Puhhh… ich schmeisse ungern schon zu Anfang eines Reviews mit Superlativen um mich, aber nach VEKTOR’s „Terminal Redux“ ist der neueste Streich von COHEED AND CAMBRIA das wohl bislang einzige monumentale Konzeptalbum geworden, welches eine ausgefeilte Science-Fiction Story musikalisch ausdrücken kann wie kaum eine zweite Band. Auch wenn rein musikalisch bei beiden Bands natürlich höchst unterschiedlich vorgegangen wird – geschenkt. Mit über 78 Minuten (respektive 73 Minuten) sind beide auch längentechnisch vergleichbar und ebenfalls eint sie, dass auch „Vaxis – Act I: The Unheavenly Creatures“ trotz aller Abwechslung ein gewisser Flow innewohnt, mit Höhen und Tiefen, Action-reichen Momenten und ruhigeren, was zum Spaß, aber auch was für die Tränendrüse, wie eben auch in einem guten Film oder einem guten Roman.
COHEED AND CAMBRIA tauchen wieder ein in den „The Amory Wars“-Kosmos
COHEED AND CAMBRIA waren immer ein wenig ein Guilty-Pleasure von mir, zumindest ist es wahrscheinlich eines für einen „Metaler“. Viele Leute mögen die Band nicht sonderlich. Entweder zu poppig oder in den progressiveren Konzeptionen zu verkopft… und überhaupt, dieses ganze komische lyrische Konzept, dass sich um selbstgeschriebene Comics dreht, diese Eunuchen-Stimme von dem Wuschelkopp…
Nachvollziehbar für mich, aber das hält mich nicht davon ab, diese Band weiter ziemlich abzufeiern: Schon auf den Vorgängern gab es eine gesunde Mischung aus eingängigen Gassenhauern, kleinen Prog-Epen und vorwärts denkendem Songwriting. Das machte es auch schon damals hart, COHEED AND CAMBRIA stilistisch festzulegen… Alternative Rock, Pop-Punk, Post-Hardcore, Progressive Rock? Was denn nun? Diese besondere Bandbreite an Stilen ist auch auf dem neuesten Album noch vertreten.
Nach einer „Auszeit“ vom Konzept der „The Amory Wars“ Story (für die sich Fronter Claudio Sanchez verantwortlich zeichnet) auf dem letzten Album „The Color Before The Sun“ (2015), geht es nun wieder zurück ins „Keywork“. Oder doch nicht? Es soll in demselben Universum bleiben, allerdings eine neue Geschichte erzählt werden, die bereits jetzt vollmundig als (weitere!) Pentalogie angekündigt wird (Penta, griechisch = Fünf, Kinners, genau so viele Alben wie C&C bereits beim ersten Teil ihrer Diskographie über „The Amory Wars“ abgefrühstückt hatten, wenn man die „Afterman“-Alben nicht mitzählt. Prost Mahlzeit). Ambitionierte Pläne. Protagonisten der neuen Geschichte sind ein ehemaliges Liebespaar auf einem Gefängnisplaneten („The Dark Sentencer“), die sich unter widrigen Umständen wieder treffen. Mehr weiß ich auch nicht, Lyrics liegen mir leider nicht vor, von daher kann ich auch nicht tiefer eintauchen und Wolfgang M. Schmitt-mäßig diesen Film, pardon, meine natürlich das Album ideologiekritisch auseinander nehmen. Also erwartet uns so etwas wie die neue Star Wars Triologie von Disney? Mass Effect Andromeda?
