Ayreon - Timeline

Review

Mit dem unvergleichlich griffig betitelten „01011001“ hat Arjen Anthony Lucassen in diesem Jahr die Story hinter seinen bisherigen AYREON-Veröffentlichungen zum Abschluss gebracht. Arjen Lucassen selbst wird sich vermutlich zunächst mal wieder Nebenprojekten widmen, bevor er AYREON einer musikalischen wie textlichen Generalüberholung unterziehen und ein völlig neues Kapitel der Bandgeschichte aufschlagen wird. Und da Weihnachten langsam näher rückt, bietet sich nun die ideale Gelegenheit zu einem Rückblick in Form einer Compilation. Auf drei CDs findet der geneigte Hörer hier einen repräsentativen Überblick über alle sieben LP-Veröffentlichungen des munteren Liederzykluses.

Obwohl jeder Fan wohl das ein oder andere persönliche Lieblingslied vermissen wird, ist die Songauswahl gelungen. „Timeline“ zeigt, wie facettenreich, durchdacht und zugleich doch in sich konsistent das Songwriting des hühnenhaften Holländers von den Anfängen mit „The Final Experiment“ im Jahr 1995 bis heute stets war. Die Übergänge zwischen den Stücken wurden dabei bewusst fließend gehalten, was dem Ganzen einen ausgesprochen runden Gesamthöreindruck verleiht. Die Stücke wurden zu diesem Zweck auch remastert, klingen insgesamt aber unter dem Strich genauso gut, wie es die Originalversionen ohnehin schon taten.

Dass Arjen Lucassen mit einigen der besten Rock- und Metal-Sänger zusammengearbeitet hat, dürfte hinreichend bekannt sein. Der ausführlichen Namensliste im Booklet nimmt dies jedoch nichts von ihrer Eindrücklichkeit. Und über das übliche Namedropping hinaus hat jeder Sangesmeister im Rahmen von AYREON eine individuell hervorragende Leistung gebracht, die im direkten Wechselspiel mit den nicht weniger guten Kollegen stets ein umwerfendes Gesamtergebnis lieferte.

Ist es also überhaupt sinnvoll, AYREON-Lieder aus dem Gesamtkontext eines Albums herauszulösen? Ja und nein. Natürlich bieten die Stücke für sich selbst bereits gute Unterhaltung. Um in die Faszination von AYREON voll eintauchen zu können, ist aber immer eine Auseinandersetzung mit der übergreifenden Story notwendig. Aus der Not eine Tugend machend hat Arjen Lucassen daher die Stücke chronologisch aneinandergereiht und versucht, die Lücken mit kurzen Einleitungstexten im Booklet zu überbrücken. Letztlich kann man so alleine mit dieser Compilation die Geschichte des „Universal Migrators“, des blinden Barden Ayreon und des Außerirdischen Forever nachvollziehen, es bleiben jedoch kleine Story-Lücken und Verständnisprobleme, die nur die eigentlichen Studio-Werke lösen können.

Warum sollte man also zu dieser Compilation greifen, anstatt etwas tiefer in die Tasche zu greifen und dafür nach den vollständigen Alben Ausschau zu halten? Auf Raritäten, B-Seiten und ähnliches wurde verzichtet, was der Meister selbst mit einem entschiedenen „nicht verwendete Stücke landen generell aus gutem Grund im Mülleimer“ quittiert. Somit gibt es lediglich ein komplett neues Stück zu hören, das von Jasper Steverlinck (ARID) eingesungen wurde und auf den bezeichnenden Namen „Epilogue: The Memory Remains“ hört. Das ziemlich ruhig gehalten Stück ist zwar ganz nett und dient mit seinen gesanglichen Reminiszenzen an den verstorbenen Freddie Mercury hervorragend als gemütlicher Ausklang der AYREON-Geschichte, wirklich spektakulär geht aber anders. Alleine wegen dieses Titels lohnt sich der Kauf des gesamten Sets folglich nicht.

Es bleibt ja aber auch noch die beiliegende DVD. Wer die Special-Editions der bisherigen AYREON-Alben besitzt und auch die Lucassen’schen Nebenprojekte STAR ONE und STREAM OF PASSION verfolgt hat, findet hier wenig neues. Da AYREON bislang noch nie als Liveband in Erscheinung getreten sind, muss man sich mit Live-Aufnahmen der genannten Nebenspielwiesen begnügen, die unter deren Namen ebenfalls schon länger auf DVD verfügbar sind. Wer diese Veröffentlichungen jedoch nicht kennt, dürfte sich an den sieben qualitativ hochwertigen Live-Stücken erfreuen.

An unveröffentlichtem Material bietet die Video-Scheibe ein semi-professionelles Video zur „Star One Version“ von „Loser“, einen zehnminütigen Bericht mit Impressionen von der Release-Party zu „01011001“ und eine Featurette zur Entstehung des neuen Songs „Epilogue: The Memory Remains“. Dazu gibt es noch fünf 5.1-Mixe von der „Revisited“-Bonus-DVD des Zweitwerks „Actual Fantasy“ und den „Special Edition“-Bonus-DVDs von „The Human Equation“ und „01011001“ und den launigen Videoclip zur „Come Back To Me“-Single, sowie Teaser und Featuretten zu den Alben „The Human Equation“, „Actual Fantasy“ und „01011001“.

Insgesamt kommt es zwischen den auf der DVD enthaltenen Stücken und der Tracklist der CDs zu recht vielen Überschneidungen. Hier hätte man durch eine etwas andere Auswahl ein größeres Song-Spektrum abdecken können. Andererseits zählen Stücke wie „Ises And Osiris“, „Loser“, „Computer Eyes“ und „Day Three: Pain“ natürlich zu den absoluten Highlights, die man gerne auch mehrmals in leicht unterschiedlicher Form genießt. Insgesamt geht die Songauswahl aller vier Scheiben also schon in Ordnung.

Die gesamte Aufmachung dieses Packages ist ausgesprochen gelungen. Die CDs stecken zwar nur in Pappschubern, die aber in der mit einem hübschen, im klassischen AYREON-Design gehaltenen Box gut aufgehoben sind. Das Booklet ist sehr dick und beinhaltet neben alles Texten auch einen Einleitungstext und kurze Anmerkungen zu den einzelnen Studio-Alben aus der Feder von Arjen Lucassen, sowie eine vollständige Diskographie mit allen Veröffentlichungen des holländischen Perfektionisten seit 1993.

Als besonderes Schmankerl gibt’s dazu noch ein Poster, dessen Vorderseite das „Timeline“-Artwork ziert, während auf der Rückseite konsequenterweise eine Zeitleiste mit den wichtigsten Ereignissen der AYREON-Story die letzten inhaltlichen Unklarheiten bei den Fans ausräumt. Eine sehr schöne und sinnvolle Idee. Ob das alles unter’m Strich jedoch ausreicht, um Besitzern der Alben diese Compilation schmackhaft zu machen, ist fraglich. Für Einsteiger dürfte „Timeline“ aber das optimale Futter sein, um sich mit AYREON vertraut zu machen. Komplettisten werden sowieso ohne lange zu überlegen zuschlagen und ihren Kauf vermutlich noch nicht einmal bereuen.

11.11.2008

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