Impure Wilhelmina - Radiation

Review

IMPURE WILHELMINA, einst als Schreihälse gestartet, erfinden sich mit „Radiation“ endgültig neu. Aber wie aus gut informierten Kreisen verlautet, ist „post“ ja ohnehin just a four letter word.
Größter Hinhörer sind dabei die Vocals: Michael Schindl singt auf „Radiation“ ausschließlich klar. Der potenziell schützende Wall aus Geschrei entfällt und reißt IMPURE WILHELMINA in ihrer nun freigelegten Emotionalität eine relativ offene Flanke für den Spott aus einschlägiger Richtung.
Denn wenn Schindl mit großer Geste seine Reflexionen zur Misere der Menschheit vorträgt, dann hebt er seine Band gefährlich Nahe an den Pathos-Gipfel eines Patrick Walker. Wie dessen WARNING oder auch 40 WATT SUN verlangen glockenhell vorgetragene Klagen wie „I don’t understand why life has no meaning!“ („Child“) mindestens dem kulturell mit Augenzwinkern oder Krach oder beidem sozialisierten Teil der Hörerschaft einiges ab. Andererseits kann man ja ruhig auch mal was ernst meinen – und was IMPURE WILHELMINA mit ausgebreiteten Armen leidenschaftlich schaffen, sind zum Teil wirklich ergreifende Hymnen.

„Radiation“ ist direkt

„Radiation“ verzichtet konsequent auf behutsame Annäherung, schert sich einen feuchten Hipster-Bart um die Einhaltung jeglicher Distanz und geht gleich mit den ersten Klängen von „Great Falls Beyond Death“ in die Offensive: „If you are able to march, march to death“ verkündet Schindl mit allem, was er so im Pathos-Köcher hat, und die Rechnung geht direkt auf: Die Zeilen brennen sich ein, der erste Ohrwurm webt sich mächtig ins Herz. Die Klage über die Tragik und Dummheit der eigenen Spezies wird musikalisch vollendet durch volle Riffs zwischen Doom-Erhabenheit und, okay, Post-Rock-Fläche, garniert mit melancholischen und bisweilen leicht angeschrägten Melodien der Sechssaitigen.

IMPURE WILHELMINA sind schwer

So klingen IMPURE WILHELMINA insgesamt wie genannte WARNING mit FALL OF EFRAFRA statt COUNT RAVEN ganz hinten in der biografisch geordneten Plattensammlung. Oder wie gerade BARONESS auf Doom. Es ginge schlechter.
Die übrigen Stücke auf „Radiation“ bewegen sich stilistisch in ähnlicher Bahn wie das Genannte „Great Falls Beyond Death“, besonders intensiv brennt sich neben dem Einstieg vor allem das wuchtige „Torn“ ein. Doch auch der Rest hält in etwa mit.
Fazit: „Radiation“ ist in ihrer hymnischen Schwere eine verführerisch schöne Platte. Eine gewisse Schwäche für dick Aufgetragenes setzt fortgesetzter Genuss allerdings absolut voraus. Und nach mehrfachem Repeat verlangt es dringend nach was mit Speed. Oder irgendwas mit Sex und Kneipenschlägerei.
Aber irgendwas ist ja auch immer.

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01.07.2017

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