich gelohnt. Sowohl mit der Platte als auch mit der Zusammenarbeit mit unserem Label sind wir sehr zufrieden. Mit unseren Sängern natürlich auch. Wir können gar nicht oft genug betonen, dass die natürlich weiterhin in der Band sind und auf dem kommenden, dritten, Album wieder auftauchen werden. Live sowieso.
Ihr habt einen eigenen Studio- und Probekomplex errichtet. Ist dieser alleinig für dieses Projekt gedacht? Wie darf man sich „Oceanland“ vorstellen?
Nils: Beim Oceanland handelt es sich um die Kellerräume einer Fabrik, die, soweit wir wissen, einstmals Aluminium hergestellt hat — bis vor knapp einem halben Jahrhundert. Als wir dort vor zwei Jahren einzogen, um uns endlich einen eigenen Proberaum einzurichten, fanden wir einen großen und vier kleine Räume vor, allesamt angefüllt mit Staub, Schutt und Schrott. Nach drei Monaten Schwer- und Schwerstarbeit konnte man dort einigermaßen proben. Mittlerweile haben wir dort ein vollwertiges Studio, ein Klo und einen Chillroom mit ausreichend Sofas, so dass man bei längeren Aufnahme-Sessions sich auch mal ein wenig aufs Ohr hauen kann. Dass wir dort wohnen, ist allerdings ein Gerücht.
Robin: die Intensität des Projektes und auch die Zahl der Beteiligten und des involvierten Equipments (z.B. große Ölfass-Trommeln) hat von Anfang an einen besonderen Proberaum erfordert. Das Oceanland steht uns nun rund um die Uhr zur Verfügung, und es ist mittlerweile recht gemütlich geworden…
„Fogdiver“ wurde von euch selbst im eigenen Studio produziert. Wie wichtig ist euch der Umstand die technische Realisierung komplett in eigenen Händen zu haben?
Robin: Nun, das Produzieren in Eigenregie hat Vor-und Nachteile. Zu den Vorteilen gehört der Umstand, dass man unbegrenzt Zeit hat, um sämtliche musikalischen Visionen zu verwirklichen und viele Dinge auszuprobieren. Wir haben z.B. sehr viel Zeit damit verbracht, einen brutalen und doch durchsichtigen Drum-Sound zu finden, haben dabei verschiedenste Mikrofone, Räume und Mic-Positionierungen ausprobiert und letztendlich auch gehörig getriggert. Außerdem brauch man sich nicht mit einem Producer herumzuärgern, der überall seine Pfusch-Finger mit im Spiel hat. Da die Songs für „Fogdiver“ sehr komplex und vielschichtig sind, wussten wir von Anfang an, dass wir viel Studiozeit benötigen würden. Da wir aber nur ein minimales Produktionsbudget hatten, war klar, dass wir es selber machen würden. Eigentlich war dies aber gar nicht die Entscheidung unserer Wahl, sie ist vielmehr aus der Not heraus entstanden… zu den Nachteilen gehört sicherlich mangelnde Erfahrung und unzureichendes Equipment… hier unterscheidet sich unsere Produktion dann eben doch noch in den obersten 5% von den skandinavischen Top-studios… aber wir sind eigentlich sehr zufrieden mit dem Resultat und werden diese Herangehensweise wohl auch in Zukunft wiederholen… wobei die Zeit sicher kommen wird, in der wir uns 4 Wochen in Schweden einschliessen werden…
Neben dem audialen Genuss macht das Artwork von „Fogdiver“ einiges her. Wer zeichnet sich für die optische Umsetzung verantwortlich?
Robin: Für sämtliche Artwork-Belange ist unser Percussionist, Zweitsänger und Webdesigner Gerd verantwortlich, der allerdings auf „Fogdiver“ in musikalischer Hinsicht nicht zum Einsatz kam. Das Rohkonzept und das Fotomaterial stammen ebenfalls von mir und die Feinumsetzung ist dann in Kollaboration entstanden. Die Fotos sind in der Atacama-Wüste im Südwesten Boliviens entstanden. Eine liebevolle Aufmachung, die dem Detail viel Aufmerksamkeit zugedenkt, ist uns als band ebenso wichtig wie die Qualität der Musik, gerade bei einem Instrumentalalbum. Wir wollen die Leute auf verschiedenen Ebenen zu fassen bekommen, dazu zählt natürlich in erster Linie die Musik, aber ebenfalls die visuelle Komponente, sei es nun in Bezug auf Artwork oder Live-Präsentation mit Lightshow und Video-Performance.
