Moonspell
Interview mit Fernando Ribeiro zu “1755”

Interview

MOONSPELL nehmen uns mit dem Konzeptalbum “1755” auf eine dramatische Zeitreise in das Lissabon des Jahres 1755, welches von einem großen Erdbeben erschüttert wurde. Durch dieses sowie die anschließenden Feuersbrünste und einem Tsunami kam ungefähr die Hälfte der damaligen Bevölkerung, 100.000 Menschen, ums Leben. Das apokalyptische Thema wird auf Portugiesisch erzählt, die untermalende Musik mit Orchester und Chören ist monumentaler und bombastischer als alle vorherigen Werke ausgefallen. Um mehr darüber zu erfahren, sprachen wir mit Sänger Fernando Ribeiro.

Euer neues Album “1755” war ursprünglich als EP geplant. Wie wuchs das Ganze dann letztendlich auf ein komplettes Album an?

Ich glaube die Antwort ist ziemlich einfach. Wir sind Musiker. Es ist unsere Verpflichtung, die richtigen Entscheidungen zu treffen, wenn es ums Musikmachen geht. Der Rest mag die Szene überfluten und vergiften, aber MOONSPELL haben immer selbst die Regeln aufgestellt und Entscheidungen getroffen, wann und wie auch immer uns die Inspiration trifft und leitet. So kam “1755” zum Leben. Es ist wahr, wir änderten deshalb unsere eigenen Pläne für die Touren sowie die Veröffentlichung unserer DVD mit Napalm Records. Aber jeder verstand ziemlich gut, dass es frustrierend gewesen wäre, wenn wir nur eine EP herausgebracht hätten, obwohl wir viel tiefe eintauchen und die Geschichte dieser riesigen Katastrophe von Lissabon umfassender erzählen könnten. Wir wollten daraus lieber eine echte Huldigung machen anstatt nur ein Bonus oder ein Novum in einer DVD Edition für Japan oder was auch immer.

Das Konzeptalbum handelt von dem großen Erdbeben, welches Lissabon im November 1755 heimsuchte. Bitte erzähle uns mehr über die Geschichte und wie ihr auf die Idee zum Konzept dieses Albums gekommen seid! Was hat euch an diesem Teil eurer Geschichte fasziniert?

Der 1. November 1755 war der eine Tag, an welchem die Zerstörung Lissabons Portugal erlaubte, mit Europa aufzuschließen, was eine fairere Gesellschaft und weniger unterdrückende Religion anbelangt. Dieser Tag war, als ob Portugal von dem Erdbeben, den Feuern und Tsunamis gewaltig erfasst und aus dem Mittelalter gestoßen wurde, um letztendlich auch im späten 18. Jahrhundert anzukommen. Rau aber faszinierend. Wir lernten alle in den Schulen unseres Landes diese Geschichte von Tod und Wiedergeburt und mir fiel immer auf, dass dies ein großartiges Konzept wäre. Ich gestehe, dass ich darauf einige Jahre gewartet habe, aber es scheint nun, speziell in einem Portugal, welches von gewaltigen Feuern und schlechten politischen Entscheidungen gestraft wurde, diese ganzen Dinge um uns herum dieses Album zusammengebracht haben. Das Erdbeben ist sehr symbolisch, aber die wahre Geschichte ist nichts anderes als der Fall von Lissabon und das Wiederauferstehen aus den Aschen durch Hoffnung, Leistung, wahrer Glaube der einmal verschwendet wurde in der Furcht vor Gott.

Zum ersten Mal in eurer Karriere sind die Texte und dein Gesang komplett in eurer Muttersprache Portugiesisch gehalten. War das für euch ein essentieller Punkt, auch wenn viele eurer Fans die Sprache nicht verstehen? Meiner Meinung nach erschafft der Klang der Sprache eine Atmosphäre, die perfekt zu dem Thema passt!

