Steve Hackett hat etwas zu feiern, immerhin ist das neue Album „The Night Siren“ des ex-GENESIS-Gitarristen das 25. Studioalbum, das seinen Namen trägt. Dabei hat er die Fesseln, die ihm seine ehemalige Kapelle auferlegt hat, schon lange abgelegt. Zuletzt bewies er das höchst eindrucksvoll auf „Wolflight„. Verträumter Folk Rock, der sich jedoch auch den ein oder anderen forsch rockenden Moment erlaubt, scheint nun sein Metier zu sein.
Musikalisch ist Steve Hackett scheinbar auf der ganzen Welt zu Hause
Aber Folk Rock ist ja bekanntlich nicht gleich Folk Rock. Und im Falle „The Night Siren“ ist dieser von gar weltmusikalischer Natur. Mehr noch: Dieser musikalische Ansatz wird buchstäblich zur Message für eine multikulturelle Gesellschaft. Es ist kein Album, das den mahnenden Zeigefinger hebt, wie das andere so furchtbar gerne machen. Vielmehr lädt Steve Hackett seine Hörer ein, dieses Facettenreichtum mit ihm zusammen zu entdecken. Damit hat sich der Ausnahmegitarrist Großes vorgenommen, die Frage ist nun natürlich, ob das in der Praxis geklappt hat.
Methodisch, wie er nun mal arbeitet, hatte er im Verlauf der Produktion die Welt bereist, um verschiedene Impressionen zu sammeln und sich natürlich auch von den verschiedensten Varianten der Volksmusik inspirieren zu lassen. Das geschah auch in Zusammenarbeit mit Musikern unter anderem aus Aserbaidschan, Ungarn und Island, wobei er spontane Eingebungen etwa für Soli natürlich immer sofort festhielt, um sie dann später an passender Stelle einbauen zu können.
Das führt natürlich einerseits dazu, dass „The Night Siren“ nicht so schön dahinfließt, wie das etwa der Vorgänger getan hat. Auf der anderen Seite legt das neue Album aber in puncto Abwechslung und Zugänglichkeit umso mehr zu. Verträumt ist seine Musik natürlich immer noch.
Von arabischen Nächten und schottischen Landschaften
„Behind The Smoke“ eröffnet das Album mit orientalischen Melodien, die tatsächlich an eine sternenklare Nacht in der arabischen Wüste denken lassen. Ein bisschen Kitsch kann sich der Herr Hackett ohnehin nie wirklich verkneifen. Doch solange er nicht überhand nimmt, geht das schon in Ordnung, zumal der Bombast und die symphonischen Arrangements wie angegossen sitzen. Steve Hackett lässt so manche Symphonic-Metal-Band wie Kasperletheater aussehen. Natürlich hilft hier auch, dass der Mann an der Gitarre nach wie vor zaubert wie kaum ein anderer. Gleiches gilt für das Instrumental „El Nino“, das zusätzlich mit treibender Perkussion Dampf macht und ebenfalls mit dem leidenschaftlichen Gejaule von Hacketts Gitarre daher kommt.
Dabei ist auf „The Night Siren“ für poppig rockende Momente ebenso Platz wie für atmosphärischere, gar düstere Passagen. Erstere etwa werden mit „Martian Sea“ und „Anything But Love“ bedient, die beide erfrischend peppig herüber kommen. Letztere dagegen werden vor allem in „Fifty Miles From The North Pole“ deutlich, das etwa ab Minute zwei zum progressivsten und sperrigsten Track des Albums mutiert. „In The Skeleton Gallery“ rockt nach ebenfalls recht eufonischer Einleitung auch eher sinister swingend drauf los.
Und natürlich glänzt auch der Folk, etwa in „In Another Life“. Hier sind Elemente der keltischen Musik mit eingeflossen und machen diesen zu einem Highlight mit Gänsehautgarantie. Schön sind auch die spanischen Gitarren im Intro von „Anything But Love“, bevor dieses wie erwähnt in eines der eingängigeren Stücke des Albums übergeht. Dazu wirkt Hacketts Gesang stärker und ausgefeilter denn je. Man höre sich nur mal diese wunderschönen Gesangsarrangements am Anfang von „Inca Terra“ an.
Odysseus würde bei dieser Sirene sicher auch gern zuhören
Fakt ist: „The Night Siren“ ist derart vielschichtig und facettenreich, dass ein ausführlicher Diskurs den Rahmen dieser ohnehin schon umfangreichen Rezension endgültig sprengen würde. Das Versprechen von weltmusikalischer Vielfalt hat Steve Hackett jedenfalls größtenteils eingelöst. Natürlich mussten Abstriche gemacht werden, weshalb es zum Beispiel kaum etwas aus der fernöstlichen oder afrikanischen Ecke zu hören gibt. Der Mann kann halt auch nicht überall gleichzeitig sein.
Und das ist auch gut so, denn sonst wäre „The Night Siren“ wohl ein einziges, inkonsistentes Flickwerk an Ideen geworden. Tatsächlich ist der Verschleiß an Material laut Presseinfo für Hackett-Verhältnisse enorm gewesen. Letztendlich scheint sich Hackett auf die Stile beschränkt zu haben, die seine verträumte, malerische Spielweise an der Gitarre am besten komplementieren. Diese Maßnahme trägt in „The Night Siren“ wahrhaftig ihre Früchte, denn das Album kann qualitativ locker mit dem Vorgänger mithalten, ohne diesen zu kopieren. Und es kostet nicht mal so viel Überwindung, um dem ehemaligen GENESIS-Gitarristen auf musikalischer Weltreise zu begleiten. Denn letzten Endes sind es seine virtuosen Künste an der Gitarre, die den Sound von „The Night Siren“ immer wieder erden und ins Hier und Jetzt zurück versetzen. Kurzum: Wem „Wolflight“ gefallen hat, der wird auch dieses Album lieben.
Ein überraschend gutes Werk mit Suchtcharakter. Läuf bei mir sein ein paar Wochen fast täglich!