„Vaxis – Act I: The Unheavenly Creatures“ ist wieder einmal songwriterische Meisterklasse geworden
Qualitätstechnisch zum Glück nicht. Der schon ausgekoppelte Opener „The Dark Sentencer“ startet nach einem cinematischen Intro, welches einen sofort in die Science-Fiction-Story zieht, mit eingängiger Melodie und Gangshouts im Hintergrund, die einen die Faust nach oben recken lassen. Neben anspruchsvollen Riffs hat der Song aber noch einen tollen Spannungsaufbau und einen Chorus zum Niederknien. Nachfolger und Titeltrack „Unheavenly Creatures“ schielt klar in eine eingängigere, poppigere Richtung und war somit genau die richtige Wahl um ebenfalls als Single ausgekoppelt zu werden. Musikalisch nicht so wahnsinnig interessant und definitiv eines der schwächeren Stücke, aber nachvollziehbar platziert und arrangiert. Nachfolger „Toys“ geht dann in proggige, abwechslungsreiche Gefilde über seine fast sieben Minuten Laufzeit und lässt in manchen Parts fast Erinnerungen an QUEEN aufkommen, was eine gewisse Theatralik im Songwriting angeht. „Queen Of The Dark“ kann mit Epik und einem großen Chorus auffahren, „True Ugly“ schwingt zwischen fuzzigem Groove und sehr experimentellen Passagen – selbst für COHEED AND CAMBRIA Verhältnisse. Überhaupt: Vom Wechselspiel „Kurze Songs, Lange Songs „der im „The Amory Wars“-Universum verankerten Vorgängeralben wird hier ein wenig Abstand genommen. Fast alle nachfolgenden Songs bewegen sich im Fünf Minuten plus Spektrum, also so kurz bis mittellang, je nachdem ob man mit der Schablone für normale Pop-Songs oder Prog-Epen heran geht.
„Vaxis – Act I: The Unheavenly Creatures“ ist als das mittlerweile neunte Studioalbum mal wieder Meisterklasse, was das Erzählen einer Geschichte mit musikalischen Motiven angeht. Genau genommen ist es gar nicht so verschieden vom Aufbau der alten Alben, aber die dramatische Achterbahnfahrt durch alle Gefühle, verschiedene musikalische Stimmungen und Songs ist hier noch einmal eine Nummer stärker, konzentrierter, aufs wesentliche herunter gebrochen. Dadurch wirkt hier trotz der monströsen Lauflänge das Album nicht zuuu lang, auch wenn durchaus lange Momente in der zweiten Hälfte aufkommen. Glücklicherweise offeriert das Album so auch bei jedem neuen Durchgang andere, neue Facetten der Songs, die man vorher nicht so mitbekommen hat… Sei das ein Bass-Lick oder ein elektronischer Effekt im Hintergrund, eine gewisse Betonung in Claudios Lyrics… . Die ganze Herangehensweise ist sehr viel „epischer“: Die Songs werden der Geschichte untergeordnet, statt komplexen Riffs, verschachtelten Songs dürfen es auch ruhig ein paar simple, aber effektive Riffs und Melodien sein. Wenn diese aber unterstützt mit einprägsamen Refrains, symphonischer Hintergrundbeschallung oder netten elektronischen Effekten – die exzellent zum Science-Fiction Konzept passen – werden, läuft vor dem inneren Auge schon der Film ab.
Zum Schluss bleibt…
Ein Appetithappen wie dieser in Form von trashigem 80er-Sci-Fi aussehen könnte, gibt es in den „Visualizern“ zu den Videoveröffentlichungen zum Titeltrack und „The Gutter“ übrigens. Call your Mother!
Auch bei Bonusmaterial lässt man sich nicht lumpen: Passend zur umfassenden Geschichte und der Musik gibt es noch Poster, eine 88-seitige Novelle, eine exklusive Maske eines der Protagonisten der Story und diverse andere Schmankerl in der Limited Edition. Ich warte eigentlich nur noch auf eine Mini-Serie oder einen Kinofilm, dann wäre mein Fanboy-Herz glücklich.
Weniger verblendete Zeitgenossen mögen definitiv Abstriche machen: beim Pathos und einem gewissen Kitsch der Songs, der Länge der ganzen Platte und den (auch für meinen Geschmack) etwas zu sehr im Hintergrund abgemischten Gitarren, denen man die teilweise recht interessanten Riffs auf den ersten Hördurchgängen gar nicht richtig entnehmen kann. Auch ist die zweite Albenhälfte wesentlich „generischer“, die Songs haben von einzelnen Ausnahmen abgesehen die typische poppige COHEED AND CAMBRIA-Formel (inklusive nervigem „Nanana“-Chorus wie in „Old Flames“ beispielsweise). Trotz alledem machen Fans der Band wenig falsch mit dem neuen, selbstproduzierten Album der Amerikaner und auch alle Liebhaber von Konzeptalben, Sci-Fi und Alternative/Prog-Rock, die eine gewisse Kitsch-Resistenz entwickelt haben, können reinhören. Ich bin froh darüber, dass die Geschichte im Keywork weitergeht!
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