Passenger
Passenger
Interview
Wenn man Namen liest wie Anders Fridén oder Niclas Engelin, denkt man sofort, dass hier ein Göteborg-Melodic-Death-Allstar-Projekt am Start sein muss. Aber weit gefehlt. Bei Passenger sind zwar diese beiden In Flames- und Gardenian-Mitglieder mit von der Partie, aber mit Schwedens Lieblingsstil hat deren Musik dann doch weniger zu tun. Stattdessen wird einem schwer fassbarer, zeitloser, poppig angehauchter Metal/Rock mit düsterer Atmosphäre geboten. Warum das so ist, wie es dazu kam und was Vogelscheiße mit einem Interview zu tun hat, werdet ihr in den folgenden Zeilen erfahren, die mein entspanntes Gespräch mit einem freundlichen, gut aufgelegten Passenger-/In Flames-Frontmann Anders Fridén wiedergeben.
Hi Anders! Alles klar oder nervt der Promo-/Interviewstress?
Mir geht es gut, danke. Stressig ist es schon. Ich bin gerade aus Berlin gekommen und hier in Dortmund angekommen, aber das macht alles schon Spaß. Und selbst?
Mir geht es nicht mal halb so gut!
Wieso?
Weil ich erstens mal wieder erkältet und zweitens extremst angepisst bin. Weißt du was? Alle Vögel dieser Welt gehören erschossen, erwürgt, aufgehängt und danach getötet.
(lacht) Das musst du mir jetzt mal genauer erklären. Klingt witzig!
Also, ich war gestern mit meinem Auto in der Waschstrasse, was nur alle Schaltjahre mal vorkommt. Danach stelle ich also meine frisch geputzte Karre auf den Parkplatz gegenüber unseres Hauses unter einen Baum. Tja, und heute Nacht hat wohl auf diesem Baum ein Vogelschwarm Pause gemacht und mein wie neu glänzendes Auto von oben bis unten zugeschissen. Bin gerade mit dem Putzen fertig geworden.
(lacht noch lauter) Das ist dann wirklich im wahrsten Sinne des Wortes beschissen!
Das kannst du laut sagen! Aber lass uns lieber über schönere und wichtigere Dinge reden. Ich habe gelesen, dass Passenger bereits ’95/’96 gegründet worden sind. Warum hat es dann so lange gedauert, bis das erste Album auf den Markt kommt?
Eigentlich wurde Passenger damals nicht wirklich gegründet. Die Geschichte war eher so: Unser Drummer Patrik und Niclas begannen zu dieser Zeit miteinander zu jammen und einige Ideen auszuarbeiten. Ich habe ihre Musik dann gehört, weil sie in demselben Proberaum wie In Flames waren, der sich im gleichen Gebäude wie das Studio Fredman befindet. Deswegen kam mir auch die Idee, dass wir in der Zukunft etwas zusammen aufnehmen könnten. Zu dieser Zeit hatte ich aber eher mit dem Gedanken gespielt, deren Musik zu produzieren und nicht ein Teil der Band zu sein. Anfangs war dort eher so eine Art Stoner-Rock-Vibe drin. 1997 ist Niclas dann bei In Flames für die „Whoracle“-Tour und ein paar Festivals als Gitarrist eingestiegen. Wir kannten uns vorher schon länger, haben uns aber in dieser Zeit richtig angefreundet. Also stellten wir auch fest, dass wir einen sehr ähnlichen Musikgeschmack haben. Nach ein paar Bierchen kam dann natürlich irgendwann die Idee, zusammen eine Band zu formen, die seitdem nie aus unseren Köpfen verschwunden ist. 2000 habe ich dann auch Patrik richtig kennengelernt und die Bandgründung kam nochmals auf den Tisch. Also existieren Passenger eigentlich erst seit dieser Zeit richtig. Wir sind dann in mein Studio gegangen und haben Demos aufgenommen, die eigentlich nur für uns selbst waren. Die Absicht, einen Plattenvertrag an Land zu ziehen, gab es zu dieser Zeit noch gar nicht. Aber mit der Zeit entstanden immer mehr Songs, die wir einfach für zu gut befunden haben, um sie niemandem zu zeigen. So kamen wir dann an einen Plattenvertrag.
Als ich das erste Mal von Passenger gelesen habe, wurde eure Musik als Mischung aus Rob Zombie und Depeche Mode beschrieben. Wie stehst du zu diesem Vergleich? Denn ich halte ihn nicht für besonders glücklich gewählt.
Ich mag diesen Vergleich auch nicht. Ehrlich gesagt, weiß ich auch gar nicht, wo er herkommt. Ich glaube, Niclas hat irgendwann mal gesagt, dass er Rob Zombie und Depeche Mode mag. Aber gerecht wird das der Musik von Passenger nicht.
