Cult Of Luna & Julie Christmas
"Mariner" live in Kortrijk
Konzertbericht
Andere Länder, andere Parkplatzsitten. Der Blick schweift über die maßlos überfüllte Fläche, die heute Abend eher einem grauen, stickerüberwucherten Post-Metal-Fuhrpark gleicht. Kennzeichen-Check: Deutschland, Niederlande, Frankreich – Narren wie wir, die hunderte Kilometer ins belgische Kortrijk gereist sind. Ein Parkplatz ist dennoch kaum in Sicht. SINISTRO spielen. Ohne uns. Schade.
Nach verspäteter Ankunft bleiben 55 Minuten Musik. Netto. So läuft das, wenn CULT OF LUNA und JULIE CHRISTMAS sich nach langem Zetern nun doch noch entschließen, ihre gleichermaßen herausfordernde wie einzigartige Komposition „Mariner“ live und in Farbe umzusetzen. Fünfmal. Eine Tour. Danach nie wieder. Heißt es.
Entsprechend groß ist die Anspannung im prall gefüllten „De Kreun“, als das ungleiche Septett gegen 21:30 Uhr endlich die Bühnenbretter besteigt. Sanft wiegen Publikum und Musik im langatmigen Doom-Takt des eröffnenden „A Greater Call“ hin und her. Christmas treibt es in die Bühnenmitte, ihr Mikrofon trägt sie in ehrfürchtiger Manier vor sich her. Schützend, wie eine Monstranz. Trügerische Erhabenheit liegt in der Luft. Dann lässt COL-Sänger Persson den ersten Schrei. Und der Trip ins Ungewisse beginnt.
In sakraler Manier umgarnt Christmas Klagegesang die aufkeimende Sludge-Brutalität. Der Boden entgleitet unter den eigenen Füßen, mit schwindelerregender Geschwindigkeit verlässt das Mutterschiff die Basisstation. Ins Unendliche. Denn erst im fremden Territorium, in der eigentlichen Außerwelt, zeigt Christmas, dass das Mikrofon nicht nur ihr Instrument, sondern zugleich ihre größte Waffe ist. Tief getaucht in aquamarine Lichtkegel beschreiben „Chevron“, „The Wreck Of S.S. Needle“ und das abschließende „Cygnus“ klanggewordene Sinnsuche zwischen extrovertierter Verzweiflung und schierem Weltschmerz.
Wie eh und je verschmelzen ihre Mitmusiker zur nur schemenhaft wahrnehmbaren Einheit. Die Protagonistin selbst reißt sich Flicken für Flicken des zurechtgenähten Textiltops vom Leib. Die irdischen Fesseln wollen gesprengt werden. Christmas schüttelt sie in der einen Sekunde noch ab, greift jedoch plötzlich wieder in die Menge, sucht die Bindung zum Publikum. Und erst mit dem Verklingen der finalen Drone-Nebelhörner erschließt sich: „Mariner“ bleibt bodenständig. Trance statt Transzendentalismus. Zufriedenheit statt Überforderung. 55 Minuten Realitätsflucht ohnegleichen.
Zur Review: CULT OF LUNA & JULIE CHRISTMAS – „Mariner“
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