Gesang ist etwas anderes in einer Band. Sie können die Band und die Geschichte leiten, aber manchmal fallen sie so aus, dass die Leute manchmal zu viel Aufmerksamkeit auf den Gesang richten. Für den Anfang ist das auch keine schlechte Sache, ich bin selbst Sänger und wir brauchen viel Aufmerksamkeit, haha! Aber hier ist “1755” gestaltet als Erlebnis für den Hörer. Etwas, dass sie in eine bestimmte Atmosphäre und Zeitreise versetzt. Die Verwendung von Portugiesisch wurde direkt mit dem Konzept entschieden. Ich glaube ich muss nicht erklären wie viel mehr Authentizität es hat, wenn wir die Geschichte in unserer Muttersprache erzählen. Metal mag manchmal sehr begrenzt sein, aber es war nie eine große Sache für Fans, Bands in deren eigener Sprache zu hören, sofern sie in das Erlebnis eintauchen können. Tatsächlich verstehen sie es und ich bin mir sicher, dass dies noch mehr ihre Fantasie anregt.

Mit „Lanterna Dos Afogados“ habt ihr einen Coversong der brasilianischen Band OS PARALAMAS DO SUCESSO gemacht. Wie kamt ihr auf diese Idee und weshalb hattet ihr euch für diesen Song dieser Band entschieden?

Das war meine Idee und es war etwas schwierig, das bei MOONSPELL einzubringen. Von vielen Portugiesen und natürlich Rockfans wird es als eine Art Seifenoper-Song angesehen aber ich fand das immer anders. Da ist eine Note von Sehnsucht und Traurigkeit, die diesen song dunkler macht als viele andere Songs die ich höre und angeblich als Gothic, dunkel, düster promotet werden, letzten Endes aber nur zuckersüßer symphonischer Nympho-Metal ist. Ich musste also geduldig sein und der Band erklären, was ich darüber fühle und gab ihnen den Songtext zu lesen. Dieser handelt von einem Leuchtturm, einer Laterne beleuchtet von wartenden Frauen während die Männer auf dem Meer zum Fischen sind. Wenn das kein portugiesisches Thema ist, könnte es ebenso gut ein chinesisches sein. OS PARALAMAS DO SUCESSO sind auch eine riesige Band in Brasilien und die Leute dort sind ziemlich aufgedreht, dass eine Band aus Portugal diese heraussucht und ihr Tribut zollt. Für mich ist dies der perfekte Abschluss für das Album.

Die Musik ist auf “1755” pompöser mit viel Orchester und Chören. Was habt ihr in eurem Songwriting verändert und wie hat sich die Musik dahin entwickelt, wie wir nun die endgültige Fassung auf dem Album hören können?

Wir hatten viel öfter und viel tiefer mit Jon Phipps, unserem virtuellen Orchestrator, zusammengearbeitet. Das half viel, der Musik eine bestimmte epische Dimension hinzuzufügen, welche die einzelnen Schichten bereicherte. Pedro und Jon und die gesamte Band arbeiteten wirklich hart an den Arrangements. Der Prozess des Komponierens war derselbe, wir haben ein wirklich gutes Team und eingespielte Arbeitsmethoden, aber wir nutzen unsere Zeit um mehr herauszuholen und zu erschaffen. Der schwierige Teil war es, das Ganze mit Geschmack zu machen, nichts zu klein und nichts zu viel. Daher loben es die Leute, denn es ist kein Novum, viele Metalbands verwenden orchestrale Musik aber in Wahrheit ist vieles davon Standard und arm, schlecht arrangiert. Die Musik hatte einen theatralischen Ansatz, die Band und das Orchester sind die natürliche Katastrophe, die Stimme wie ein Erzähler inmitten der Ruinen, die Chöre sind die Massen in der Kirche und die Perkussion, der akustische und orientale Teil der Musik stellt die Straßen Lissabons damals dar.

Gerade historische Themen erzählen ist etwas, das perfekt zu MOONSPELL passt. Hast du schon weitere Ideen im Kopf, über welche historischen Geschehnisse ihr irgendwann in der Zukunft eventuell erzählen wollt? 