Wie würdest du denn eure Musik selbst beschreiben? In meinem Review habe ich mir doch etwas schwer getan.
Ich weiß es auch nicht, denn es ist in der Tat verdammt schwer. Noch dazu hasse ich es, alles in bestimmte Schubladen stecken zu müssen, weil das einen selbst limitiert. Ich würde sagen, dass wir einen metallischen Grundbau haben, auf dem poppige Refrains aufgebaut werden, wobei alles stets einen dunklen Unterton hat. Die Melodien „weinen“ immer auf eine gewisse Weise.
An welche Leute ist eure Musik dann adressiert?
Das ist mir egal. Ob blau, rot, braun, zweibeinig oder fünfbeinig. Alle sind herzlich eingeladen.
Wo kommt eigentlich diese Pop-Schlagseite her? Was waren die Haupteinflüsse, während des Schreibens des Albums?
Wir alle mögen Helmet, Quicksand, Handsome, The Tea Party, Deftones, Tool, Depeche Mode, Massive Attack, alle diese verschiedenen Elemente. Diese haben wir dann verbunden und heraus gekommen ist Passenger. Wir versuchten nie, wie irgendjemand anderes zu sein, sondern haben nur deren Einflüsse verarbeitet.
Was ist eigentlich die Verbindung zwischen Artwork und Musik? Ich persönlich finde, dass diese abgetrennten Metallstrukturen eher abblockend wirken, wohingegen eure Lieder sehr zugänglich sind.
Aber es hat diesen dunklen Unterton, den ich vorher schon beschrieben habe. Dazu passt auch der gold-braune Farbton recht gut.
Desweiteren ist dein Gesangsstil auf diesem Album sehr emotionsgeladen. Welche Gefühle dominieren hier?
Liebe, Hass und Verzweiflung. Und ein Gefühl einer Bedrohung, während dem man sich gleichzeitig in Richtung von etwas Neuem bewegt. Darum dreht sich auch viel in den Texten. Eine Beziehung ist kaputt, die nächste kommt, man versucht seine alten Fehler abzulegen, keine neuen zu machen, etc.
Also lebensnahe Gefühle, die jeder von uns kennt und schon desöfteren durchgemacht hat. Was, würdest du sagen, ist das intensivere Gefühl? Liebe oder Hass?
Die Liebe kann ein so euphorisches Feeling sein, das sogar wie ein Droge wirkt. Hass hingegen kann sehr stark sein. Aber hier eine Rangliste zu erstellen, ist verdammt schwer. Auf jeden Fall könnte der Mensch weder ohne das eine noch ohne das andere existieren. Wir brauchen beide Gefühle, damit sie das Leben im Gleichgewicht halten. Dabei glaube ich nicht, dass Hass ein positives Gefühl ist, aber es kann dir die Kraft geben, etwas Positives zu bewirken, was letztendlich wieder Liebe schafft.
Liebe kann eben ohne Hass nicht existieren. Genausowenig wie Gott ohne Teufel.
Das ist wahr. Es ist ein Kreislauf.
Wer ist eigentlich der Passagier, der durch eure Musik und deren Emotionen fliegt? Ihr oder der Hörer?
Natürlich habe ich mich während des Schreibens in diese Situationen hinein versetzt. Ich benutze ja oft Wörter wie you, me oder I. Aber es ist mehr für die Person gemacht, die diese Texte liest und sich mit ihnen identifizieren kann. Hoffentlich kann ich ein paar Leute damit erreichen und ihnen zeigen, dass es nach allem Ärger und Misserfolg auch wieder einen Morgen gibt.
Mit Sicherheit! Textzeilen wie „I’m so tired of this world in my head“ dürften jedem schonmal durch den Kopf gegangen sein. Neben all dieser Emotion hat eure Musik aber auch einen sehr modernen Touch. Hier werden euch einige bestimmt Trendhopperei vorwerfen.
Diese beschränkten Leute wird es leider immer geben. Wenn sie es so nennen, dann sollen sie doch. Ich muss da ja nicht zuhören, geschweige denn darauf reagieren. Das ist mir ziemlich egal.
Das ist wohl die beste Art, damit umzugehen. In Flames mussten sich diese Vorwürfe auch schon gefallen lassen. Was kannst du bei Passenger machen, was du bei In Flames nicht ausleben kannst?
Eigentlich kann ich bei In Flames auch alles machen. Aber Passenger ist quasi ein Neuanfang. Die Gruppe ist neu, keiner hat irgendwelche Erwartungen an unsere Musik. Das macht es mir natürlich einfacher, das zu tun, was ich will. In Flames dagegen sind dick im Geschäft und von einer großen Maschinerie umgeben. Auf dem letzten Album sind wir zwar ziemlich weit gegangen, aber ein gewisser Rahmen ist für In Flames doch gesteckt.
Singst du deswegen bei Passenger ausschließlich clean?