Wie sieht die Liveumsetzung aus? Was erwartet einen bei euren Auftritten? Was hat es mit den Videoperformances auf sich?
Nils: Zwar spielen wir die Songs fast 1:1 wie auf der Platte, aber sie entfalten, nach meinem Empfinden, eine noch extremere Wirkung: zum einen wird die energetische, brachiale Seite der Songs dadurch noch wesentlich gesteigert, so dass man als Zuschauer Zeuge eines großen Wutausbruches ist. Man sieht sieben oder mehr moshende Leute auf der Bühne, die mit der Gewalt eines Unterwasservulkans auf Instrumente und Publikum eindreschen. Zum anderen wirken aber auch die gegenteiligen, ruhigen Parts noch intensiver. Im Raum ist es dann oft total dunkel — ganz anders als zu Hause. Und punktuell wird die Atmosphäre dann auch noch durch die Videos komplett gemacht. Das sind, je nach dem, was zum Song passt, düstere Landschaften, dampfende Lokomotiven oder merkwürdige Unterwassertiere. Nicht zu vergessen auch unser neustes Schmankerl — aber wir wollen hier mal lieber nicht zu viel vorwegnehmen…
Ist bereits ein Full-Length-Album in Planung?
Wird auch in Zukunft die gesangliche Untermalung ausbleiben?
Robin: Wir werden im November mit den Aufnahmen für unsere erste Full-Length beginnen. Diese wird dann voraussichtlich Anfang des Jahres auf dem spanischen Label THRONE RECORDS erscheinen. Mit dem Material für dieses Album schlagen wir eine etwas andere Richtung ein als mit „Fogdiver“: die Songs werden weitgehend kürzer, brutaler, metallischer, weniger sphärisch und in rhythmischer Hinsicht noch vertrackter sein, und allesamt mit derben Vocals… das wird ein Brett vor’m Herrn, Fans von Meshuggah und Converge sollten die Ohren spitzen… zeitgleich nehmen wir eine weitere Full-Length auf, auf der 16 kurze, schnelle, aggressive und mehr traditionelle Hardcore-Brecher zu finden sein werden, natürlich in gewohnter OCEAN-fatness. Eine konkrete Veröffentlichung ist hier noch nicht geplant, da bis dato niemand das Material kennt und das soll auch so bleiben, bis es im Kasten ist… vielleicht werden wir das ganze gar unter einem anderen Namen laufen lassen. In der mittelfernen Zukunft werden wir dann voraussichtlich wieder mit Make My Day Records die stilistische Fortsetzung von „Fogdiver“ in Full-Length Form unternehmen, allerdings ebenfalls mit Vocals.
Welche Ziele verfolgt ihr langfristig? Sollte das Ocean-Kollektiv personell weiter expandieren?
Robin: Das ist noch nicht absehbar, aber es ist eher unwahrscheinlich, dass der feste Kern der band sich weiter ausdehnen wird, wobei ich hinzufügen muss, dass das in der CD angegebene Line-Up bereits um einen weiteren live-Sänger und einen Sound-Engineer erweitert wurde, womit wir nun bei 9 festen Mitgliedern sind. Fakt ist, dass wir schon jetzt massive logistische Probleme haben, wenn wir auf tour gehen. Die klassischen Instrumentalisten sind daher nur für Studio-Zwecke am Start.
Langfristig wollen wir uns eine Basis erarbeiten, die es ermöglicht, regelmäßig touren zu können, in Europa und im Rest der Welt, wenn möglich mit dem ganzen Kollektiv inklusive eines fetten live-Orchesters. Deshalb sind wir auch auf der Suche nach einer Booking-Agentur.
Außerdem wäre es schön, ein paar Platten zu verkaufen, damit wir uns irgendwann mal ein fettes Studio leisten können, um dann zwar immer noch in Eigenregie, aber eben nicht mehr ganz alleine, produzieren zu können.
Zu guter letzter eine Gelegenheit unseren Lesern direkt eine Message zukommenzulassen…
Robin: Kauft unsere Platte, überall zum discovery price von 8-11€! death to false ambient soundtrack doomcore! Yvonne Cutterfeld sucks shit…
Galerie mit 19 Bildern: The Ocean- Summer Breeze Open Air 2024Mehr zu The Ocean
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