Das sehe ich genauso! Dieses Thema und die Erschaffung des Albums haben mein Interesse an historischen Ereignissen in Portugal wieder entflammt. Tatsächlich sind viele der Antworten, welche wir in der heutigen Besessenheit über Politik und Wirtschaft suchen, schon da in der Geschichte. “1755” ist eher ein offenes Fenster als eine verschlossene Tür. Wir lieben die Art wie es gemacht ist und ich würde nicht nein sagen, ein weiteres Ereignis der portugiesischen Geschichte nachzubilden, welches zum Charakter der Band passt. Und die portugiesische Geschichte ist lang und voller Ereignisse. Aber um ehrlich zu sein ist das nicht der Nachfolger zu “Extinct”, wir haben dieses Album nicht vergessen! Ich bin fast komplett fertig mit meinen neuen Texten und das Konzept wird ziemlich interessant sein.

Siehst du eine lyrische und konzeptionelle Verbindung zwischen “1755” und der Lage Portugals in unseren Tagen?  

Als wir das Album schrieben, drehte sich das Album und die Texte über das, was 1755 geschehen war. Im Schnellvorlauf exakt 262 Jahre später fingen diese Texte an einen Sinn zu ergeben und die Leute in Portugal und der Welt fingen an, Verbindungen herzustellen, und so machten wir das auch. Speziell “Todos os Santos” hat dieses Gefühl, Politiker zu kritisieren, die sehr einfach mit einer Mission gewählt wurden, gewinnen die Aura von Heiligen versagen komplett. Das ist die Verbindung die wir alle in einer Welt finden, die jeden politisch verändert hat ausgenommen die optimistischen Idioten die immer noch glauben, sie können durch die Regentropfen rennen.

Eure Musik durchlief in den Jahrzehnten ziemlich signifikante Entwicklungen. Was wirkte auf diese Entwicklung?

Wir arbeiten an unserer Musik durch die Worte von Antoine Laurent de Lavoisier: nichts ist verloren, nichts wird hinzugefügt, alles transformiert. Ich habe so viele Male über unsere Entwicklung mit Fans und der Presse diskutiert bis hin zu dem Punkt, an dem ich es nicht mehr mache. Wie es ULVER im Flyer zum neuen Album sagen: Hab keine Angst, es ist nur Musik. Das ist ein exzellentes Motte und auch ein fantastisches Album.

Fühlt ihr euch noch immer mit eurem frühen Material verbunden? Fühlt es sich noch so an, als ob es von denselben Menschen geschrieben und aufgenommen wurde?

Natürlich tun wir das. MOONSPELL ist ein großes Abenteuer. Eine Band aus Portugal, die ihre Musik im Verlauf verändert, Geschichten erzählt. Natürlich sind wir sehr verbunden und dankbar, dass uns diese Alben geholfen haben und auf die richtige Weise zu der kleinen portugiesischen Seite wurden in der Welt des Heavy Metals, die fast komplett in Englisch, Deutsch oder Schwedisch geschrieben wurde. Ich fühle mich nicht mehr so wie derselbe, denn niemand bleibt derselbe. Anders zu denken ist kindisch und solche Bands gehen mit ihrer Musik auch nicht weiter da all ihre Fans sie verpflichten und ermutigen, in der Vergangenheit zu leben. Wir lieben unsere Vergangenheit und feiern sie so viel wir können, aber wir sind nicht mehr die MOONSPELL und manchmal sind wir diese MOONSPELL in jeder Sekunde. Die Leute komplizieren es einfach zu sehr, ich bevorzuge es in der Gegenwart zu leben da ich keine andere Wahl habe und die Zukunft ist das, was für mich zählt, der nächste Tag, nicht gestern.

Dann reden wir doch noch über die Zukunft, was habt ihr in nächster Zeit alles geplant?

Im Moment sind wir auf Tour in Spanien und spielen noch einige Release Shows in Portugal. Dann gehen wir an Bord einer langen Europatour mit unseren Freunden CRADLE OF FILTH, was viel Spaß machen dürfte und uns die Möglichkeit gibt, “1755” und MOONSPELL in viele Länder in einem Rutsch zu bringen. Danach werden wir unsere Touren in Übersee bekanntgeben, Latein und Nordamerika und Festivals. Nächstes Jahr werden wir auch im Frühjahr eine DVD veröffentlichen und weitere Touren werden folgen. In der Zwischenzeit freuen wir uns darauf, neue Musik zu schreiben und in zwei Jahren ein neues Album zu haben.

Galerie mit 13 Bildern: Moonspell - Endtime Signals European Tour 2024 in Leipzig
14.11.2017

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