Ja, das hat sich so ergeben, zumal wir diesen traurigen Unterton einfangen wollten. Zu diesen zum Teil klagenden Melodien hat einfach die cleane Stimme besser gepasst.
Worin unterscheiden sich In Flames und Passenger im Songwriting?
Erstmal sind es natürlich andere Leute, die bei Passenger schreiben. Noch dazu hat das hier einen größeren Jamming-Charakter. Wir haben diese Songs über zweieinhalb Jahre geschrieben. Bei In Flames ist das anders. Da machen wir lange Zeit gar nichts, bis wir unter Zeitdruck stehen. Dann treffen wir uns und schreiben alle Songs.
Aber gibt das nicht auch ein Zeitproblem? Ich meine, In Flames sind nicht gerade klein und oft und lange auf Tour. Woher kommt da die Zeit für Passenger?
Wenn du dein Leben richtig planst, dann klappt das wunderbar. Man muss halt alles richtig koordinieren. Deswegen habe ich auch kein Zeitproblem.
Also ist Passenger auch kein Projekt, sondern eine richtige Band?
Definitiv! Passenger ist absolut kein Gardenian- oder In Flames-Sideproject.
Dann gibt es mit Sicherheit auch Livepläne, oder?
Passenger sind noch ziemlich unbekannt, weswegen ich nicht glaube, dass wir irgendein Festival oder eine Tour im Sommer spielen werden. Danach wollen wir aber auf jeden Fall auf die Bühne.
Mit In Flames hast du bisher große Erfolge eingefahren und die Band ist größer als jemals zuvor. Was erwartest du für Passenger?
Wir werden sehen. Unsere Single („In Reverse“, Anm. d. Verf.) ist bereits erschienen, das Album kommt am 28.4. und wir warten einfach mal die Reaktionen der Leute ab. Das Feedback der Presse war bisher sehr gut. Ich glaube, die Welt braucht Passenger. (grinst)
Andernfalls würdest du dies hier wohl auch nicht tun. Nehmen wir doch mal an, Passenger werden größer als In Flames. Was hätte dann Priorität?
Da gibt es keine Priorität. Wenn ich mit Passenger arbeite, dann liegt mein Augenmerk voll auf dieser Band und andersherum. Ich hoffe, ich werde mich nie für eine dieser beiden Bands entscheiden müssen. Das könnte ich, glaube ich, gar nicht.
Niclas spielt ja, wie schon erwähnt, auch bei Gardenian. Gibt es die eigentlich noch? Ich habe schon ewig nichts mehr von ihnen gehört.
In den letzten Jahren war es ziemlich ruhig um sie, das stimmt. Aber jetzt arbeiten sie gerade an einem neuen Album. Sie hören sich jedoch etwas anders an als früher. Mehr verrate ich nicht.
Würdest du sagen, dass Passenger, In Flames und Gardenian irgendetwas gemeinsam haben?
Ja, sie kommen alle drei aus Göteborg. (lacht)
Hehe, das ist klar! Und musikalisch?
Nein. Überall gibt es zwar Schlagzeug, Gitarren, Bass und Gesang, aber mehr Gemeinsamkeiten sehe ich da nicht. Ich versuche auch, das alles zu trennen. Ich hätte z.B. nie noch eine Band gegründet, die sich anhört wie In Flames. Deswegen gibt es Passenger, weil wir uns ganz anders anhören.
Euer Bandname Passenger wirft natürlich direkt eine Verbindung zum Fliegen auf. Ich habe gelesen, dass du mit In Flames auf dem Rückflug aus den USA, wo ihr auf Tour wart, eine Notlandung hinlegen musstet. Was war da passiert?
Ja, wir waren alle gerade am Fernsehen, als das Flugzeug auf einmal begann, schnell zu sinken und eine Notlandung machte. Zuerst hieß es, es sei nur Routine gewesen, dann sagte man, es gebe Probleme mit dem Motor, bis letztendlich auch noch erzählt wurde, irgendwo an Bord sei ein Feuer ausgebrochen.
Dann gibt es jetzt schon vier Versionen. Ich habe gelesen, es sei irgendein verdächtiges Gepäckstück an Bord gewesen. Da ich fliegen aber sowieso hasse wie die Pest, wäre ich so oder so tausend Tode gestorben.
Das bin ich auch, da ich fliegen auch nicht unbedingt mag. Ich habe alle meine Sünden gezählt, gebetet und für jede einzelne um Vergebung gebeten.
Zum Glück ist ja alles gut gegangen und wir können weiterhin mit guten CDs von In Flames und Passenger rechnen. Ich bedanke mich für das entspannte Interview. Die letzten Worte gehören dir.
Ich hoffe, ihr werdet alle unser Album als unsere „passengers“ in eure Herzen aufnehmen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, die ihr mir und uns entgegenbringt. Das macht glücklich.
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