Gott sei Dank bin ich jemand, der nicht strikt auf seinen Vorurteilen beharrt. Denn das, was mir der Promozettel über HÄIVEs Debütalbum „Mieli Maassa“ offenbart, weckte zunächst unheilvolle Assoziationen und ließ meine Augenbraue instinktiv in die allseits bekannte Kritikerposition wandern: Ein-Mann-Projekt, inspiriert von der finnischen Natur und im Genre des „Heathen Metal“ angesiedelt – das klang gewaltig nach düdeligen Paganklängen, stupidem Gröhlgesang und den momentan viel zu oft gehörten Humppamelodiken.
Doch schon das Intro belehrt mich eines Besseren und meine Augenbraue kann sich umgehend entspannen. Wehmütig gezupfte Klänge dringen an mein Ohr, behutsam und sanft gespielt, von einer fast schon magischen Ausstrahlung. Die laut Booklet eigenes gefertigte, zehnsaitige Kantele (ein traditionelles finnisches Zupfinstrument) ebnet so perfekt den holzig-rauen Pfad, den HÄIVE in der kommenden Dreiviertelstunde mit „Mieli Maassa“ beschreiten wird. Auf diesem Weg trifft man auf verträumte, schwermütige Melodien, schleppt sich durch tiefe, dunkle Wälder oder verweilt schweigend an geruhsam plätschernden Bächen.
Die Musik, die Mastermind Varjosielu in kompletter Eigenregie arrangiert, ist tatsächlich mit einem Spaziergang durch die Weiten der Wälder zu vergleichen, was auch durch die bewusst rau gehaltene Produktion unterstützt wird. Der Gesang präsentiert sich harsch und angenehm ungeschliffen, wandelt sich in ausgewählten Momenten aber hin zu klaren, archaisch-folkloristischen Gesängen. Akustische Interludien, Maultrommeleinlagen und episodisches Geflüster schaffen so eine naturmystische Stimmung, die man in der Form heutzutage nur noch selten vernimmt. Quell und Wurzel der Darbietung ist die Melancholie, doch wird man nicht durchweg von Elegie und Schwermut geleitet. Hoffnungsschimmer blitzen genau so auf wie Kälte, Bitterkeit und Grimm.
Der Höhepunkt des Albums ist zweifellos der letzte und auch der längste Song „raina: Kurjat Kurjet“. Das gut zehnminütige Stück beginnt mit verträumten akustischen Melodien, wird dann in härtere, metallische Klänge überführt, nur um anschließend wieder mit leisen, weltenfernen Tönen zu fesseln. Ein packendes Album, wie geschaffen für die kalte Zeit und nur durch wenige Aspekte in seiner Gesamtheit nicht vollständig überzeugend. Das konstant schleppende Tempo scheint zwar wie für die Musik geschaffen, könnte aber partiell durchaus erhöht werden, um die Stücke noch facettenreicher zu gestalten. Ferner erinnern mich einige Elemente in HÄIVEs Musik doch recht stark an die Landes- und Genregenossen von WYRD und ich muss daher auch ein paar Pünktchen auf der Eigenständigkeitsskala abziehen.
Nichtsdestotrotz ein starkes Debüt – ehrlich, bodenständig und naturell.
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